Am 16.02.25 wurde zum zweiten Mal das neue Diskussionsformat der ARD Hart aber Fair 360 ausgestrahlt. Dieses Debatten-Format stammt aus den USA und funktioniert folgendermaßen: Ein/e Politiker*in sitzt in der Mitte eines Studios, umgeben von 25 Wähler*innen. Die Diskussion ist dynamisch gestaltet. Jede/r Teilnehmer*in kann sich in die Mitte buzzern, um seine Fragen zu stellen und somit einen kontroversen Meinungsaustausch zu fördern.
Ob dieses Format sinnhaft ist oder nicht, soll hier nicht erörtert werden. Da diese Sendung aber ein weiteres anschauliches Beispiel für die destruktive Debattenkultur der afd war, möchte ich die Gelegenheit nutzen, einen der schlimmsten Populisten (da ständig medienpräsent) der afd genauer unter die Lupe zu nehmen, der am 16.02. auch bei Hart aber Fair 360 zu Gast war: Tino Chrupalla, der Görlitzer Bundestagsabgeordnete und Parteivorsitzende.
Dabei soll es nicht um die Person Tino Chrupalla gehen. Nicht nur, weil afd-Politiker*innen keine sonderlich spannenden Persönlichkeiten sind, eher verbittert und stumpf, sondern auch, weil es die Rede ist, die endlich einmal Aufmerksamkeit bekommen soll. Diese ist nicht nur ein elementarer Bestandteil der Demokratie, sie befindet sich auch seit mindestens einem Jahrzehnt unter Dauerbeschuss von rechts.
Die afd (und ihr „Vorfeld“ die „Neue Rechte“) versuchen sie zu zersetzen, sie ins Absurde zu drängen, um dann endlich, wenn alle Regeln und Hemmungen gefallen sind, zur Tat schreiten zu können. Wie bei allen Rechtsextremisten ist auch bei der afd eine regelrechte Geilheit auf die Tat und eine Verachtung des ewigen Redens zu beobachten. Man hört dort ständig: Es muss „ausgemistet“ werden, „endlich Schluss sein“ mit den Eliten und der Migration.
Höcke schwafelt von einer „Tat-Elite“ (ein NS-Begriff und Anspielung auf die SS), die notwendig sei, um das Land zu retten. Oder wie es Götz Kubitschek, der einflussreiche „Denker“ der Neuen Rechten, mit dem auch afd-Größen wie Höcke in regem Austausch stehen (Chrupalla hatte ebenfalls Audienzen beim Meister), in seinem bereits 2006 publizierten Artikel „Provokation“ formuliert: „Unser Ziel ist nicht die Beteiligung am Diskurs, sondern sein Ende als Konsensform, nicht ein Mitreden, sondern eine andere Sprache, nicht der Stehplatz im Salon, sondern die Beendigung der Party.“
Über den „Konsensdiskurs“ zieht er weiterhin her, in diesem „richtungsweisenden“ Artikel für die Neue Rechte, erkennt zumindest das „Kernstück demokratischer Verfasstheit“ an, das „miteinander Reden“, belustigt sich aber darüber, verachtet es mit der Floskel: „über fast alles wird geredet, nichts wird entschieden“.
Das kennt man von afd-Wähler*innen. Das kann man als die naive Weltvorstellung des Faschisten bezeichnen: Handeln ist Stärke, Reden ist schwach. Doch die Rede ist notwendig, um eine pluralistische und gerechte Gesellschaft, einen Ausgleich von unterschiedlichsten Interessen und Perspektiven, überhaupt erst zu ermöglichen. Ohne Rede, keine Demokratie. Das wissen die Rechten.
Ihnen geht es nicht und ging es nie um das bessere Argument. Es geht ihnen darum, das Argumentieren an sich zu zerstören, die Plausibilität, die Faktizität und die Schlüssigkeit, die ein besseres Argument überhaupt erst ermöglichen. Hier wird die Axt angesetzt, kontinuierlich. Die Verwüstungen, die das alles angerichtet hat, sehen wir mittlerweile in jeder Talkshow, in jedem Interview mit diesen Leuten und auf jeder Montagsdemonstration.
