„…So weit Deutschland reicht, verdirbt es die Kultur. Ich war verurteilt zu Deutschen. Wenn man von einem unerträglichen Druck loskommen will, so hat man Haschisch nötig.“ (Friedrich Nietzsche, Ecce Homo, 1884)
Outdoor-Hanfgarten. Photo: uni-kassel.de
Indoor-Hanfgarten. Photo: tagblatt.ch
Falk T. hat sich für beides entschieden: In seiner Neuköllner Parterrewohnung steht ein kleiderschrankgroßer „Grow-Room“ und auf dem Dach einige große Kübel – für seine Hanfpflanzen. Oben wachsen sie langsam aber umsonst und unten schnell aber teuer. Das Wichtigste an der „Home-Box“, mit einem Quadratmeter Grundfläche, ist die 400 Watt Natriumdampflampe. Dazu kommt noch ein Ventilator, ein Luftbefeuchter, eine Zeituhr und ein Kohlefilter (gegen den Geruch). Die weiblichen Samen, die er für 10 Euro das Stück per Post aus Holland bezieht, keimen bei ihm in Erde. Dazu braucht es noch verschiedene Kunstdünger. Während der Wachstumsphase benötigen die Pflanzen 18 Stunden Licht täglich, in der Blütephase 12, danach absolute Dunkelheit. Nach drei Monaten kann er sie ernten. Das ergibt 4 Ernten im Jahr, wenn er von einer der Mutterpflanzen auf dem Dach Stecklinge nimmt, sogar 6 – jedenfalls wenn es sich dabei um die Sorte „Top 44“ mit kurzer Blütezeit handelt.
Für den gelernten Industriekaufmann aus Konstanz ist das jedesmal ein kleines Fest. Wenn er nicht so viel von dem Gras verschenken würde, käme er damit auch hin bis zur nächsten Ernte. Das wäre dann eine reine Subsistenzwirtschaft, meint er, schüttelt dann aber den Kopf: „Nein, ich hab vergessen, das allein die Stromkosten ca. 300 Euro pro Wachstumsperiode betragen“. Dafür würde das Selbstangebaute aber besser schmecken und turnen. Und weil er sowieso gerne gärtnere und Pflanzen beim Wachsen zusehe, deswegen verbinde sich bei seinem Hanfanbau das Angenehme mit dem Nützlichen aufs Angenehmste. Auf die Frage, ob er keine Angst habe, entdeckt und denunziert zu werden, zuckt er nur mit der Schulter: „Das sind doch bloß so kleine Mengen. Was wollen die mir da groß anhängen? Bisher ist jedenfalls alles gut gegangen. Ich mach das jetzt schon seit fünf Jahren. Damals hat mir eine Mutter aus Steglitz ganz billig einen Grow-Room verkauft, den sie für ihren Sohn angeschafft hatte. Der ist dann aber in die Fitness-Scene abgerutscht – und auf Amphetamine gekommen.“
Razzia in Outdoor-Hanfgarten. Photo: cannabis.at
Konfiszierte Pflanzen. aus Indoor-Anbau. Photo: mz-web.de
In Falk Ts. Scene redet man mindestens gerne über Rauschgifte im Allgemeinen und Haschisch im Besonderen. Er informiert sich außerdem im Internet über Hanf-Neuzüchtungen und neue -Technologien (z.B. über israelische Aquakulturen) und tauscht sich mit anderen Hanfgärtnern aus (u.a. über -Dünger und -Schädlinge). Von ihnen erfuhr er nach und nach auch, wie das alles anfing in Berlin.
Ende der Sechzigerjahre klauten die linken Studenten regelmäßig die Hanfpflanzen im Botanischen Garten – und rauchten sie auf. Das war schon deswegen von der Leitung nicht hinzunehmen, weil alle Botaniker Nichtraucher waren: „Nein, also Pflanzen verbrennen, das kann ich nicht, können wir hier alle nicht“, so ihr Sprecher Dr. Zepernick. Seit diesen Diebstählen wird kein Hanf mehr im Botanischen Garten angebaut. Die paar Pflanzen dort reichten aber auch sowieso nicht für die sich schnell ausbreitende Studentenbewegung, die dabei den Slogans „Tune in, Turn on, Drope out“ und „High sein, Frei sein, Terror muß dabei sein“ vertraute.
Das meiste Haschisch wurde aus Holland eingeschmuggelt. Da damals auf den Transitstrecken nach Westberlin noch die DDR kontrollierte, wurden deren Grenzer gleich mitbedacht. Probleme gab es erst mit dem Transitabkommen von Willy Brandt: Ab da kontrollierten West-Grenzer – und die waren nicht scharf darauf, die Haschischwirkung kennen zu lernen, sondern möglichst viele Leute wegen Rauschgiftbesitz zu belangen.
Ab Mitte der Siebzigerjahre hatte fast jede Landkommune Cannabispflanzen im Garten. Die Pflanzen wurden zwar oft bei den Razzien, vor allem im „Deutschen Herbst“, entdeckt, aber die für Linke quasi zuständige „politische Polizei“ interessierte sich eher für Anarcho-Literatur und -Werkzeuge. Diese Bullen lachten höchstens, wenn sie eine ganze Ernte – noch am Strauch – in der Scheune entdeckten: „Das wär ja was Tolles für unsere Kollegen vom Rauschgiftdezernat,“ sagten sie, verrieten denen aber nicht die Fundstelle. Die Kollegen galten bei ihnen als Schwachköpfe.
