vonsaveourseeds 25.01.2010

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Einmal im Jahr beherrschen ein Teint und eine Kluft das Kleinberlin rund um den Funkturm, die sonst im Bild der Stadt kaum vorkommen: Rote Backen, auch Nasen, ein natürlicher Glanz von frischem Speck und ein Blick, der es nicht gewohnt ist, an Menschen vorbeizusehen, deshalb zuweilen ein wenig unsicher wirkt und doch ein selbstverständliches Selbstbewußtsein ausstrahlt. Lodenmäntel, Lederhosen, Kammgarn-Anzüge und andere zeitlose Festtagsaufzüge, die garantiert nicht von Boss oder Armani stammen: Die deutsche Bauernschaft, die es sich leisten kann, trifft sich zur Grünen Woche. Politisch war die 75. Grüne Woche allerdings eine nachgerade groteske Vogel-Strauss-Show einer fossilen Landwirtschaftskaste.Nach dem Regierenden Bürgermeister und der amtierenden Agrarministerin ziehen die Berliner Familien und Rentner durch die Fresshallen am Funkturm, streicheln Ziegen, Kühe und Schweine (11.000 Tiere waren insgesamt am Start), schlucken und mampfen was ihnen in den Weg kommt (42 Millionen Euro liessen 400.000 Gäste zum 75. Jubiläum der Messe in den 26 Hallen), stecken Werbematerial und Blumenzwiebeln weg, rauchen frierend im verdreckten Schnee vor den Stahltüren der Ausstellungshallen.

Milch, Gentechnik, Subventionen, Klima? Wer sich beruflich mit Landwirtschaft und Ernährung befaßt, will von Ministern, Bauernpräsidenten, EU-Kommissaren und ihren Opponenten die Themen der kommenden Saison erfahren. Doch die haben heuer schwer enttäuscht.

Was die nach billiger Gentechnik-Kritik riechende Kartoffel mit dem Elchgeweih, die Kiwi mit den Schweineohren, die Aubergine mit den Entenfüssen und die Banane mit dem Fisch-Schwanz dem geneigten Publikum eigentlich mitteilen sollten, mag das Geheimnis der Werbestrategen bleiben. Sie sagt zumindest einiges darüber aus welches Bild die staatlich geförderte Fress-Propaganda selbst vom wichtigsten Objekt ihrer Begierde, dem jugendlichen Publikum hat. Sie war vielleicht ein besserer Beitrag dazu, das Bild, das sich die städtische Öffentlichkeit von der Landwirtschaft macht, realistischer zu gestalten, als der „Erlebnisbauernhof“ und andere Tierschauen, die in so krassem Widerspruch zu den real existierenden Fleischfabriken stehen, dass es schon schmerzt. „Bitte haben Sie Verständnis, dass wir nicht jede Haltungsform auf der Grünen Woche zeigen können,“ Versuchte Bauernpräsident Sonnleitner einen aufgebrachten Tierschützer bei der Auftakt-Pressekonferenz zu beruhigen, „Sie sollten auch einmal akzeptieren, dass kein deutscher Bauer willentlich Tiere quält“. Die beiden kennen sich sichtlich schon länger.

Nach dem Willen von Ministerin Aigner sollte der Klimaschutz die Grüne Woche beherrschen: Eine aussageleere gemeinsame Erklärung von 45 Landwirtschaftsministern aus aller Welt als Gipfel ihre „Davos der Landwirtschaft“ stand der Ratlosigkeit der Staatschefs von Kopenhagen in nichts nach: „Gut dass man darüber mal geredet hat ohne etwas zu verändern“. Die einzige kleine Spitze, die Frau Aigner im Vorfeld zum Besten gegeben hatte, als sie darauf hinwies, dass eine Mässigung des Fleischkonsums der Gesundheit und dem Klima gut täten, hatte sie noch vor dem Start der Klimadiskussion und der Grünen Woche im Spiegel in aller Form wieder revidiert: „Wenn alle Menschen genug zu essen haben sollen, dann müssen wir auch die entsprechenden Treibhausgase in Kauf nehmen.“ Sie werbe durchaus nicht für eine Reduktion des Fleischkonsums.