Der Diskurszersetzer geht ans Werk
In der Sendung musste man beobachten, dass einige der Diskutant*innen, größtenteils Bürger*innen ohne entsprechende rhetorische Schulung, von dieser destruktiven Art der Rede regelrecht überrollt wurden. Das passiert Markus Lanz auch regelmäßig. Andere Journalist*innen bekleckern sich ebenfalls kaum mit Ruhm, wenn sie sich mit der afd auseinandersetzen. Die rhetorischen Strategien der Demagogen sind zu wirkungsvoll. Nachfolgend einige Beispiele, in einer kleinen Chronik der Ereignisse der Sendung:
#1 Diskutant Nr. 1 weist Chrupalla draufhin, dass der Austritt aus dem Euro für den Exportweltmeister Deutschland katastrophal wäre und die afd innovationsfeindlich ist, bezüglich erneuerbarer Energien. Chrupalla antwortet gemäß afd-Playbook nicht mit dem Erklären der eigenen Vorhaben, der eigenen Politik, sondern beginnt erst einmal genüsslich mit der Kritik an der bisherigen Politik, der Ampel, die das Land heruntergewirtschaftet habe.
Dies ist das rhetorische Einmaleins der afd: aussweichen und den politischen Feind schlechtreden. Dabei verwendet er den Begriff „Deindustrialisierung“, der von Rechten mittlerweile als Kampfbegriff gebraucht wird, und behauptet, alle Wirtschaftszeitungen des Landes würden das genau so sehen – eine Falschbehauptung, die wie so vieles, was afd-Funktionäre in öffentlichen Diskussionen fallenlassen, einfach stehen bleibt, ohne Beleg. Die Beweispflicht liegt jedoch stets bei demjenigen, der eine Behauptung aufstellt – eine Regel, die die afd regelmäßig auf den Kopf stellt. Ohne Konsequenzen befürchten zu müssen.
Das Fatale daran: durch solche Begrifflichkeiten und Horrorszenarien wie „Deindustrialisierung“ wird Realität gemacht. Das weiß die afd. Das gab es 2015 schon. Wir erinnern uns an das Unwort „Flüchtlingswelle“. Man muss die Falschbehauptung oder die leere Behauptung nur oft genug wiederholen, irgendwann hat sie sich im Sprachgebrauch der Öffentlichkeit eingenistet – spätestens, wenn Journalist*innen dieselben Begriffe verwenden, wie mittlerweile auch „irreguläre Migration“ (von der Union ganz zu schweigen).
Um das zu erreichen, gibt es ein unscheinbares, aber hocheffizientes Mittel: den Nebensatz. Dieser ist unauffällig, er wird hinterhergeschoben, er streift das Thema nur am Rande und entgeht oft der Aufmerksamkeit des Gesprächspartners. Im Nebensatz treibt die afd ihre Vorstellungen, ihre Ideologie ins Bewusstsein der Bevölkerung. Das ist es ganz konkret, was Kubitschek meint, wenn er nicht mehr „Mitreden“ möchte, sondern eine „andere Sprache“ fordert.
Auf den berechtigten Einwand des Diskutanten Nr. 1, dass man als Exportweltmeister nicht auf „Germany first machen kann“, entgegnete Chrupalla dann süffisant: „Wir sind kein Exportweltmeister mehr, wir sind jetzt Moralweltmeister.“ Die nächste Bullshitgranate. Natürlich kann der Diskutant darauf nicht reagieren, wer kann auf solche Phrasen adäquat eingehen, wenn er vernünftig diskutieren möchte?
Man sollte es machen wie afd-Funktionäre: sich erregen, das Gesagte in Frage stellen, ins Lächerliche ziehen, die Aussage als Unsinn oder Schwachsinn abtun, behaupten, dass die Realität eine ganz andere sei. Dann aber wäre man unhöflich und unvernünftig. Darauf setzt die afd. Die Strategie der Nebensätze wirkt.
