„Das im Radio gesprochene Wort hat größere Chancen, in Erinnerung zu bleiben, als der mit Bildern unterlegte Text im Fernsehen. Und dies trotz der Faszinationskraft des Visuellen.“(Hans-Jürgen Heinrichs)
Was für ein erster Maientag! Eine gelbe Sonne leuchtet unverschämt vom blauen Himmel, schwarz gekleidete junge Menschen tragen mit grimmigen Mienen den Kapitalismus zu Grabe und im Handy oder Player wieder kein revolutionäres HörProgramm! Das muss nicht so sein, behaupten die Mehrspurigen vom SWR2,…und das ist auch nicht so. Man muss nur genau hinhören. Heute abend zum Beispiel. Da berichtet das ziemlich postmoderne Hörfunkmagazin „Mehrspur“ über das „Mobile Interface Radio“, über „Radio apore“ und mp3-gesteuerte „Memory Loops“, die sogar schon den Hörspielpreis ergattert haben.
Mit derlei Loops umrundet man Gebäude, durchquert Stadtteile und kriegt dabei Geschichte und Geschichten auf’s Ohr (taz berichtete). Was übrigens auch eine gute Idee für die heutigen MaiDemos wäre: Loops zur Geschichte des sogen. „Kampftags“, Dokumentaraufnahmen und Scherben-Gesänge, dazu vielleicht ein paar Zeilen vom alten Bert Brecht an die Nachgeborenen: „Gedenket unser mit Nachsicht!“ Das wäre immerhin von Interesse und nicht das dumpfe Immergleiche. Wo also bleibt die kreative Clownsarmee, wenn man sie braucht? Das gilt häufig auch für’s Radio. Aber nicht unbedingt für die „Querköpfe“ des Deutschlandfunks und auch nicht für den mehrspurigen SWR2-Redakteur Wolfram Wessels.
Der präsentiert durchaus schon mal freundliche Intermezzi von inspirierten „Dokubloggern“, kooperiert ohnehin von Beginn an mit der taz-Medienredaktion(!) und da kommt dann doch schon mal Freude auf. Zum Beispiel, wenn die Herren David Denk und Steffen Grimberg ihr protokollierendes „Medientagebuch“ verlesen. Heute erinnert sich Grimberg u.a. an eine PR-Aktion der Purpur-Fraktion: „Auch zu Beginn der zweiten April-Woche gibt es wieder viel für unseren Redaktions-Papierkorb: „Der Vatikan will Anfang Mai 150 Blogger in seine heiligen Hallen einladen. Die katholische Kirche wolle vor allem deren Informationsbedürfnisse besser kennenlernen. Na dann viel Spaß!“
Mich hat keiner der kostümierten Herren mit den komischen Hüten eingeladen. Und ich glaube auch Bröckers und Höge sind nicht für den Vatikan vorgesehen. Macht aber nix. Wir chillen ohnehin während der Blogger-Audienz auf der Dachterrasse. Oder hören Radio. Damit etwas bleibt. Bilder, Worte zum Beispiel. Hans-Jürgen Heinrichs erzählt in „Mehrspur“ von diesem Bleiben, von einem „Selbstversuch“ mit dem Titel: „Die Kraft des gesprochenen Wortes und die Macht der Bilder“. Zwei Monate lang hat Heinrichs den Mahlstrom der Medien gescannt, samt Katastrophen, Revolutionen und hat dabei gelernt, den Eigensinn des Hörfunks nicht zu verachten:
„Das Radio kann nicht ausweichen auf Bildsequenzen, wenn die Wörter fehlen. Es arbeitet ohne Dekor und visuelle Arrangements.(…) Das Radio muss kraft des Wortes Wirklichkeit so vermitteln, dass sich im Hörer die entsprechenden Bilder einstellen. Der Hörer wird selbst zum Produzenten der Bilder.“
Wohl deshalb wird immer mehr gehört. Und nicht nur öffentlich-rechtlich. Freie Szene, freie Technik mobilisieren eine Generation, die dem Radio Dampf macht. Allerdings darf man dabei den Überblick nicht verlieren. Und auch nicht den Sinn für Qualität. Eben darum gibt es wohl „Mehrspur“. Da wird sortiert, strukturiert, kommentiert, Radio reflektiert. Und heute abend (19.30 Uhr) wieder. Was nicht heißt, daß man das Magazin nicht auch downloaden kann. Zum Nachhören. Immerhin wird mancher noch Atem für diesen wunderschönen Maientag und die darauf folgende extrem romantische Nacht brauchen. Ob nun im revolutionären kleinen Schwarzen, in altbackenem Rot oder Ströbel’schem Grün: Just listen!