Aus Holland wurden bald bloß noch die Samen bezogen. Dort veredelte man die Pflanzen immer mehr, so das deren THC-Gehalt von etwa 10% kontinuierlich stieg – bis er beim „Skunk“-Gras 20% erreichte (neuerdings bei der Sorte „Bobke Marley“ sogar 35% – es soll sich dabei schon um genmanipuliertes Saatgut handeln). Ebenso stark ist das chemisch hergestellte Haschischöl, das neuerdings gegen Rezept auch an Krebskranke abgegeben wird. (*)
Ende der Siebzigerjahre gab es Landkommunen, wie die „Päng“ bei Nürnberg, die bereits vom Hanfverkauf leben konnte – und zwar nicht schlecht: Die Kommunarden verkauften ihr „Gras“ säckeweise an amerikanische Soldaten. Im hessischen Vogelsberg wurde damals auf Waldlichtungen und in Maisfeldern „Nebelgras“ angebaut: Es turnte zwar nicht, aber von dem den Joints beigemengten Tabak wurde einem (immerhin) leicht schwindlig. In Heidelberg gründete der Hausmeister der Drogenentzugsstation „Release“,Werner Pieper, die „Grüne Kraft“: Man schickte ihm einen Geldschein im Brief und bekam postwendend marokkanisches Haschisch zurück. Später übernahmen die Umweltschützer sein Codewort für ihre Partei: „Die Grünen“ – und Pieper machte aus dem Namen einen Verlag.
Die Holländer, immer schon vorneweg beim Gewächshausbau, entwickelten in der Zeit die ersten „Grow-Rooms“ für den Indoor-Anbau, die sich schnell auch hier großer Beliebtheit erfreuten: Man konnte damit bis zu 20 Pflanzen großziehen. Zur Not tat es auch der Balkon, gewiefte Denunzianten erkannten jedoch die Hanfpflanzen schon von der Straße aus – und riefen nach der Polizei. Besser geeignet waren Dachgärten, sie boten den Pflanzen auch mehr Platz.
Hasenhanf. Photo: bilder.net
1996 wurde der Hanfanbau legalisiert – allerdings nur für THC-freien Hanf; in Brandenburg legten einige LPGen sofort damit los. Derzeit werden 4000 Hektar in Deutschland angebaut. (**) Endabnehmer sind u.a. dämmstoff-, papier- und textilverarbeitende Betriebe. Kurzzeitig entwickelte sich daraus auch noch ein regelrechter Hanf-Konsumrausch: Es wurde alles mögliche hergestellt – u.a. Hanf-Kosmetik, Kekse, -Schnaps und -Bier. 150 Produkte vertrieb das Berliner „Hanfhaus“ zu Hanfhochzeiten (***). Um Hanf anzubauen bedarf es immer noch eines umständlichen Genehmigungsverfahrens und einer Samenkontrolle. Dafür sind die Pflanzen relativ anspruchslos, sie werden auch auf den sandigen Böden Brandenburgs vier Meter hoch und ihr Anbau wird zudem subventioniert.
In leerstehenden Kartoffellagerhallen und LPG-Stallungen baut man daneben auch noch THC-mäßig hochgezüchteten Hanf für den Rauschkonsum an. Die Polizei kontrolliert neuerdings, ob solche Gebäude einen hohen Stromverbrauch haben. Wenn sie dann auch noch von Hartz-IV-Beziehern genutzt werden, können diese schon fast sicher mit einer Razzia rechnen. In der Stadt bekommt man u.U. ähnliche Probleme, wenn man seinen ganzen Keller zu einer Indoor-Hanfplantage ausbaut. Der Spiegel behauptete unlängst: In Deutschland boomt der professionelle Cannabis-Anbau: „Experten beklagen ‚erschreckende Ausmaße'“. (****)
Bleiben wir bei den Nebenerwerbs-Hanfanbauern, die sich bloß für einige hundert Euro einen kleinen Grow-Room in die Wohnung gestellt haben und damit Selbstversorger geworden sind. Übrigens ist der THC-Gehalt der Pflanzen beim Indoor-Anbau bis zu vier Mal höher als wenn man sie hier im Freiland anbaut, wo sie nicht genug Sonne abbekommen, dafür aber zu viel Regen. Draußen können deswegen die Blüten verschimmeln, drinnen ist die Ernte von Schadinsekten bedroht. Damit haben jedoch alle Gärtner zu kämpfen. Falk T. braucht seinen Hanfgarten auf dem Dach, weil er dort seine Mutterpflanzen zieht und weil es ihm dort „natürlicher“ als unten im Schlafzimmer in einem Schrank dünkt: „Das ist schon fast Freiland da oben.“
Hanfblatt. Photo: stefan-gelbhaar.de
Anmerkungen:
(*) 2007 erlaubte die Bundesopiumstelle (BOPST) – was es nicht alles gibt! – erstmalig einer Frau, die an Multipler Sklerose erkrankt war, Haschisch einzunehmen, um ihre Schmerzen zu lindern. So vermeldeten es die Zeitungen.
Tatsächlich wurden in der Vergangenheit bereits mehrmals an Aids und Krebs Erkrankte, die sich mit Haschisch selbst therapiert hatten, vor Berliner Gerichten freigesprochen. Der Fall von Claudia H. aus Süddeutschland, wo die staatliche Drogenfahndung härter als in Norddeutschland vorgeht, ist jedoch so absurd, dass es sich lohnt, hier näher darauf einzugehen: Die 51jährige Unternehmerin nahm zunächst Schmerztabletten ein. Diese verstärkten aber ihre Beschwerden, ebenso wie der synthetisch hergestellte Cannabis-Wirkstoff Dronabinol. Er wird von einem Pharmakonzern hergestellt: 60 Kapseln kosten 1.700 Euro – das Geld wird von den Krankenkassen nicht zurückerstattet.
Claudia H. versuchte es daraufhin mit illegal besorgtem Haschisch. Das wirkte nachhaltig, auch ihre Lähmungen gingen zurück. Rauschzustände erlebte sie jedoch keine. Und eine Abhängigkeit stellte sich ebenfalls nicht ein – behauptete die Schwäbin, der nur noch die Legalisierung des Genusses fehlte. Also stellte sie einen Antrag bei der BOPST.
Dazu musste sie nachweisen, dass alle anderen Schmerzmittel versagt hatten und keine andere zugelassene Arznei helfe; ihre Ärztin musste darüber hinaus die Risiken und Nutzen ihres Haschischgebrauchs abwägen sowie einen „Therapieplan“ aufstellen.
