vonHelmut Höge 13.01.2010

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„Es geht nicht darum, immer mehr zu verdienen, sondern immer weniger zum Leben zu brauchen.“ (Alexander Solschenizyn)

Eine Meldung (vom 8.1.), die bisher noch zu wenig ventiliert wurde:

Die Mehrheit der Bundesbürger ist einer Umfrage zufolge gegen Steuersenkungen im kommenden Jahr. Im ARD-„Deutschlandtrend“ sprachen sich 58 Prozent der Befragten gegen die Pläne der schwarz-gelben Bundesregierung aus, lediglich 38 Prozent dafür. Selbst unter den Anhängern der FDP, die sich vehement für eine Steuerreform ab 2011 einsetzt, sind 53 Prozent gegen Steuersenkungen und nur 43 Prozent dafür, wie die am Donnerstag veröffentlichte Umfrage von infratest-dimap im Auftrag der ARD ergab.

Am stärksten ist die Ablehnung der schwarz-gelben Steuerpläne mit 69 Prozent bei den Besserverdienern (Haushaltseinkommen von 3000 Euro netto und mehr im Monat). In Haushalten, in denen weniger als 1500 Euro netto zur Verfügung stehen, finden sich dagegen mit 49 Prozent die meisten Befürworter für die geplanten Steuersenkungen.

Grob gesagt: dass die Reichen dagegen sind, dass sie weniger Steuern zahlen sollen – während die Armen nichts dagegen hätten, wenn erstere dadurch noch reicher würden.

Darüber könnte man lange grübeln.

Mir fällt dabei jedoch erst einmal die auch noch nicht lange zurückliegende Debatte um die Idee des TV-Philosophen Peter Swami Sloterdijk ein. Er schlug vor, die Besserverdienenden komplett von der Steuer zu befreien, weil man ihnen damit sozusagen die Chance nehme, freiwillig für das Gemeinwohl zu spenden. Stiftungen statt Steuern. Diese gedankliche Forcierung der neoliberalen Demontage des „Wohlfahrtstaates“ wurde zunächst vom Nachfolger des Frankfurter Instituts für Sozialforschung scharf kritisiert. Woraufhin sich sogleich eine Reihe konservativer „Freidenker“ für Sloterdijk ins Zeug warf, die am Liebsten auch gleich noch die  Frankfurter Zentrale der Kritischen Theorie deadornitisiert hätten.

Dann kam das Sarrazin-Interview in „Lettre“ und setzte auf den reaktionären Elitismus von Sloterdijk noch einen drauf. In jeder (linken?) Kneipe wurde ich daraufhin in üble Gespräche darüber verwickelt, wie gut es doch täte, dass das endlich einmal von jemandem gesagt wurde, sagen dürfe man das doch – was Sarrazin da an ausländerfeindlichen Klischees aufeinandergetürmt hatte. Der erste Elite-Quatschkopf, der so etwas in bezug auf Berlin gesagt hatte – war Wolf Jobst Siedler in den Achtzigerjahren gewesen.

Damals diskutierte man (man!) in Westberlin „Zuzugssperren“ für Türken in Kreuzberg – und die Bezirksregierung setzte das dann auch durch. Derzeit fordert es die Junge Union Neukölln für Nord-Neukölln – mit ihrem SPD-Bürgermeister Buschkowsky im Rücken.

In der Zeitschrift „Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte“ gibt es nun erneut eine „Sloterdijk-Debatte“. Mathias Greffrath meint in diesem Zusammenhang „Die Diskussion zeigt vor allem Eines: In den Mittelschichten beginnt es zu brodeln. Die immer noch Besserverdienenden sind nicht mehr bereit“…so viel Steuern zu zahlen – deswegen wolle „die neue Regierung“ die Steuern für sie senken. …“Müssen wir uns also vom Sozialstaat verabschieden?“

Auf der anderen Seite – bei den Armen – würde jedoch eine lebenslängliche Versorgung durch den Staat auch furchtbare – „feudale“ – Folgen haben. Deswegen plädiert Mathias Greffrath am Ende seines Beitrags nicht für eine Umverteilung zwischen Arbeitenden und Alimentierten, sondern für eine Umverteilung der Arbeit. „Nur so läßt sich die Spaltung der Gesellschaft in Subkulturen der Alimentierten und rebellierende Steuerzahler vermeiden.“

Nun ist es laut der o.e. Umfrage aber so, dass die Wohlhabenden bzw. Nochgutverdiener und Immerbesserverdiener eher gegen eine Steuersenkung zu ihren Gunsten „rebellieren“. Vielleicht sehen sie ihre „Gunst“ gar nicht so amerikanisch (an der Höhe des Einkommens meßbar) wie man allgemein befürchtet hat? Eher ist die amerikanische Lebenseinstellung bei den Armen durchgedrungen, die nichts dagegen haben, wenn die Reichen noch reicher werden.

In eine ähnliche Richtung dachte schon Professor Gunnar Heinsohn, als wir einmal über die zwei Black-Outs in New York diskutierten, bei denen massenhaft Geschäfte ausgeplündert wurden. Ich wußte dazu Einzelheiten aus den plündernden Unterschichten beizusteuern. Heinsohn meinte: Unterschätz die Mittelschicht nicht, während die Unterschichten Fernseher und Ähnliches plünderten – und dann damit in Massen verhaftet wurden, plünderte die Mittelschicht Juwelierläden – und kein einziger wurde verhaftet.

Aus dem indonesischen Bürgerkrieg weiß ich noch, dass dort alte Leute, Arme, massenhaft die Läden plünderten – und z.B. Motorräder auf die Straße schleppten. Aber nicht, um sie sich anzueignen, sondern um sie zu verbrennen. Seltsam! Etliche ebenfalls schon alte Bauern besetzten Golfplätze – und fingen sofort an, das Land urbar zu machen – oder wie soll man das nennen?

Ist es vielleicht am Ende so, dass die Unterschicht so wenig Vergnügen hat am Leben, dass sie einfach das Leben der Reichen, Schönen und Prominenten mitlebt – via Bild, Bunte, ZDF etc. Weil sie aber auch dabei Abenteuer, Aufregung, Zittern, kurz: „Emotions“ braucht, deswegen wünscht sie  sich noch mehr Geld für diese „Celebrities“ und für die Wohlhabenden überhaupt, damit die ihnen immer tollkühnere Streiche vorführen.

Ich breche hier mein Grübeln ab, weil ich mir gleich bei meiner Lieblingsethnologin „Hölle Hamburg“ ankucken will, in dem es um eine voodoohafte Wiederbelebung des atlantischen Proletariats geht – in Form einer Art Hafenstraßendoku auf Basis der opulenten Studie „Die vielköpfige Hydra“ der Seefahrtshistoriker P. Linebaugh und M. Rediker, die vor einiger Zeit vom Verlag „Assoziation A“ veröffentlicht wurde.

Für das Meer sind die Kontinente nur Wellenbrecher. Mehr nicht.

Bundeswehr-Poller. Auf der Rückseite steht „Gays gegen Guido“. Photos: Peter Grosse

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