Das begrüßte Bauernpräsident Sonnleitner denn auch gnädig und erläuterte den Sinneswandel der Ministerin unverhohlen: „Irritiert war ich schon, als Bundesministerin Aigner kürzlich den Klimaschutz in Beziehung zum Fleischverzehr setzte. Ich habe die Ministerin brieflich aufgefordert, ihre Aussagen klarzustellen.“ Denn „Verzichtsempfehlungen sind also gewiss der falsche Weg, das Weltklima zu retten.“ Denn, so Sonnleitners Milchmädchenrechnung, „als einzige Wirtschaftsbranche bindet die Land- und Forstwirtschaft klimaschädliches CO2 und liefert lebenswichtigen Sauerstoff“. So einfach, so grotesk, so weltfremd kann Landwirtschaftspolitik im Jahre 2010 noch immer sein und wird dafür von den Medien nicht einmal abgestraft.

Auch zur Gentechnik wußte Sonnleitner Absurdes zu bieten: Wenn sich die Gesellschaft gegen die Gentechnik entscheide, dann müsse sie mit gentechnisch verändertem Futter produziertes Fleisch „an den Grenzen der EU“ zurückweisen. Alles andere sei unehrlich. Damit meinte er vor allem die immer erfolgreichere Kennzeichnung „ohne Gentechnik“ von Milch und Fleisch mit der Marktführer wie Campina („Landliebe“) und „Wiesenhof“ ihre Produkte mittlerweile auszeichnen. Die sei unehrlich, denn sie berücksichtige mit gentechnisch veränderten Organismen in geschlossenen Systemen hergestellte Arzneien und Enzyme. Stattdessen plädierte er, ganz auf der Linie der FDP, auf einem vom Bauernverband ausgerichteten Podium von Gentechnik-Propagandisten unter dem Motto „Keine halbseidenen Lösungen in der GVO-Kennzeichnung mehr“, künftig auch nicht zugelassene GVOs im Futter zu akzeptieren.

In diesem Jahr werden die Weichen für die neue EU-Agrarpolitik gestellt, die ab 2013 die öffentlichen Mittel für den Agrarsektor und damit den Kurs der europäischen Landwirtschaft regelt. Es wäre fatal, wenn der auf der Grünen Woche vorgelegte Tenor „Mehr Wachstum, mehr Produktion, mehr Forschung und alles wird schon irgendwie gut“, vermischt mit der Vielzahl der Einzelinteressen an dieser oder jener Förderung, Preiserhöhung und Technologie diese nicht nur für das Klima (tatsächlich stammen 40% aller Klimaemissionen weltweit aus Landwirtschaft und Ernährung), die Artenvielfalt und Nachhaltigkeit, sondern auch für den Welthunger und die globale Gerechtigkeit entscheidende Dikussion bestimmt.

Der Chef des BUND, Hubert Weiger brachte es gestern auf den Punkt: „Das oftmals beschworene Bild einer schönen heilen Agrarwelt mit friedlich weidenden Kühen, freilaufenden Schweinen und Eiern von glücklichen Hühnern muss endlich einer realistischen Betrachtung der Verhältnisse weichen. Die Grüne Woche kommt am Streit über die Klimawirkungen der Agrarproduktion, über die negativen Folgen der Agrogentechnik und über Sinn oder Unsinn der Subventionsmilliarden nicht mehr vorbei.“ Sonnleitners Forderungen nach Fortsetzung der bisherigen Subventionspolitik führten zudem zum Sterben bäuerlicher Betriebe und zum Wachsen von Agrarfabriken. 150.000 Arbeitsplätze habe dies in den letzten 10 Jahren gekostet. „Wenn die Entwicklung so weitergeht, gehören Bauern in Deutschland bald auf die Rote Liste der vom Aussterben bedrohten Berufe.“

Apropos „Rote Liste“: Zu den interessanteren Veranstaltungen der Grünen Woche gehörte die Vorstellung eines Vorschlages des Bundesamtes für Naturschutz zur EU-Agrar-Reform. Die Präsidentin des Amtes forderte dort einen Paradigmen-Wechsel in der Agrarpolitik. „Im Mittelpunkt muss die Förderung einer multifunktionalen Landwirtschaft und eine angemessene Honorierung ihrer vielfältigen ökologischen Leistungen stehen,“ um die Erhaltung der Biodiversität in der Agrarlandschaft und einen höheren Beitrag zum Klimaschutz zu erreichen.

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