Im weiteren Gespräch behauptet Chrupalla es kämen keine Fachkräfte nach Deutschland, sondern nur Unqualifizierte, die ins Bürgergeld einwandern. Auch das bleibt in der Hitze des Gefechts stehen. Während der Diskutant noch auf Umfragen aus der Wirtschaft hinweist, wechselt Chrupalla seine Rolle vom Retter der Wirtschaft zum Vertreter des Kleinen Mannes.
Ihn interessiere „der Bürger“ und die kleinen, mittelständischen Unternehmen, Handwerker, nicht „irgendwelche Umfragen der Wirtschaft“. Diesen Rollenwechsel wird er öfter vollziehen und zwar immer dann, wenn es ihm passt, bspw. wenn er Studien in Zweifel ziehen möchte. Diese kleinen Wortgefechte am Rande, diese Dynamik aus Falschbehauptung und Leugnung der Falschbehauptung, ist ein probates Mittel, Diskussionen zu zerstören. Es funktioniert immer wieder.
Delegitimation von Institutionen
#2 Beim Diskutanten Nr. 2, einem Migrationsforscher, zieht Chrupalla den nächsten afd-Klassiker aus der Rhetorik-Trickkiste: Zweifel an etablierten Institutionen streuen – eine Kernstrategie der afd und neuen Rechten. Das Schema lautet stets: Studien, die negative Auswirkungen einer afd-Politik darlegen (bspw. im Bereich Wirtschaft), werden dadurch zu widerlegen versucht, indem die Seriosität des Forschungsinstituts bezweifelt wird. Meistens in der Verbindung mit der berühmten Selbst-Viktimisierung (Opferrolle).
So auch hier: Der Migrationsforscher spricht von einer Studie, die darlegt, dass die Rhetorik der afd Angst und Sorgen bei internationalen Fachkräften, aber auch bei deutschen Bürger*innen mit und ohne Migrationshintergrund erzeugt. Chrupalla fragt sofort scharf nach, wer die Studie in Auftrag gegeben habe. Bei der Antwort (das Deutsche Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung) lacht er abfällig und äußert „ach die“. Mehr braucht man nicht, um zu verdeutlichen: kommt ihr doch mit euren Studien, ich brenne sie nieder mit nichts als heißer Luft.
Etwas später geht es darum, dass auch Deutsche darüber nachdenken, ihr Land zu verlassen, wenn die afd an die Macht gelangen sollte – dies sei ebenfalls in der Studie deutlich gworden. Chrupalla versucht dies zu entkräften: „Mir ist kein einziger persönlich bekannt in meinem Wahlkreis“ und hält das anscheinend tatsächlich für ein legitimes Argument.
Die eigene Erfahrung wird zum Maßstab für alle anderen erhoben – eine weitere beliebte Strategie von Rechten und prinzipiell von dogmatischen Denkern (hier ein Hinweis auf den berühmten dogmatischen Fehlschluss).
Dadurch lässt sich ganz hervorragend der Bestätigungsfehler bedienen: Man wählt an der eigenen Erfahrung aus, was für die eigene These spricht. Der Rest ist egal. Der Rest entspricht nicht der Realität. Den Rest kann man auf den Müllhaufen der Geschichte werfen.
Der Migrationsforscher weist richtigerweise darauf hin, dass die „anekdotische Evidenz“ von Chrupalla nicht dasselbe Gewicht hat wie repräsentative Studien (Chrupalla hat diesen Begriff wahrscheinlich noch nicht einmal gehört), woraufhin Chrupalla sich wieder als Verfechter des kleinen Mannes inszeniert: „Ich mache Politik für Bürger und nicht für Studien“. Dass in den Studien ja gerade Bürger*innen befragt werden (und auch ein paar mehr als Chrupalla auf seinen kleinen Wahlkreistouren trifft), scheint ihm nicht klar zu sein.
Die Ziel dieser Strategie ist: Alles soll im Sumpf der Subjektivität verschwinden, der dominiert wird, durch die ständige Erzählung verallgemeinerter Erfahrungen von irgendwelchen Bürger*innen, mit denen man angeblich ständig spreche.
