vonsaveourseeds 29.11.2009

taz Blogs


Willkommen auf der Blogplattform der taz-Community!

Mehr über diesen Blog

„Neuer Greenpeace-Chef kündigt Strategiewechsel an“ verkauft der Spiegel ein Interview mit dem frisch gebackenen Direktor von Greenpeace International, Kumi Naidoo (oben) und treibt mich mit dieser Pressemitteilung zum Kiosk: „Skeptisch äußert sich Naidoo dagegen über die grundsätzlich ablehnende Haltung von Greenpeace gegenüber Techniken wie etwa der Abtrennung und Speicherung von Kohlendioxid in Kraftwerken oder der grünen Gentechnik. Angesichts von Entwicklungen wie dem Goldenen Reis, der unterernährte Kinder mit Vitamin A versorgen und vor der Erblindung bewahren könnte, wolle er prüfen, ob diese Positionen nicht revidiert werden müssten: „Wir müssen sichergehen, keine neue, richtige Entwicklung zu verpassen.“

Im Original liest sich dies freilich schon etwas anders:

Spiegel: Die Gentechnik hat den Goldenen Reis hervorgebracht, der unterernährte Kinder mit Vitamin A versorgen und vor der Erblindung bewahren könnte. Was hat ein afrikanischer Greenpeace-Chef dagegen?

Nicht Naidoo, sondern der Spiegel ist also der Meinung, mit „Golden Rice“ könnten unterernährte Kinder gerettet werden.

Naidoo: Über diese Frage habe ich ein ganzes Wochenende nachgedacht. Ich habe keine naturwissenschaftliche Erfahrung, und deshalb will ich auch alle unsere wissenschaftlichen Positionen noch einmal untersuchen. Wir müssen sichergehen, keine neue, richtige Entwicklung zu verpassen.

Mehr sagt Naido erst mal nicht. Man ist geneigt zu denken „naja, davon versteht er nix und redet sich erst mal raus“ – von Strategiewechsel (ausser dass er jetzt öfter mal hungerstreiken will) ist wenig zu erkennen. Allerdings wird der neue Mann an der Spitze der (Um)Weltorganisation wohl noch länger als ein Wochenende darüber nachdenken, auf welche Goldwaage man als Greenpeace-Häuptling seine Worte legen muss und wie schnell man in dieser Position mitten in die „Hund beißt Mann“-„Sch…“ tritt, ohne die der Rest seiner Ausführungen wohl keine Vorabmeldung wert gewesen wäre. Vielleicht sollte er sogar seine Vorgänger danach befragen weshalb Greenpeace immer dann am besten fuhr, wenn es Taten statt Worte (zumal seiner Chefs) für sich sprechen ließ.

Zur Sache gäbe es in aller Kürze Folgendes anzumerken: Der Vitamin-A-Reis ist alles andere als neu. Er wird seit nunmehr 10 Jahren durch die Medien gezogen, ohne dass je ein von Vitamin-A-Mangel geplagter Mensch in seinen Genuss gekommen wäre. Das hat viele Gründe, von denen einige mit technischem Versagen, andere mit Patentstreitigkeiten und wieder andere damit zu tun haben, dass die ganze Idee vielleicht von Anfang an nicht die beste war und nicht aus der Praxis des Kampfes gegen Vitamin-A-Mangel entstand, sondern aus dem Bedürfnis, den Wohltaten Gentechnik, jenseis von Pestizid-Toleranz in Monokulturen, ein humanitäres Aushängeschild zu verschaffen.

