vondorothea hahn 26.09.2010

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Bis Mitte der Woche ahnte ich nichts von seiner Existenz. Vor drei Tagen war er auf der Außenseite meines Wohnzimmerfensters. Vor zwei Tagen lief er über meinen Teppichboden. Gestern fand ich ihn in einem Artikel auf der Titelseite der „Washington Post“. Und heute ist er schon in diesem Blog.

Halyomorpha halys hat eine Blitzkarriere gemacht. Der fingernagelgroße Käfer verdankt seinen Aufstieg mindestens drei Faktoren: Der Globalisierung. Seinem eigenen Gestank. Und der ausgeprägten Fähigkeit der US-amerikanischen Medien zur Dramatisierung.

Der Käfer ist ein Neuankömmling in den USA. Erstmals wurde er Ende der 90er Jahre auf Zierpflanzen gesichtet, in Allentown, Pennsylvania, einem Bundesstaat nördlich von Washington. Vermutlich kam er als klandestiner Passagier an. Versteckt in einem Warencontainer aus Asien. Aus China, Korea oder Japan, wo seine alte Heimat ist.

In Pennsylvania begann für Halyomorpha halys ein neues, sorglosesLeben. Mit einer Käfergeneration pro Jahr. Und ohne natürlichen Feind. Das ist ganz anders, als in der alten Heimat. Dort  gibt es zwar bis zu fünf  Käfergenerationen pro Jahr. Aber von den 500 Eiern, die ein Weibchen legen kann,  schaffen es nur wenige bis zu ausgewachsenen Halyomorpha halys.

Statt durch Sojabohnen wie ihre Vettern und Basen in Asien fressen sich die amerikanischen Halyomorpha halys durch Äpfel, Tomaten, Paprika. Dabei gedeihen sie so trefflich, dass sie binnen eines Jahrzehnts bereits mehrere Bundesstaaten längs der Ostküste erobert haben: von New Hampshire im Norden, bis hinunter nach Maryland.

Dieser Sommer war ihr bislang bester.  Jetzt, da er seinem Ende entgegen geht, suchen mehr Käfer denn je nach winterfesten Quartieren. „Nachdem sie den Schaden auf dem Land angerichtet haben, sind die Stinkekäfer auf dem Weg in die Städte“, schreibt die „Washington Post“.

Dieser jahreszeitbedingten Migration verdanke auch ich meine erste Begegnung mit Halyomorpha halys. Als er vor zwei Tagen über meinen Teppichboden spazierte, las ich eine Urlaubspostkarte meiner kleinen Schwester. Ich hielt dem unbekannten Käfer die Karte mit dem Landschaftsbild aus Frankreich hin. Er war dumm genug, darauf zu laufen. Und ich schüttete ihn aus dem Fenster.

Das war mein Glück. Ohne die Postkarte wäre ich mit einer Fliegenklatsche auf ihn losgegangen – und hätte damit exakt das Falsche getan. Denn Halyomorpha halys rächt sich für Gewalt mit nachhaltigem – und auch posthumem – Stinken. In seiner alten Heimat nennen sie ihn deswegen „stinkende große Schwester“.

Ausser mit Gestank tut Halyomorpha halys Stadtmenschen wie mir nichts zuleide. In der Landwirtschaft hingegen richtet er schwere Schäden an. Sorgt nicht nur für Verluste bei der Gemüse- und Obsternte, sondern läßt ViehzüchterInnen auch um die Qualität ihrer Milch bangen: Weil ihre Kühe gleichzeitig mit getrocknetem Getreide auch Reste des Käfers fressen und dessen nachhaltigen Gestank an die Milch weitergeben könnten.

Um den Neuankömmling besser kennenzulernen, forschen bereits WissenschaftlerInnen an einem halben Dutzend Universitäten der USA über ihn. Ein Unternehmen arbeitet an einer Falle, die ihn mit Sexualhormonen anlocken soll.  Und das Landwirtschaftsministerium experimentiert mit natürlichen Feinden. Es hat winzige Wespen aus Asien importiert. Und testet in einem geschlossenen Labor, ob die Wespen, die in der alten Heimat die Larven von Halyomorpha halys fressen, in den USA dasselbe tun, oder ob sie möglicherweise andere Spezies attackieren, und sich damit selbst zu Schädlingen entwickeln würden.

Dank der „Washington Post“ weiss ich, dass ich es in meinem Wohnzimmer mit einer „Vorhut“ zu tun hatte. Für die nächsten Wochen kündigt die Zeitung eine „Invasion“ an und rät: Nicht erdrücken. Nicht erschlagen. Sondern vorsichtig mit dem Staubsauger aufsaugen und den Beutel anschließend sofort entsorgen.

Im Vergleich zu anderen Großstädten der USA haben wir damit noch einmal Glück gehabt. In New York melden die Zeitungen seit diesem Sommer eine „Wanzen-Invasion“. Die blutsaugenden Cimex lectularius sollen – ausgehend von Krankenhäusern und Obdachlosenunterkünften – den Weg in die Matratzen bürgerlicher Wohnungen und Hotels gefunden haben. Seit Anfang September sind in Manhattan mehrfach Kleiderabteilungen von großen Kaufhäusern und Büroetagen wegen Wanzenalarm evakuiert worden. Und letzte Woche sind Insektenkundler, Kammerjäger und andere Experten in Chicago zu einem nationalen „Bed-Bug-Summit“ zusammen gekommen. Sie bestätigen die alarmierenden Zeitungsmeldungen: die Wanzen, deren Zahl infolge von Hygiene und Pestiziden jahrzehntelang zurückgegangen war, sind auf dem Vormarsch.

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