Ein letzter Gruß aus 2009, da mir noch ein paar Minuten bleiben, bis es losgeht zum Jahresrückblick „Auf Nimmerwiedersehen 2009!“ der Brauseboys, gleich mit zwei Vorstellungen heute, die (bis auf ein paar Plätze um 16 Uhr, wenn jemand sehr entschlussfreudig sein sollte …) allerdings schon ausverkauft sind. Dafür gibt`s morgen noch Platz, und was könnte es Schöneres geben, als am Neujahrsabend leicht verkatert auf das soeben überstandene Jahr zurückzublicken. Also, kommen Sie gern vorbei im Kookaburra in Berlin-Prenzlauer Berg, Schönhauser Allee fast Ecke Rosa-Luxemburg-Platz mit gleichnamiger U-Bahn-Station (entgegen dem Kookaburra-Präfix „Comedyclub“ machen wir keine Comedy, sondern wir lesen 2 Stunden lang unerbittlich vor und singen ein bisschen dazwischen – das sei nur erwähnt, um Schockzuständen vorzubeugen). Um 20.30 Uhr geht es los, und hier der noch kurzfristig von Frank Sorge fertiggestellte Video-Trailer dazu:
Dann möchte ich, quasi zum versöhnlichen Jahresausklang (obwohl, versöhnlich – na ja, liegt an der Perspektive) noch eine wunderbare Peter-Hacks-Vertonung von Danny Dziuk, aufgenommen kurz vor Weihnachten bei einem sehr schönen Konzert im Quasimodo, ans Herz legen, die „Ode auf Berlin“, denn es ist ja gar nicht alles schrecklich hier:
Und schließlich noch eine kleine besinnliche Wedding-Geschichte von mir selbst, die ich für die jungle world zum Thema „wahre Leistungsträger“ schrieb. In diesem Sinne: allen Guten ein erfolgreiches, schönes Jahr 2010, den ganzen Deppen, Islamisten und Islamophobikern, Klimaskeptikern, Menschenfeinden und Renditemaximierern gern auch ein schönes, aber doch bitte möglichst erfolgloses selbiges wünscht herzlich:
der Reptilienfonds
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Der Kapuzenmann
Wenn mich Bekannte aus anderen Städten hier im Berliner Wedding besuchen, wirken sie oft etwas irritiert, wenn sie nach ihren Streifzügen wieder zurück in die Wohnung kommen.
Dann ist ihnen der seltsame Kapuzenmann begegnet, ein bezirksbekannter Wahnsinniger schwer zu ermittelnden Alters zwischen 50 und 70, dessen Kopf gut unter einer weiten Kapuze verborgen ist und der mit fast unmenschlich scheinender Kraft den ganzen Tag durch die Straßen läuft und dabei in beeindruckender Lautstärke vor sich hin schimpft. Man kann es nicht verstehen, es ist, nach allem, was man so hört, ein seltsames Gemisch aus Deutsch, Türkisch und seiner ganz eigenen Paranoia-Sprache, aber es ist laut und klingt bedrohlich und zornig. So zornig, dass jeder neue Hassprediger in den Gebetsräumen ringsum vor Schreck erbleicht, wenn er ihn zum ersten Mal hört, so laut, dass selbst die Volltrunkenen auf ihren Bänken am Leopoldplatz kurz aus ihrem Dämmerschlaf aufschrecken und hochgucken, so bedrohlich, dass kein Taxifahrer es wagt, aus dem Fenster zu pöbeln, wenn der Kapuzenmann, ohne den Verkehr eines Blickes zu würdigen, zeternd quer über die Straße schreitet. Obwohl man bald weiß, dass er niemals stehen bleibt, dass er nie jemanden direkt anspricht, wechselt man stumm die Straßenseite oder drückt sich ganz an den Rand des Bürgersteigs. Jeder kennt ihn, aber niemand weiß etwas über ihn. Die Leute nehmen sein regelmäßiges Auftreten hin, so wie man es hinnimmt, dass es regnet oder ein Flugzeug im Landeanflug auf Tegel über die Müllerstraße donnert. Man ist froh, wenn es vorbei ist, aber man regt sich nicht groß auf. Und so zieht der Kapuzenmann schreiend und rasend und tobend weiter seiner unergründlichen Wege.
Sein Auftauchen hat stets eine rätselhafte Wirkung: Er macht die Menschen friedlich. Niemand, selbst der notorischste Islamisierungsphobiker, selbst der migrationshintergründigste Testosterontanker nicht, ja, nicht einmal ein eingeborener Berliner wagt es, nach einer Begegnung mit dem Kapuzenmann seine eigenen chronischen Schimpftiraden fortzusetzen. Man wagt es nicht mal, weiter so grimmig zu gucken, wie es hier Brauch und Anforderung ist. Manche lächeln sogar plötzlich, womöglich zum ersten Mal seit Wochen. Zu unbedeutend, geradezu absurd erscheint die eigene Übellaunigkeit, nachdem man einen kurzen Blick unter die Kapuze erhascht hat, zu groß die Erleichterung, dass der mysteriöse Mann folgenlos an einem vorbeigezogen ist, zu offensichtlich, dass man selbst einen Moment nicht der coole Großstädter war, sondern ein furchtsames, gar im Rahmen des Möglichen sensibles Wesen. Danach schimpft man nicht selbst einfach weiter, zumal in der Ausdruckskraft zwei Ligen darunter, danach wird man zurückhaltend, still oder gar freundlich, und sei es auch nur für kurze Zeit. So schlägt der Kapuzenmann eine seltene Bresche des Friedens durch den Wedding. Ihn wird das nicht stören. Jedenfalls nicht mehr als alles andere. Vielleicht stört ihn in Wirklichkeit aber auch überhaupt nichts. Vielleicht ist das sogar seine Mission. Wer weiß das schon.