Um dies zu erkennen bedarf es weniger naturwissenschaftlicher Erfahrung, als gesunden Menschenverstandes. Vitamin-A Mangel, in der Regel eines von mehreren Symptom schwerer Unter- und Fehlernährung und daraus folgender Krankheiten, wird durch sogenannte „Biofortifikation“ seit Jahrzehnten mit teilweise gutem Erfolg bei Schwangeren und Kleinkindern bekämpft. Allerdings kann eine solche spezielle Verabreichung des lebenswichtigen Mikronährstoffes keine ausgewogene Ernährung ersetzen. Dafür sind Hausgärten und andere Formen nachhaltiger Verbesserung der Ernhährungsqualität sehr viel besser geeignet. In Notsituationen dagegen wirken direkte Gaben von Vitamin-A und nicht seines Vorläufers Beta-Karotin (wie beim „Golden Rice“) zuverlässiger und schneller, weil der Körper beispielsweise Öl und eine ausreichende gesundheitliche Konstitution braucht, um das Provitamin-A zu verarbeiten. Gerade daran aber mangelt es den Betroffenen häufig, wie die Weltgesundheitsorganisation WHO aus langjähriger Erfahrung weiss. Sie hat deshalb das von der Rockefeller Fundation und Syngenta gesponsorte Projekt der Molekularbiologen Beyer und Potrykus nie wirklich unterstützt.

Eine ausführliche Bestandsaufnahme des „Golden Rice“ Projektes, seiner tatsächlichen wie medialen Wirkung legte übrigens unlängst foodwatch, die Organisation des Naidoo-Vorgängers Thilo Bode, vor. Auch Greenpeace selbst ist seit Beginn des Projekts dem „Goldenen Reis“ auf der Sput geblieben.

Als ich (damals noch Leiter der Gentechnik-Kampagne von Greenpeace International) Herrn Potrykus im Jahre 1999 tief enttäuschte, weil ich nach intensiven Diskussionen mit ihm und vielen anderen Experten auf einer Pressekonferenz die Menge an Reis aufhäufte, die damals nötig gewesen wäre, um sich über sein Konstrukt die von der WHO empfohlene Tagesration Vitamin A einzuverleiben, stand er neben mir und mußte mir beipflichten. Seither hält Potrykus Greenpeace gerne für den Schuldigen am Versagen seines Projektes, hat Syngenta das Konstrukt komplett neu erstellt, hat sich herausgestellt, dass auch natürlich vorkommende Reissorten hohe Mengen an Beta-Karotin enthalten, sind tausende von Artikeln über die angebliche Wunderwaffe erschienen und hat doch noch kein Kind je diesen Reis gegessen – mit Ausnahme einiger  Kinder, an denen er in jüngster Vergangenheit wohl erstmal getestet wurde.

Die Debatte um das Für und Wider des Reises ist mittlerweile ein Standard-Stoff in Curricula für Studenten.

Kumi Naidoo mag all das vielleicht an jenem denkwürdigen Wochenende noch nicht vollständig erfaßt haben. Was er ab Montag wissen sollte, ist, wie schnell man als Greenpeace-Chef aufs Glatteis geführt wird. Wir wünschen ihm bei seiner weiteren Arbeit viel Erfolg und ein wenig mehr Glück im Umgang mit den Medien.

Weitere  goldene Worte des neuen Vorsitzenden Kumi Naidoo gibts auf youtube

Update 2.12.2009

Wir sind beeindruckt: Frau Happach-Kasan von der FDP verteidigt in einem Kommentar Greenpeace gegen unsere Missverständnisse, die CDU/CSU Fraktion des Deutschen Bundestags begrüßt den angeblichen Sinneswandel bei Greenpeace und auch die Süddeutsche schließt sich dieser Lesart an.

Besonders gefreut haben wir uns über einen Kommentar von Prof. Ingo Potrykus, dem Erfinder des „Golden Rice“, auch wenn seine Argumente einmal mehr nicht wirklich überzeugen konnten. Sein Statement, die Verzögerungen hätten „nichts mit Patenten oder technischen Schwierigkeiten zu tun. Sie beruht ausschliesslich auf den Vorschriften für den Umgang mit transgenen Pflanzen.“ legen die Frage nahe weshalb in der gleichen Zeit Dutzende anderer Gentechnikpflanzen genehmigt wurden. Zu seiner Behauptung, schon eine Tasse seines Reistyps von 1999 hätte ausgereicht um ein Kind vor Vitamin-A-Mangel zu bewahren, haben wir tief in unseren Archiven gekramt und stellen hier die damalige Originalberechnung zur Verfügung.

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/greenpeace_jetzt_fuer_gentechnik/

aktuell auf taz.de

kommentare