Die Behörde prüfte ihren Antrag eineinhalb Jahre – und befürwortete ihn dann aus „klinischer Sicht“. Aber – großes Aber: sie genehmigte ihr nur ein Jahr lang die Einnahme eines „standardisierten Cannabis-Extrakts“, das sie aus einer Apotheke beziehen muss. Dort sowie auch bei Claudia H. muss der Stoff „entwendungssicher“ gelagert werden, d. h. sowohl der Apotheker als auch die MS-Patientin müssen ihn in einem Panzerschrank aufbewahren – und der BOPST Fotos von den Tresoren schicken. Das ist zwar alles saublöd – angesichts der Tatsache, dass man in jedem Park billiges und gutes Haschisch kaufen kann, dennoch haben bereits 50 Kranke nach dem Claudia H.-Urteil ebenfalls Anträge bei der BOPST gestellt. Gleichzeitig wurden jedoch gerade in Nordfriesland ein Hepatitis-C-Patient und in Würzburg ein Morbus-Crohn-Patient wegen Haschischeinnahme zur Schmerzlinderung in Haft genommen.
In Berlin gibt es alljährlich eine „Hanfparade“, eine Art Tanzdemo, die dafür wirbt, den Haschischkonsum zu enthysterisieren, und außerdem ein „Hanfmuseum“, hier ein Bericht über seine Eröffnung 1994:
Das alte Bronze-Schild „Handwerksmuseum“ hängt noch, aber an der Tür steht schon der neue Name – auf Pappe: „Hanfmuseum“. Die edlen Vitrinen bekamen die zünftig langhaarigen Museumsbetreiber, der Hanfverein e.V., vom „Friseurmuseum“ dauergeliehen. Das Handwerks- ebenso wie das Friseurmuseum sind gerade unter der Verwaltung des zum Sparen verurteilten Berlin-Märkischen Doppelmuseums abgewickelt worden, ihre Sammlungen kamen ins „Dorfmuseum“ nach Marzahn.
Der Pförtner im Märkischen Museum kennt das neue „Hanfmuseum“ noch gar nicht: „Damit haben wir nichts zu tun.“ Und daß jetzt der Hanfverein die monatlich 6.000 DM Miete an die Wohnungsbaugesellschaft aufbringen muß, für 180 Quadratmeter Ausstellungsfläche und 100 Quadratmeter Café mit Veranstaltungssaal, wundert ihn auch nicht: „Die werden sich schon was dabei gedacht haben. Mit Eintrittsgeldern allein kann man das jedenfalls nicht betreiben. Das weiß ich ja vom Handwerksmuseum, da reichte das nicht mal für die Gehälter.“
An Gehälter wiederum haben die Betreiber, u.a. Eva Hodge und die Tochter von Wolfgang Neuss, Jette, gar nicht gedacht: Erst einmal hoffen sie auf mindestens 1.000 Besucher monatlich und zusätzliche Einkünfte durch den Verkauf von Hanf-Produkten. Wobei sie im Gegensatz zum Pförtner an Waren diesseits jedes THC-Gehalts und mithin ohne direkte Rauschwirkung denken, also an Stofftaschen, T-Shirts, Papier etc.
Dennoch ist der „Hanfverein“, im Gegensatz zur „Hanfgesellschaft e.V.“, eher an der Legalisierung der Droge Hanf interessiert als an der industriellen Verwertung der Nutzpflanze Cannabis. Im Hanfmuseum am Nikolaiviertel sind natürlich beide Stränge exponierend aufbereitet worden, inklusive eines kleinen, aber feinen „Wolfgang Neuss Gedächtnisraumes“ („Auf deutschem Boden darf nie wieder ein Joint ausgehen“).
Hinter den Kulissen tobt aber dennoch nach wie vor der Kampf zweier Linien: Die Hanfgesellschaft versucht kommerziell verwertbare Konzeptionen zu entwickeln. Zu ihren Mitgliedern zählt die Agrargenossenschaft Marzahn, wo man aus Hanf Baustoffe produzieren will, und die GAIA GmbH Uetz-Bornim, deren Geschäftsführer gerade gegen die Bundesregierung klagt, weil sie den EG-subventionierten Hanfanbau verboten hat. Den Samen bezieht man jetzt schon aus der Ukraine, wo bald auch das Hanföl herkommen wird, mit dem schnell abbaubare Detergenzien hergestellt werden sollen (nach einem Verfahren, das jüngst von einem abgewickelten DDR-Chemiker entwickelt wurde). Zur Hanfgesellschaft gehört ferner die Schöneberger „Hanfhaus GmbH“ (neben dem Reisebüro „Cool Running Tours“, wo man u.a. Hanfreisen nach Jamaika organisiert) sowie das Kreuzberger „Hanf-Kontor und -Lager“. Grob gesagt handelt es sich bei dieser „Gesellschaft“ um schlechte Profis (weil Überzeugungstäter) und beim Hanf-Museumsverein um Dilettanten im besten Sinne (weil allzu naßforsch). Erstere sehen denn auch schon die Museumspleite am Horizont, während letztere noch hoffen, daß mit dem baldigen, legalisierungsbedingten Wegfall des Risikoaufschlags beim Haschischverkauf statt dessen eine Museumsgroschen-Abgabe bei Dealern und Endverbrauchern greift.
Schon aus Propagandagründen ist die Hanfgesellschaft natürlich nicht am Scheitern des Hanfmuseums interessiert. Die von ihr engagierte Projektgruppe „Hanf“ am Fachbereich „Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation“ der HdK, die bis Mai 95 eine „Image- Kampagne“ organisieren soll, hat deswegen auch das Museum in seine Phase 1/2 „Umfrage und Planung“ einbezogen. Merkwürdigerweise sprach die HdK-Projektgruppe jedoch relativ abfällig von „Kiffern“, als ich sie vor einer Vitrine mit lebenden Cannabis- Pflanzen im Hanfmuseum ansprach. „Dem Zeug sieht man nicht an, ob aus ihm mal eine Jacke oder ein Joint wird“, wie es bei der Bundesopiumstelle heißt, wo man das Zeug nach wie vor als „nicht- verkehrsfähiges Betäubungsmittel einstuft.