Alles umdrehen, alles nierderquatschen
#3 Diskutant Nr. 3 zerschellt dann förmlich an Chrupallas „du Selber“, „das habe ich nicht gesagt“ und „ne, das haben sie gesagt“-Strategie. Es geht um Weidels Aussage, dass Hitler ein Linker sei. Diese Behauptung streitet Chrupalla zunächst ab. Dann wiegelt er ab und entgegnet, dass man Frau Weidel selber fragen müsse. Auch das ist bekannt bei der afd: Parteivorsitzende übernehmen keine Verantwortung für die politischen Aussagen (und damit Handlungen) ihrer Parteimitglieder.
Man müsse diese selber fragen, hört man dann. Oder: die afd ist eine kontroverse Partei, da gibt es auch unterschiedliche Meinungen. Oder: jeder könne doch seine eigene Meinung haben, das ist ja wohl noch erlaubt. Die Zivilgesellschaft fordert regelmäßig Verantwortungsübernahme von Weidel und Chrupalla. Und jedes Mal läuft sie ins Leere. Man kann nicht verstehen, dass der afd Aussagen egal sind. Es geht ihnen nicht um eine bestimmte Qualität von Aussagen. Es geht ihnen um Quantität. Um eine Masse, die alles ersticken soll, was nicht ins rechte Weltbild passt.
Es ist das berühmte „Flood the zone with shit„. Man will die Leute beschäftigt halten, im besten Fall provozieren, damit man Aufmerksamkeit erhält. Dementsprechend verblüfft geht auch der Diskutant in dieser Situation unter. Chrupalla weist alles von sich und stellt sich dumm.
Um sich später dann doch einmal zu widersprechen. Am Anfang des Gesprächs äußert er: „Hitler war kein Linker, das ist klar“. Später äußert er „Hitler war ein Nationalsozialist und damit ein Sozialist, da wird nichts neu geändert, das ist in der Geschichtswissenschaft unumstößlich.“ Komplett irre.
#5 Die nächste Diskutantin Nr.5 lässt sich ebenso aufs Glatteis führen: Sie ist Lehrerin an einer Grundschule. Sie fragt Chrupalla inwiefern man neutral sein soll, wenn Kinder Naziparolen von sich geben. Chrupalla bezweifelt zunächst, dass dies der Fall sei. Ob die Lehrerin einen echten Fall kenne, woraufhin sie zu Höcke umschwenkt. Bei diesem sei es denkbar, dass er seinen Kindern das Gedankengut des Nationalsozialismus näher bringt, behauptet die Diskutantin.
Hier kann sich Chrupalla nun echauffieren: es gibt keinen handfesten Beweis für diese Behauptung, auch wenn man natürlich davon ausgehen muss. Während die afd nur wenige ihrer Behauptungen schlüssig belegt, greift sie bei den Behauptungen ihrer Gegner*innen umso freudvoller an, wenn Ungenauigkeiten vorliegen oder Dinge nicht handfest bewiesen sind. Allerdings auch diese ohne Konsequenz. Die afd muss sich nur selten rechtfertigen für das, was sie behauptet. Nicht denkbar, wenn man dieses „Bullshitten“ systematisch belegen und die Erkenntnisse selbst in den Diskurs einbrächte, wie es der Blog Volksverpetzer kürzlich getan hat. Für „echte“ Journalist*innen anscheinend undenkbar.
Die Unschuldsvermutung gilt nur für die afd
#6 Diskutant Nr. 6 versucht Chrupalla ein Statement zu Desinformation und Kontakten zu extremistischen Gruppen zu entlocken. Beides streitet dieser einfach ab. Die Vernetzung in die Reichsbürgerszene und Beteiligung an Umsturzplänen durch die ehemalige Bundestagsabgeordnete Frau Malsack-Winkemann wischt Chrupalla damit vom Tisch, dass das Verfahren noch laufe.
