vonDetlef Berentzen 02.06.2011

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„Vermutlich wird die Zahl der Zeitgenossen steigen, die zunehmend dem Terror des Audiovisuellen entfliehen und lieber in einer selbstgewählten auditiven Wüste mit wenigen akustischen Oasen zum Niederlassen leben werden.“ (Florian Rötzer)

„Mehrspur“ mal wieder. Sie erinnern sich? Das Medienmagazin vom SWR2  (heute abend, 19.30 Uhr). Mehrspurig also. Und diesmal mächtig auf der Überholspur. Ein Himmelfahrtskommando: Alles ist überholt, alles ist wert, daß es zugrunde geht und es geht zugrunde, hier und jetzt! Man muss nur das Manifest hören, das Mehrspur-Redakteur Wolfram Wessels seinen Interviewpartner Florian Rötzer von „Telepolis“ verkünden lässt:

Die Welt wird smart, kein Papier mehr, kein Radio, kein Fernseher, alle Nachrichten per Datensurf hinter smarten Bildschirmen gesammelt, analog zum virtuellen Herzschlag des iPhones. Rundfunksprecher werden als monotone Sprachfürsten abgeschafft, stattdessen jagt der weltweit generierte Text durch eine text-to-voice- Software, gerät  so zur Stimme und sofort überall schöne neue Welt. Nur die Älteren, die Huxley noch kennen, murren. Da hat Rötzer recht. Ich murre. Cui bono?

Und als hätte er mein Nörgeln vernommen, macht sich der Telepolis-Mann zum Schluß seines Manifests doch noch mal ehrlich: „Zweifellos haben wir gegenwärtig aber mit der permanenten Sprach- und Musikglocke, in der wir uns bewegen, meist auch, um uns vor den Geräuschen der Hörumwelt zu schützen, eine Abwertung der Hörkultur geschehen lassen, der sich auch auf den Rundfunk auswirkt oder eher: diesen in großen Zügen prägt. Der permanente Musikstrom aus den unendlichen Tiefen der digitalen Speicher gerät zum Anschlag auf die Autonomie, jedenfalls zu einer Belästigung.“

„We fell in love with electronics“, flüsterte mir vor vielen Jahren mein HistorikerFreund Jerrold in front of a „Radio- Shack“ in downtown-Manhattan zu und ahnte damals  bereits, daß der elektronische Bewußtseinsstrom  eindimensional daherkommen und den Menschen ob all des smarten Rauschens antiquiert erscheinen und vor lauter prometheischer Scham in den Boden versinken lassen würde.

Niemand ist mehr Herr oder Dame seiner selbst. Alles Getriebene, die zu gerätekompatibler Anpassung neigen. Darüber lässt sich trefflich schwadronieren. Meistens jedenfalls. Was auch für den „Spiegel“ gilt. Der schwadroniert sich seit Langem ins journalistische Abseits, wenn man dem heute abend bei „Mehrspur“ hörbaren Medienreflex von taz-Redakteur David Denk lauscht.

Da war doch diese Sache mit dem selbstverliebten Spiegelautor René Pfister, dem verweigerten Henri-Nannen-Preis und der zur dumpfen Metapher denunzierten Modelleisenbahn vom alten Seehofer. Endlich wurde der staunenden Öffentlichkeit und auch David Denk klar, in was für elenden Zeiten wir leben: „Der Spiegel WAR mal das Sturmgeschütz der Demokratie, hat sich aber mittlerweile zu einem Elfenbeinturm der Selbstgefälligkeit entwickelt. Vielleicht muss man doch nicht unbedingt Reporter sein – zumindest nicht so einer.“ Gut gebrüllt.

„Mehrspur“ also, Radio reflektiert, irgendwie provokant auf allen Spuren, dazu noch Hörspiel- und Featureinfos und der eine oder andere Sound vom hauseigenen „DokuBlog“ – Ohr, was willst Du mehr. Just listen! (via Äther, Kabel, Livestream oder Podcast)

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