Die jungen Werbe-Menschen kamen aus Süddeutschland. Und das erklärt schon fast ihre Abstinenz: Es gibt nämlich ein starkes Nord-Süd-Gefälle in der Haschisch-Akzeptanz. Dem Berliner Hanfmuseum kommt das sehr entgegen und gelegen. Wenn man sich dann auch noch, von Kokain-München kommend, bald durch märkische Hanf-Felder hindurch der Hauptstadt der Erregung nähert – dann könnte alles gut werden. So sieht es jedenfalls Hanfpapst Bröckers, der irgendwie hinter all diesen ebenso friseur- wie bierfeindlichen Berliner Kräften steckt.
(**) Nach der ersten legalen Ernte 1996 wagte ich, was den Hanfanbau in Brandenburg betraf, eine erste Zwischenbilanz – mit dem Fazit: „Hanfbauern leisten wichtigen Beitrag für den Frieden!“
Zusammenfassend läßt sich jetzt schon sagen: Die Verantwortlichen der ersten gesamtdeutschen Hanfeinsaat nach dem Krieg haben die Sache voll im Griff. Gewiß, es gab einige Irritationen: So vermeldete Mitte Juli beispielsweise Gottfried Zaunmüller, Vorsitzender der Agrargenossenschaft Uetz bei Potsdam (dort wo der Immobilien-Stoßtrupp der Deutschen Bank – Guttmann und Groenke von Trigon – die größte deutsche Golfanlage hinklotzen wollen – und Zaunmüller dabei auch bereits „gelinkt haben“), dass es bei der Verarbeitung der diesjährigen Hanfernte noch Probleme gäbe. (Dies in bester Ostunternehmer-Paranoia.) Die interministerielle Hanf-Arbeitsgruppe der Brandenburger Landesregierung, bestehend aus Vertretern des Umwelt-, Landwirtschafts- und Wirtschaftsministeriums, reagierte darauf prompt – mit einer Presseerklärung: „Die Hanfanbauer brauchen sich um die Abnahme ihrer Ernte keine Sorgen zu machen“, auch sei geklärt, wie die Pflanzen vom Feld kämen. Die Lehr- und Versuchanstalt für integrierten Pflanzenanbau in Güterfelde (bei Teltow) sekundierte: „Unbestritten ist die Ernte das schwierigste Problem“, aber diese Erkenntnis sei allen Hanfanbauern bekannt. Zusätzlich kam auch noch Hilfe von der Sowjetunion – in Form eines sehr günstigen Angebots per Fax aus „Arsamas 16“ – der einst geheimen Atomstadt im Süden Rußlands, wo Andrej Sacharow die Neutronenbombe konstruierte: Dort werden jetzt u.a. Hanf-Vollernter gebaut.
In Uetz reifen derzeit zehn Hektar Hanf heran. Er wird Ende August noch grün, d.h. vor der Blüte, mit dem Maishäcksler, der die Pflanzen gleichzeitig in kleine Stücke zerhackt, geerntet – und kommt dort erst einmal ins Silo. Bei der Grünernte gibt es zwar keine Witterungsrisiken mehr, aber dafür ein Problem mit der EU-Agrarförderung (1500 DM pro Hektar), die eine Ernte erst nach der Samenreife vorschreibt. In der EU- Kommission wurden die Deutschen von den Franzosen, die noch das Samenmonopol haben, ausgetrickst: deren südliche Sorten werden in Ostelbien eventuell gar nicht samenreif, argumentiert wurde jedoch – französisch- rational – mit der „THC-Beprobung“, die erst ab Blüte vorgenommen werden könne: was nicht stimmt! Normalerweise werden nur vollreife, trocken-verholzte Pflanzen geschnitten und in Schwad gelegt – zur mehrwöchigen Feldröste (im Süden wird daneben noch die – früher umweltbelastende – Wasserröste angewandt). Bei beiden Verfahren zersetzen Pilze und Mikroben den Lignin-Anteil, der den Bastfaser- Ring und den Holzkern zusammenhält. Danach werden die Pflanzen einer mechanischen Schwinge zugeführt, die das Hanfstroh bricht und die Faseranteile durch mehrere Kämmvorgänge isoliert. Im Ergebnis erhält man dabei die klassische Langfaser (die heute noch Klempner zum Rohrabdichten benutzen). Sie wird versponnen und dann verwoben, was ein sehr grobes, aber haltbares Tuch ergibt. Wenn man mit der selben Technik Flachs verarbeitet, ergibt das ein feineres Tuch, weswegen diese Faser auch lange Zeit bevorzugt wurde, obwohl die Flachserträge niedriger sind.
Heute benutzt man die Hanf-Langfaser höchstens noch zur Seilherstellung – und orientiert ansonsten auf Kurzfaser/Werg, wobei weitere Aufschluß- Verfahren notwendig sind. Einmal gibt es dazu altbewährte chemische Verfahren und zum anderen neuere Dampfdruck-Aufschlußtechniken. Eine Pilotanlage dafür steht in Reutlingen. Die damit gewonnene Feinfaser kann auf normalen Rotor-Spinnmaschinen (wie man sie auch für Baumwolle benutzt) verarbeitet werden -beispielsweise zu T-Shirts und Hemden, die das Hanfhaus auch bereits anbietet. In Uetz leisten die mikrobiellen Prozesse bei der Milchsäuregärung in der Silage das selbe, was sonst die Feld- bzw. Wasserröste beim Hanf bewirkt: sie bauen das Lignin ab. Im Malchower Versuchsgut des Fachbereichs Ackerbau der Humboldt-Universität (hinter Pankow) wird schon seit Beginn der DDR mit Hanf experimentiert.
