vonDetlef Berentzen 02.02.2011

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Andreas Weber hat ein Buch geschrieben. Wieder mal. Andreas Weber?, werden Sie fragen. Ach, Sie wissen schon, das ist doch dieser Philosoph, den es auch in die Naturwissenschaften verschlagen hat. Von wegen „Versöhnung von Ökonomie, Natur und Menschlichkeit“ oder „Mensch, Natur und die Revolutionierung der Lebenswissenschaften.“ Das Thema lässt ihn nicht los. Jetzt also „Mehr Matsch! Kinder brauchen Natur.“ Seinem Verlag (Ullstein) hat er ein (Vorab-)Interview zum wahren Untertitel seines Buches, zur „Poetik des Lebendigen“ gegeben. Und sich dabei gleichzeitig als „Bildungsrebell“ geoutet. Was nicht wenig ist. Und deshalb seien hier ein paar Zeilen daraus zitiert:

„Mehr Matsch! ist ein Essay und gleichzeitig eine Wissenschaftsreportage. Aber es ist auch eine kleine pädagogische Theorie. Jede pädagogische Vorstellung hat ja einen Schatten, und das ist ihr Bild des Humanen. Wenn das nicht irgendwo wartet, lässt sich auch keine pädagogische Theorie entwerfen, nicht einmal in so knapper Form wie ich das tue. Dieser Schatten ist in meinem Fall das Poetische. Das Buch sammelt darum viele poetische Momente ein, Momente aus dem Erleben von Kindern, Momente der Naturerfahrung. Ich habe somit im Grunde eine Poetik des Lebendigen geschrieben. Mir geht es darum, das Lebendige in unser Denken zurückzuholen. Und das Lebendige ist immer auch das Poetische. Das Spielerische und das Kindliche. Jeder intensiv durchlebte Augenblick enthält einen Moment des Ganzen, das in diesem Lebensimpuls hervorschimmert. Und weil es in dem Buch um Lebendigkeit geht, stehen nicht nur die Kinder im Mittelpunkt, sondern der Mensch insgesamt. Wir tendieren immer dazu, alles in unserer Lebendigkeit als Funktion zu betrachten, als einen nützlichen Mechanismus, der dem Wettbewerb dient. Das ist in meinen Augen ein grundlegender Irrtum. Lebendig sein heißt den Augenblick erfassen, heißt, auf schöpferische Weise die Erfahrung des Existierens auszudrücken. Für Kinder sind solche Erfahrungen noch ganz unmittelbar. Sie erfahren intensiv, was es heißt, lebendig auf der Welt zu sein – und sie sind im Spiel beständig schöpferisch. Natur ist für Kinder darum sehr wichtig. Sie sind selbst gewissermaßen ein Stück wilde Natur.

Nun könnte man einwenden, dass Natur nur in Konkurrenz tritt mit der Musik, dem Lesen, dem Sport, dem Spiel … Sollen gutmeinende Eltern ein paar Naturerlebnisse extra einplanen?

Dann würden die Kinder wieder in ihrem Stundenplan stecken, dann gäbe es wieder ein Stoffpensum, das zu bewältigen ist. Dann wäre Naturerfahrung eine vermittelbare Ressource, für die man im Wochenplan der Kinder eineinhalb Stunden freischaufeln muss. Das meine ich aber gerade nicht. Es geht nicht darum, Faktenwissen etwa über alle heimischen Vogelarten anzuhäufen. Ich wende mich darum auch gegen die reformpädagogische Hinterhältigkeit, Kinder als kleine Wissenschaftler anzusehen, nach dem Motto: Kinder, die im Schlamm spielen, machen hydraulische Experimente. Spielerisches Lernen, dieses Stichwort durchzieht die ganze Reformpädagogik. Und am Ende gibt es doch wieder Noten, eine Bewertung. In meinen Augen entscheidend sind Erfahrungen, die nur im freien Spiel in einer von selbst gewordenen Welt möglich sind: Selbstwirksamkeit, Risiko, die Begegnung mit anderen Wesen, über die man nicht verfügen kann. Wir sehen, dass all diese Beschäftigungen in der jüngsten Generation geradezu auf Null zusammenschrumpfen. Wir sehen zugleich eine explosionsartige Zunahme von Störungen wie ADHS. Bis zu einem Fünftel aller Schüler leiden darunter. Das ist für mich der eigentliche Skandal, nicht das bisschen PISA-Katzenjammer. Den Kindern heute fehlt massiv ein Moment von schöpferischer Freiheit. Mein Buch ist damit auch eine Art Bildungsrebellion.“

Warum mich Webers Natur-Philosophie irgendwie an den  Buchtitel des Psychotherapeuten Ekkehard Schiffer „Warum Huckleberry Finn nicht süchtig wurde“ erinnert, wird an dieser Stelle nicht verraten. Selber lesen! Erscheint demnächst.

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