Er nimmt die Unschuldsvermutung für die afd in Anspruch, während diese in ihren Reden stets alle geflüchteten Menschen in die Schuld nimmt (noch bei der Diskussion mit Diskutant Nr. 1 hat er behauptet, es kämen nur Unqualifizierte nach Deutschland, die in das Bürgergeld einwandern). Die Schuld dafür, dass es Deutschland schlecht geht.
Diese Widersprüchlichkeit ist gewollt. Sie ist der afd egal. Man nimmt sich, was man braucht, um zu sabotieren und um zu gewinnen. Natürlich überzeugt das niemanden, der sich ernsthaft mit Dingen beschäftigt. Aber es überzeugt genug Menschen in ihrer undifferenzierten Wut auf alles und jeden, was nach „die da oben“ oder was nach „links“ aussieht. Chrupalla bedient die ganze Palette. Schließlich bekommt er dann wieder die Möglichkeit, den Verfassungsschutz zu diskreditieren.
Um es hier an dieser Stelle noch einmal klar zu sagen: es gibt keinerlei Beweis dafür, dass der Verfassungsschutz im Auftrag der Politik agiert, um die Opposition auszuspionieren und zu sabotieren. Es gibt keine Papiere, die geleakt wurden, es gibt keine Aussagen von Whistleblowern, nichts. Dieses Märchen wird seit Jahren erzählt und niemand widerspricht dem vehement.
Wenn man so etwas behauptet, dann hat man besser handfeste Beweise. Stattdessen misshandelt die afd den Umstand, das sie beobachtet wird (weil sie rechtsextrem ist), als angeblichen Beweis dafür, dass der Verfassungsschutz politisch gesteuert ist. Es ist ein völlig absurdes Argument. Aber in keinem Talkshow-Format wird dieser Sachverhalt einmal tatsächlich klar dargestellt.
Der Ökonom lässt nicht locker
Lediglich der Ökonom Maurice Höfgen, der später dran ist, kann in dieser Diskussion punkten, weil er etwas tut, was andere Diskutant*innen versäumt haben (was aber auch leichter gesagt als getan ist und Erfahrung im öffentlichen Argumentieren voraussetzt, die nicht viele haben): Er bleibt stets bei dem angesprochenen Thema, der angesprochenen These, er lässt Chrupalla nicht davon galoppieren (der Gish Galopp ist Chrupallas Spezialität), in die Absurdität; er unterbricht ihn ebenfalls (gerade bei Chrupalla muss man das tun), lässt ihn also seine eigene Medizin schmecken und er zeigt ihm immer wieder auf, dass seine Aussagen die Frage nicht beantworten. In diesem Fall: dass die Wirtschaftspolitik der afd nicht finanziert ist und nicht finanziert werden kann, wenn man die Schuldenbremse beibehält.
Chrupalla versucht sich mit absurden Punkten, die rechtlich fragwürdig sind (bspw. EU-Beiträge komplett streichen, Ausgaben für Migration um 90% senken, Rüstungshilfe für die Ukraine und Militärausgaben streichen – allesamt Vorhaben, die Deutschland direkt aus der EU und der NATO befördern und daher sowieso unrealistisch sind), über Wasser zu halten, irgendwie die notwendige Summe von 130 Milliarden Euro virtuell zusammenzukratzen, die die afd für ihre Pläne bräuchte. Er schafft es aber, nach sehr vielen Zugeständnissen von Höfgen, gerade einmal auf 80 Milliarden zu kommen.
An diesem Punkt beendet er einfach die Diskussion mit der Phrase „Ich glaube, ich habe ihre Frage nun ausreichend beantwortet“, was er natürlich nicht hat und auch Höfgen weist noch einmal darauf hin. So muss man das machen. Man muss kommentieren, was diese Leute rhetorisch machen. Man darf es nicht stehen lassen, wenn sie sagen: ich sehe das aber anders. Dann sieht es derjenige eben anders, aber unbelegt. Man darf nicht akzeptieren, wenn sie sagen: das stimmt nicht. Dann muss man Belege fordern.