In den letzten zehn Jahren stellte Professor Metz dort insbesondere Versuche mit Hanf an zur Dekontamination verseuchter Böden. Dabei gewann man auch Silage-Erkenntnisse. Für die Hanf-Silage in Uetz bietet sich derzeit – zur weiteren Wertschöpfung über die EU-Förderung hinaus – an, sie vermischt mit Rindergülle in einer Biogasanlage zu verarbeiten. Eine Pilotanlage dafür steht in der landwirtschaftlichen Lehr- und Versuchsanstalt Iden (bei Stendal), konstruiert vom dortigen Ingenieur Winkler. Sie besteht aus vier Reaktoren, die zeitlich versetzt hintereinandergeschaltet werden und zudem mit Säurepuffern arbeiten. Der damit produzierte Strom wird ins Netz eingespeist (für 17 Pfennig die Kilowattstunde) und die Wärme eigengenutzt. In der Reaktor-Pampe zersetzt sich die Hanf-Silage bis auf die Faser. Anschließend braucht man eine Rebbel-Maschine, wie sie in der Gewürz- Produktion verwendet wird. Dabei fällt die Restpampe durch ein Rost und die Faser wird als Gewölle isoliert. Man weiß derzeit noch nicht, ob die Hanffaser allzu sehr durch die Milchsäuregärung im Silo und durch die Biogasproduktion angegriffen wird. „Wenn ja, ist das prima“, meint Mathias Schillo, Geschäftsführer der Berliner „Treuhanf GmbH & Co KG“, die Risikokapital für den Aufbau verschiedener Hanf-Verarbeitungsmöglichkeiten akquiriert: „Die zersetzte Faser würde einen idealen Grundstoff für die Zellstoffproduktion abgeben, weil sie dazu relativ fein vermahlen werden müßte, um daraus anschließend Papier herstellen zu können. Wobei man den ganz reinen Zellstoff auch noch zur Viskose-Produktion weiterverwernden könnte: „Das wäre dann was für die ‚Märkische Faser GmbH‘ in Premnitz“.
Zentrales Anliegen der „Treuhanf“ ist jedoch die Papierherstellung aus Hanf- Zellulose, um zum einen der weltweiten Vernichtung der Wälder etwas entgegenzusetzen und zum anderen regionale Kreislauf-Wirtschaften (wieder) in Gang zu bringen. „Mit den heutigen technologischen Standards wären diese durchaus konkurrenzfähig.“ Das Land Brandenburg hat fast den gesamten Hanfanbau – von ca. 35 Hektar auf vier Betriebe – gefördert und begleitet: vom Saatgut über die Ernte bis zur Weiterverarveitung – auf der klassisch-mechanischen Linie. Dazu hat die interministerielle Arbeitsgruppe eine „Bahmer-Anlage“ (eine mechanische Schwinge) bei der „Agrargenossenschaft Sadenbeck“ (bei Pritzwalk) aufgestellt. Deren Vorsitzender, Dr. Franke, orientiert jedoch primär auf Flachsanbau und -Weiterverarbeitung. Insgesamt hält man das brandenburgische Flachs-Projekt bei der „Treuhanf“ für „überdimensioniert“. Allein der „Bund“ förderte es mit 42 Millionen DM. Dadurch sind Verarbeitungs-Überkapazitäten vorhanden, die sich eventuell auch für den Hanf nutzen lassen: von sechs gebauten Flachs-Schwingen wird erst einmal nur eine effektiv genutzt werden. Im Ergebnis sollen damit Textilien produziert – und so diese Kreislaufwirtschaft geschlossen werden: vom Anbau und der Faserisolierung, über das Verspinnen, Verweben und Ausrüsten bis zur Konfektionierung – und schlußendlich der Vermarktung, für die, was den Hanf betrifft, das „Hanfhaus“ bereitstünde.
Die „Treuhanf GmbH & Co KG“, die bereits 600.000 DM operativ einsetzen kann, engagiert sich neben Uetz auch noch in Wulkow (bei Neuruppin), wo der Westberliner Anwalt Baron von Ropp vom dortigen Landwirtschaftsbetrieb eine Kartoffelhalle pachtete – für ein Leichtlehmplattenwerk, in dem eine Art Rigips-Ersatz sowie Fachwerk-Einsätze hergestellt werden. Dort will die „Treuhanf“ zusammen mit dem Bremer „Energiekontor“ demnächst ihr erstes großes Hand-Blockheizkraftwerk (BHKW) installieren. Der Strom wird ins Netz abgegeben und die Wärme zur Plattenproduktion genutzt. Weil das Kraftwerk mit einer Biogasanlage verkoppelt sein wird, ist auch Ingenieur Winkler aus Iden mit dabei, sowie der Wulkower Landwirtschaftsbetrieb, der 3000 Rinder mästet und die Gülle liefert. Zusätzliches Geld kommt von der Deutschen Bank.
Bei der Brandenburger Hanfernte 1996, die über die Bahmer Anlage in Sadenbeck verarbeitet werden soll (25 Hektar insgesamt, die zehn Hektar in Uetz werden, wie erwähnt, zunächst siliert) gibt es noch das Problem, dass man aus den rund 200 Tonnen Hanfstroh 50 bis 60 Tonnen Faser produzieren wird: So viel kann derzeit aber noch gar nicht zu Textilien verarbeitet geschweige denn als solche vermarktet werden. Im Oktober wird die „Treuhanf“ eine bereits gekaufte Wirrfaser-Vliesanlage bei der „Aqua GmbH“ in Zehdenick aufstellen. Diese Strukturentwicklungs- Gesellschaft (ABS) des Geschäftsführers Dahlenburg hat bereits mehrere Firmen aus ABM-Projekten ausgegründet, u.a. den Kinderbekleidungsbetrieb „JoJoKid GmbH“, die u.a. für das Hanfhaus eine Kinderkollektion produzierte. Auf der Vliesanlage will die ABS Aqua“ Bau-Dämm-Matten produzieren (die sich an Stelle von Isover verwenden lassen), dazu Isolierverschalungen für Rohre sowie Formpreßteile (wie Hutablagen in PKWs z.B.). Auch für Faser-Verbundwerkstoffe ist die Anlage geeignet, in denen der Hanf die Glas- und Mineralfaser ersetzen könnte. Daran arbeiten zum Beispiel gerade einige Polymerchemiker im Teltower Fraunhofer-Institut.
