vonSchröder & Kalender 10.10.2008

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Der Bär flattert in schwach nördlicher Richtung.

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Warum es manchmal besser ist, keine Grillwurst zu essen, obwohl sie köstlich duftet, steht heute in unserer jungen-Welt-Kolumne ›Bertolt Brechts Kahnfahrt‹:

Hier haben wir gesessen und keine Wurst gegessen.

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Bertolt Brechts Kahnfahrt

Untertitel für die Online-Ausgabe: Klasse gegen Klasse

Als wir noch in Augsburg wohnten, war die Zukunft der Haindl’schen Fabrik Stadtgespräch. Dieses letzte große Papierwerk wurde dann aus Familienbesitz vom finnischen Papierkonzern UPM-Kymmene übernommen – dem drittgrößten der Welt. UPM zahlte vier Milliarden Euro in bar und in Aktien an die diversen Mitglieder der Haindl-Familie.

Wenn von den Haindl-Papier-Tycoons die Rede ist, darf der Name Bertolt Brecht nicht fehlen, denn der große Dichter des Kommunismus wuchs in einem der Stiftungshäuser auf, welche Elisabeth Haindl zu Ehren ihres verstorbenen Mannes »für unbescholtene und ohne Schuld unbemittelte Augsburger, in erster Linie verdiente Arbeiter und Angestellte der eigenen Fabrik« gebaut hatte. Die Brecht-Familie wohnte in einem der Häuser, weil der Vater als Haindl-Prokurist in der Nebenfunktion Verwalter dieser Stiftung war. Natürlich hatten die Brechts ein ganzes Stockwerk für sich, sechs Zimmer mit Küche, Bad und zwei Aborten, dazu eine Kammer unterm Dach für das Dienstmädchen. Und ebenso natürlich hielt sich der Vater des Dichters eine Mätresse, von der die Familie wußte – aber darüber sprach man nicht. Gleich gegenüber den Stiftungshäusern liegen der Stadtgraben und die alte Wehranlage mit der Kahnfahrt. Auf diesem Gewässer ruderte Bertolt als Pennäler mit seinen zahlreichen Freundinnen, dann schlich er mit ihnen in seine Mansarde, und da wurde gevögelt. Später ruderte er dort auch mit seiner Freundin, der Schriftstellerin Marieluise Fleißer.

Mal abgesehen von seiner munteren Libido war das Umfeld der bitteren Armut, mit der Bertolt jahrelang Tür an Tür wohnte, prägend für das Gemüt des jungen Mannes – anders, als sein Vater es sich wünschte. Der hätte ihn gern als erfolgreichen Arzt oder Notar gesehen. In seinem Gedicht ›Verjagt mit gutem Grund‹ schreibt Brecht über seine Herkunft: »Als ich erwachsen war und um mich sah / Gefielen mir die Leute meiner Klasse nicht / Nicht das Befehlen und nicht das Bedientwerden / Und ich verließ meine Klasse und gesellte mich / Zu den geringeren Leuten.«

Auch für uns war der Biergarten mit der romantischen Kahnfahrt am Stadtgraben ein beliebter Ort, wir saßen öfter hier mit Freunden. Über das Essen kündet die Website: »Vom saftigen Steak vom Grill bis zur hausgemachten Sulz gibt es viele Kombinationen, die zum frischen Bier passen.« Wir haben da andere Informationen!

Einst saßen wir in fröhlicher Runde, der Wirt stand am Grill und arbeitete fleißig. Ein betörender Duft zog zu uns rüber. Wir diskutierten über unsere Bestellung, irgend jemand sagte: Ich nehme natürlich eine Grillwurst.« »Vorsicht!«, meinte Erwin, »Würste würde ich hier nicht essen.« »Wieso?!«, riefen alle wie aus einem Munde. Erwin ist Sozialpädagoge, der mit straffälligen Jugendlichen arbeitet und auch die Tage des unabhängigen Films veranstaltet. Er stammt aus Franken, hat einen trockenen Humor und nennt die Jugendlichen, die er betreut, »meine Klienten«.

»Wißt ihr«, begann Erwin seine Geschichte, »einer meiner Klienten hatte zusammen mit seinem Freund immer wieder mal in Gaststätten eingebrochen, um die Tageskasse mitzunehmen. Bei der Kahnfahrt war aber die Kasse leer. Also packten die beiden ein paar Flaschen Schnaps und eine große Packung Würste aus der Tiefkühltruhe ein. Sie wurden erwischt, und ich mußte mit meinem Klienten vor Gericht erscheinen. Der Richter wollte den Jungen zu einer saftige Strafe verurteilen, er war ja ein Mehrfachtäter. Da verteidigte sich mein Klient mit den Worten: ›Sehr geehrter Herr Richter, ich bitte Sie, mir keine so hohe Strafe aufzubrummen, denn die Würste waren ja schon fünf Monate abgelaufen.‹«

Diese Rede hätte dem jungen Ruderer auf der Kahnfahrt sicher auch gefallen. Brecht hin oder her, wir alle aßen in dieser lauen Sommernacht nur Pommes mit Ketchup.

(Foto: NN / BK / JS)

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