An dieser Stelle endet die Chronik, aus Platzgründen. Das Fazit ist eigentlich seit längerem bekannt: Man redet mit Rechten nicht in Live-Talkshows, in denen sie sich inszenieren können. Oder man redet anders mit ihnen. Man macht öffentlich, was sie in ihrer Rede tun, man kommentiert ihre Falsch- und Leerbehauptungen, man benennt ihre Manöver. Doch das ist leichter gesagt als getan. Wir sind wohl noch nicht so weit.
Eine andere Diskurs-Kultur ist notwendig
Eine andere Kultur wäre notwendig. Eine Diskurs-Kultur, in der wir uns gegenseitig ernst nehmen. In der auch seriöse Politiker*innen nicht mit populistischen Falschbehauptungen auffahren, um der afd vermeintlich den Wind aus den Segeln zu nehmen. Wir brauchen eine neue Rationalität, die sich auf die Rede, das Argument bezieht. Wir sollten dieses wichtigste demokratische Werkzeug pflegen. Wir sollten es eigentlich verehren. Wir sollten keine Meinungen stehen lassen, die auf einer faktisch falschen Grundlage basieren. Wir sollten Menschen sagen, dass sie etwas behaupten, was sie nicht belegen können, wenn es aberwitzige Thesen sind.
Wir sollten Menschen sagen, dass sie ihre Behauptungen belegen oder begründen müssen, sonst sind sie leer. Dass sie Belege und gute Gründe(!) zu bringen haben, wenn sie irgendjemanden überzeugen wollen. Vielleicht werden wir dann alle etwas erkenntniskritischer. Vielleicht erkennen wir alle, dass man nicht alles erklären kann, dass es kein Argument gibt, dass alle anderen widerlegt. Vielleicht erkennen wir, dass wir nur sehr wenige Dinge ganz klar sagen können. Vielleicht lernen wir Demut und vielleicht lernen wir als Gesellschaft auch mal etwas intelligenter zu werden, als sprechende, als redende Gemeinschaft.
Doch danach sieht es nicht aus. Die Diskurszersetzer*innen, wie Chrupalla, scheinen auf dem Siegeszug zu sein. Die Zone ist mit Shit bereits überflutet, übervoll, wenn man so will. Die Massen an Unsinn, an Bullshit, brechen über unseren Köpfen herein. Eine gesellschaftliche Gruppe aus Querdenker*innen, Querfrontflötist*innen, Coronaleugner*innen, afd-Fans, Rechtsextremen und Verwirrten hat sich verbunkert. Schon lange.
Und jetzt wollen sie aus ihrem Bunker, aus ihrem Dogma heraus, die Welt verändern. Sie wollen ihren eigenen Vorteil. Sie wollen regieren. Sie wollen richten. Alle, die ihnen widersprechen. Sie geben sich als Demokrat*innen aus, aber sie verstehen nichts von Demokratie. Sie verstehen nichts vom Wert der Rede, die sie mit ihrer Wut und ihren leeren Behauptungen, ihren Lügen zerstören. Sie verstehen nichts von Kompromissen. Sie wollen Rache. Sie wollen endlich die „Sieger“ sein. Noch wird es ihnen nicht gelingen. Aber in vier oder acht Jahren – wer weiß, wie Deutschland dann aussehen wird.
Man soll einen Text möglichst nicht pessimistisch beenden. Aber manchmal geht es nicht anders. Ich wünsche uns allen einen erträglichen Wahlsonntag. Gut wird er nicht werden. Hoffentlich aber auch nicht katastrophal.
Sehr geehrte Damen und Herren von grenzstadtblog,
ich habe ihnen vor einigen Tagen einen Kommentar zukommen lassen, finde ihn aber nicht veröffentlicht. Ebenso hab ich von Ihnen keine Eingangsbestätigung meines Kommentars über meine Email-Adresse erhalten. Selbstverständlich würde ich nach Ihrer Moderation auch eine Nichtveröffentlichung akzeptieren. Aber das ich nichts von Ihnen „gehört“ habe, verwundert mich schon. Ebenso, das bisher kein Kommentar unter Ihrem Artikel zu finden ist.
Über eine Antwort würde ich mich sehr freuen.
Mit freundlichem Gruß
Andrea G.