Als „Markt der Zukunft“ bezeichnet Rechtsanwalt Schillo den Freizeit- und Erholungsbereich. In dieser Branche ist seine „Treuhanf“ ebenfalls schon aktiv: In einer ersten Etappe beteiligt sie sich am Museumsdorf Glashütte bei Baruth (in der Nähe von Wünsdorf), wo derzeit 17 Leute wohnen. Der Ort wurde rekonstruiert und soll wieder zum Leben erweckt werden, in dem man sämtliche Gewerke, die dort bis 1830 ansässig waren, wieder ansiedelt bzw. revitalisiert – vom Bäcker bis zum Glasbläser. Die „Treuhanf“ will zusammen mit der benachbarten Agrargenossenschaft DARETZ (in Dornwalde) die Landwirtschaft in Glashütte betreiben. Ein Hektar Hanf wird dort bereits angebaut: „Den wollen wir manuell ernten und weiterverarbeiten, wobei die Touristen eventuell sogar mitarbeiten können.“
Zur Zeit arbeitet der Anthropologe Christian Hirte, vom Fachbereich Europäische Ethnologie an der Humboldt-Universität, an einer Liste aller brandenburgischen Industriemuseen, die über ABM hinaus die nächsten Jahre von der Landesregierung gefördert werden sollen. Die „Treuhanf“ hat 1996 über ihren Glashütte-Hektar hinaus Abnahmegarantien für weitere 60 Hektar Hanf gegeben – vorwiegend in Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt. Diese Flächen werden über einen Kooperationsvertrag komplett von der „Landberatung Niedersachsen GmbH“ betreut – und ebenfalls über die klassischen Schwingen weiterverarbeitet: u.a. in Bad Segeberg bei Egon Hegers „Holstein-Flachs GmbH“. Kleinere Chargen sollen für Versuchszwecke genutzt werden, z.B. für Bauplatten (als Spanplatten-Ersatz). Daran arbeitet die I.N.A.B. – das Ausbildungszentrum einer Strukturentwicklungs-Gesellschaft des DGB im brandenburgischen Pasewalk.
In einer zweiten Etappe will die „Treuhanf“ eine „richtig große Erlebnis- Landwirtschaft“ auf dem Gut Markee (bei Nauen) aufbauen. Nach der Wende wurde der Hof zunächst von der gewerkschaftsnahen Arbeiterwohlfahrt mit Behinderten bewirtschaftet, die AWO hat sich jetzt aber zurückgezogen. Für sie ist das evangelische Diakonische Werk eingesprungen, die das Gut zusammen mit der „Treuhanf“ auch erwerben will. Gleichzeitig hat sich Gottfried Zaunmüller aus Uetz um die Bewirtschaftung der dortigen 400- Hektar-Landwirtschaft beworben. Die „Treuhanf“ wird sich vor allem um die Weiterverarbeitung kümmern, wozu auch eine schon existierende Brennerei gehört, geeignet zur Herstellung von „Hanfgeist“ und „Hanfkorn“ z.B.. Vom 27. bis zum 29. September findet in der Tempelhofer UFA-Fabrik jedoch erst einmal ein großes „Hanf-Erntedankfest“ statt, gleichzeitig versammeln sich dort erstmalig die Gesellschafter der „Treuhanf GmbH & Co KG“, um wahrscheinlich die Umwandlung in eine „Kommanditgesellschaft auf Aktien“ zu beschließen.
So weit der momentane Stand der „Hanfernte ’96“. Aus gegebenem Anlaß soll noch hinzugefügt werden, dass derzeit nicht nur die amerikanischen DEA-Agenten den Hasch-Nachschub auf Marokko unterbunden haben (mit Millionen Dollar an König Hassan), sondern dass auch ihre hiesigen Büttel, die Berliner Drogenfahnder, erneut fast täglich Razzien gegen Haschischhändler veranstalten, zuletzt im Kreuzberger „Nautilus- Club“. Diese Aufspaltung – in staatlich gefördertem THC-freien Hanfanbau und staatlich verfolgtem THC-haltigen Haschkonsum – gefährdet mittelfristig nahezu sämtliche Hanf-Kreislaufwirtschaften: Zwar ist es richtig, dass diese ihren Appeal wesentlich aus dem Image der „verbotenen Droge“ beziehen (Spin-Off), aber gleichzeitig würde mit einem mählichen Abkappen des Hasch- Nachschubs auch und gerade der Elan in den Hanf-Projekten vollständig versiegen (Synergie).
Nachtrag:
Auch der Anbau von THC-freiem Hanf und der Handel mit daraus gewonnenen Produkten ist nicht ganz risikofrei: So wurde unlängst das von Mathias Broeckers von seinem Honorar für den Bestseller „Die Wiederentdeckung der Nutzpflanze Hanf“ gegründete Franchising-Unternehmen „Hanfhaus“ liquidiert. Am „Point of Return“ war es wegen des Verkaufs eines hanfsamenhaltigen Vogelfutters zu einer saftigen Geldstrafe verurteilt worden. Auch in Griechenland waren zwölf Hanfläden aus demselben Grund geschlossen worden. Hier intervenierte zwar die EU, aber dies bewirkte nur eine – Erfolg versprechende – Schadensersatzklage.
Der Psychiater Carl Nedelmann hat erst im Deutschen Ärzteblatt und jetzt im Merkur, Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken, den Stand der Auseinandersetzung um die Rauschpflanze Cannabis zusammengefasst. Er plädiert darin für die Freigabe dieser weichen Droge. Nicht zuletzt weil die Diskussion der letzten Jahre zwischen Gegnern, Befürwortern und Gutachtern sich immer weiter von der Realität entfernt hat. Gemeint ist damit die zunehmend armseligere Rechtfertigung der staatlichen Repression.
