Der Bär flattert in nördlicher Richtung.
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In der Diskussion um den jungen SS-Landsknecht Günter Grass wird ständig die Integrität und der Anstand des ›Schriftstellers Grass‹ gelobt. So weit ist es damit aber nicht her! Auch Grass schreibt ab wie die meisten Autoren. Im April 2002 haben wir in der ›Schröder erzählt‹-Folge ›Ausländer, Behinderte, Andersdenkende‹ dazu ein Beispiel gebracht:
Und gleich noch eine Abschweifung von der Abschweifung zum Thema Web und zur Trittbrettfahrerei. Ich rede von unserem größten Anstandsdarsteller Günter Grass und seinem neuen Internet-Roman ›Krebsgang.de‹. Der ist auf unfreiwillige Weise saukomisch, weil ein alter Zausel, der vom Internetzl nun wirklich keinen blassen Schimmer hat, sich von seinem Rechercheur Olaf Mischer ein xxx.de für ein uuu.de vormachen ließ. Du meinst, Grass hat eigenhändig geklaut? Ach, ob er nun selbst der Täter ist oder dieser Mischer, ist doch eigentlich egal. Tatsächlich sind zwei von drei Personen, deren Biographien die neue Grass-Novelle folgt, schlicht und einfach abgeschrieben, und zwar nicht aus dem Internet, sondern aus einem 1986 erschienenen MÄRZ-Buch, dessen Rechte nach wie vor bei uns liegen, also nicht frei sind. Der vollständige Titel lautet: Emil Ludwig und Peter O. Chotjewitz, ›Der Mord in Davos · Texte zum Attentatsfall · David Frankfurter · Wilhelm Gustloff‹, herausgegeben von Helmut Kreuzer.
Da gab es keine Anfrage des Ethikapostels Günter Grass oder seines Rechercheurs Olaf Mischer oder der Lektoren Helmut Frielinghaus und Daniela Hermes. Ganz zu schweigen vom Verleger Gerhard Steidl, bei dem auch der ›Ratgeber für Freie in Kunst und Medien‹ erscheint, wo man auf den Seiten 62 und 63 alles Wissenswerte über unerlaubte Nutzung und Plagiate nachlesen kann.
Na ja, man hat sich im Hause Steidl schon etwas Mühe gegeben, den Text leicht zu verändern. Wenn in unserer Ausgabe steht: »An der Hauptstraße zeigt ihm (David Frankfurter; d. A.) ein Schild den Weg zur Residenz des Landesleiters an: ›Landesgruppe Schweiz der NSDAP‹. Der Wegweiser mit seinen stolzen Buchstaben, der hier zum Staat im Staate weist, zeigt ihm die Richtung zum blauen Hause mit dem flachen Dache, ein wenig unter der Straße«, so heißt es bei Günter Grass: »Am Dienstag wurde ihm (David Frankfurter; d. A.), nun vor Ort, ein wetterfest beschrifteter Wegweiser – ›Wilhelm Gustloff NSDAP‹ – behilflich: von der Kurpromenade zweigte die Straße ›Am Kurpark‹ ab und führte zum Haus Nummer drei. Ein waschblau verputztes Gebäude mit Flachdach«, und so weiter und so fort. Klagen? Wegen der urheberrechtlich relevanten Differenzierung von freier Benutzung und abhängiger Bearbeitung? Wegen der gewaltigen eigenschöpferischen Leistung der Veränderung von »blau« zu »waschblau« oder eines »flachen Daches« zu einem »Flachdach«? Ich bin doch nicht verrückt, meine Lebenszeit mit einem Prozeß gegen Günter Grass zu verplempern!
Überhaupt ist die Idee absurd, hochintelligente Nazis – Intelligenz ist ja das hervorstechende Merkmal der Glatzen – als Historiker im Internet forschen zu lassen. Genauso abwegig ist die Behauptung, das Vertriebenenthema sei jahrzehntelang tabu gewesen. Ich frage mich, wo Günter Grass in der Zeit von 1945 bis 1965 gelebt hat? Damals saß eine Revanchistenpartei namens ›Gesamtdeutscher Block/BHE‹, das ist der ›Bund Heimatvertriebener und Entrechteter‹, im Bundestag. Das Feuilleton kaut den Tabu-Blödsinn rauf und runter, anstatt daran zu erinnern, daß die Nazifunktionäre der Vertriebenenverbände Zehntausende ihrer Anhänger in die größten Hallen hetzten und die Bundesrepublik sich jahrelang eigene Vertriebenenminister leistete, darunter den Erznazi Theodor Oberländer. Schluß mit dem Quatsch!
(BK / JS)