Diese begann in den Dreißigerjahren in den USA mit dem „Drogenkrieg“, in dem das Cannabis als „Mörderkraut“ figurierte. Jetzt gilt es nur noch als eine „Einstiegsdroge“, die bestenfalls „motivationshemmend“ wirkt. Nedelmann nennt das eine groteske „Verkehrung von Ursache und Wirkung (…). Dem Stoff wurde zugeschrieben, was der Gesetzgeber angerichtet hatte.“ Dazu wird der Strafrechtsforscher Hans-Ullrich Paeffgen zitiert, der die absurde Konstruktion – den Konsum, nicht aber den Besitz von Drogen, unter Straffreiheit zu stellen – „einen Mühlstein am Hals“ der scheinbaren Achtung des Gesetzgebers „vor der Individualautonomie“ nennt, welcher „allenfalls durch geflissentliche Nichtbeachtung des Gesetzes normativ erträglich wird“. Man geht inzwischen davon aus, dass genau das auch bezweckt war – nämlich die Betroffenen damit „unter der Fuchtel“ zu halten. Und weil das staats- und verfassungsrechtlich bedenklich, wenn nicht gar verwerflich ist, deswegen sind Paeffgen und Nedelmann eher für die bedingungslose Freigabe.
Ob wir unseren Stoff dann über den „Philip-Morris-Hanfkatalog“ bestellen oder uns, wie es Hessen 1992 forderte, am Schalter des „staatlichen Abgabemonopolbetriebs“ anstellen müssen, ist damit noch nicht gesagt. Zunächst einmal sieht es so aus, dass es einen – von Schweizer und holländischen Anbauern und Dealern ausgehenden – starken Exportdruck gibt. Wobei es nicht wünschenswert ist, wenn das überzüchtete „Gras“ aus Holland, analog zum Gemüse, den deutschen Markt beherrscht.
Noch sorgt die Illegalität mit ihrer gehörigen Risikospanne für ein breites Angebot. Und ein gewisser Preisdruck kommt dabei von den hiesigen kleinen Selbstanbauern. Gleichzeitig fand eine Konsumkultivierung statt, seitdem das Haschischrauchen aus der Mode geriet – und immer mehr Leute Partydrogen bis hin zu Kokain nehmen. Was hat es aber nun mit der These „Dem Stoff wurde zugeschrieben, was der Gesetzgeber angerichtet hatte“ auf sich?
Der Gedanke, dass sich alle durchs Kiffen gekommenen Ideen und Vorstellungen primär der Illegalität verdanken, hat etwas schwer Erträgliches, sollte aber der fortgesetzten Sozialkritik zuliebe ausgehalten werden. Wie ja auch viele Existenzgründungen und Sinnfindungen zwischen Marokko und Kasachstan bloß dieser Kapitalferne – infolge andauernder Staatsverfolgung- zu verdanken sind. Selbst die Berliner „Hanfparade“ ist ohne die „Fuchtel“ des Gesetzes nicht zu haben.
(***) Das wichtigste Produkt das „Hanfhauses“ war ein Wasch- und Reinigungsmittel-Sortiment auf Hanf-Basis, hergestellt von den Polymer-Chemikern Max und Brigitte Olschewski. Als ich sie porträtierte, gab ich dem Text die Überschrift „Persönliche Kampfziele“:
So übertitelte Max Olschewski seine kurze Geschichte vom Plastikforscher in der Akademie der Wissenschaften der DDR zum Geschäftsführer der Köpenicker Firma seiner Frau Dr. Brigitte Olschewski, die ihr Labor nach der Wende als „Cycloclean BO Umweltchemie GmbH“, kurz CC BO, im Handelsregister eintrug.
Die beiden – er ist 63 und sie 58 Jahre alt – waren zuvor vom westdeutschen Wissenschaftsrat „positiv evaluiert“ worden, d.h. ihre Forschung in der Akademie wurde als „erhaltenswert“ eingestuft. Da man jedoch zugleich ihr Institut „abgewickelt“ hatte, waren sie zunächst auf Basis von ABM in einer gemeinnützigen Beschäftigungsgesellschaft für arbeitslose Akademiker gelandet. Auch dort wurde geforscht. Max Olschewski hatte jahrzehntelang vor allem mit Tensiden gearbeitet, und in der Verbindung von Forschung und Produktion u.a. ein Kunstleder aus Polyurethan entwickelt, das als Schuhoberteil die Eigenschaft hatte, nach außen wasserabweisend und nach innen atmungsaktiv zu sein.
In der deprimierend lethargischen Vorwendezeit beschäftigte ihn – inspiriert von Thomas Pynchons V2-Raketen-Roman – die Erfindung eines erektionsfähigen Plastematerials, mit dem die Peenemünder angeblich in den Vierzigerjahren bestimmte Teile ihrer Raketen ausstatten wollten. Dann interessierte er sich für die Räder von Skateboards, sie waren von einem 1968 in Berkeley relegierten Chemiestudenten erfunden worden und bestanden aus weichem Plastik, dass jedoch kaum Abrieb hatte. Und schließlich arbeitete er sich in die Müllprobleme der 3.Welt ein, u.a. in die Energiegewinnung aus Plastik, denn dort gibt es einen immer bedrohlicher werdenden Holzmangel und gleichzeitig einen großen Überschuß an Plastikmüll.
Der Herbst 1989 und die darauffolgende Auflöfung der DDR sowie der Akademie und seines Instituts riß Max Olschewski aus seinen Träumen. Wenig später in der Beschäftigungsgesellschaft kamen die beiden Olschewskis als Polymerforscher in einem Projekt unter, in dem es um patentreife Erfindungen im Umweltbereich – konkret: „um nützliche Produkte aus mikrobiellen Biomassen, d.h. um biologisch abbaubare Kunststoffe“ ging.
Nach einiger Zeit meldeten die Olschewskis zwei Patente an – zum Thema „Bioformstoffe und Derivate“. Diese wurden jedoch von der Beschäftigungsgesellschaft beansprucht – mit der Begründung: „Wir verwerten sie selbst“. Das geschah dann jedoch in einigen von den Geschäftsführern der gemeinnützigen Beschäftigungsgesellschaft gegründeten Privatfirmen. Um wieder an die Patente heranzukommen, versuchte das Forscherehepaar alles mögliche – bis hin zu Kleinen Anfragen im Berliner Abgeordnetenhaus.
Noch schwieriger wurde es dann, als die Olschewskis zur Verwertung ihrer Patente eine eigene Firma zu gründen beabsichtigten und dafür Geschäftspartner suchten, die sie nicht nur übers Ohr hauen wollten. Damals wimmelte es im Osten geradezu von Glücks- und Konkursrittern aus dem Westen, die auf Schnäppchensuche nach Immobilien, Geschäftsideen, Patenten und Notverkäufen waren. Die beiden Olschewskis gerieten gleich mehrmals an solche. In Summa:
„Es ging rauf und runter in dieser ‚Gründerzeit‘: Im Rahmen unserer hilflosen Streifzüge gerieten wir auch an einen Bootsbauer aus dem Rheinland, Herrn Gerd Heinz. Er erschien uns glaubwürdig, zumal er mit einem sehr sympathischen Bootsbauer aus dem Spreewald, Fritze Lehmann, zusammenarbeitete. Max Olschewski und Gerd Heinz flogen nach Abu Dhabi und verhandelten dort mit dem Scheich Ibrahim Alhadidi. Es kam nichts dabei raus, aber rückblickend meint Max Olschewski doch: „Heinz war als Gauner drei Nummern besser als die Geschäftsführer unserer Beschäftigungsgesellschaft“. So schaffte er es z.B. vom Staatssekretär des brandenburgischen Umweltministers, Dr.Hesse, 40.000 DM für die Gründung einer „Brandenburger Umweltforschungs- und Entwicklungs-GmbH“ (BUFEG) zu bekommen, deren Prokurist er dann wurde: „Das Stammkapital dafür, 50.000 DM, zahlte er am 13.Mai ein und am 14. hob er es wieder ab“. Die Zeitschrift Forbes überreichte ihm 1993 ihren „Managerpreis“ des Jahres. Heinz stellte Max Olschewski dann als Geschäftsführer der BUFEG ein. Wenig später förderte das Umweltministerium das BUFEG-Forschungsthema „Bodenwäsche“ mit 1,15 Mio DM. Dieses Geld lenkte Heinz jedoch sofort in die Firma „Umwelttechnik Lehmann GmbH“, dort waren Max und Brigitte Olschewski ebenfalls als Geschäftsführer angestellt. Insgesamt bekamen sie aber nur anderthalb Gehälter überwiesen. Im Antrag stand, daß der Eigenkapitalanteil für die BUFEG von der Firma „Yachtwerft Lehmann GmbH“, einer weiteren Firma, kommen sollte, der kam aber nie. Später erfuhren die Olschewskis, daß Gerd Heinz wegen einer zurückliegenden Konkursverschleppung erst ab 1995 wieder Geschäfte machen durfte. Desungeachtet erwarb er mit den Forschungsgeldern mehrere Yachten. Eine „Tina“ – stellte er dann laut Bild-Zeitung dem für Unternehmenskredite zuständigen Mitarbeiter des Potsdamer Wirtschaftsministeriums zur Verfügung. Bald war die Steuerfahndung hinter dem Hochstapler her – und der Heinz verschwand auf Nimmerwiedersehn, dafür hatte dann das Ost-Ehepaar Lehmann jede Menge Schulden, denn mehrere Firmen waren von Heinz auf ihren Namen eingetragen worden.
Max und Brigitte Olschewski warteten von Ende 1993 bis April 1994 auf die Fördergelder für ihre eigene Firma „Cycloclean“. Im Mai meldeten sie sich arbeitslos. Vier Monate später wurde Brigitte Olschewski eine Laborantenstelle vom Arbeitsamt nachgewiesen. „So, habe ich da zu ihr gesagt,“ erzählt Max Olschewski, „jetzt fangen wir einfach mit unserer CC BO an, die es ja de jure schon gab, wir mußtens sie bloß vitalisieren“. Dies geschah zum einen dadurch, daß Brigitte Olschewski beim Arbeitsamt ein „Überbrückungsgeld zur Existenzgründung“ (in Höhe einer sechsmonatigen Arbeitslosenunterstützung – insgesamt etwa 11.000 DM) beantragte, sowie eine „Existenzgründer-Prämie“ (24.000 DM auf ein Jahr in drei Raten) bei der Berliner Senatorin für Arbeit und Frauen. Zum anderen kümmerten sie sich um Förderungsgelder des Bundesforschungsministeriums – speziell für Technologieorientierte Unternehmensgründungen. Hierbei gab es ebenfalls jede Menge Ärger und Zeitverluste – in diesem Fall mit der dazwischengeschalteten „Berliner Bank für kleine und mittlere Unternehmen“ (BKMU), für die Max Olschewski die Geschäftsführerin und Bankmiteignerin Anne Schulz (der Name wurde von der Redaktion geändert) verantwortlich macht, die nach der Wende angeblich ebenfalls im lukrativen Beschäftigungsgesellschafts-Geschäft mitgemischt hatte. Schließlich riet das Bundesforschungsministerium der Ich-AG Olschewski: „Fangen Sie doch einfach schon mal an“. Im Verlauf des Jahres 1995 kamen auch bereits die ersten Einnahmen – durch Forschungsaufträge – herein. So wie die Förderung beginnt, muß man auch Leute einstellen.
Der erste Mitarbeiter der Olschewskis war ein gestandener Polymerchemiker. Er richtete das Labor mit ein, das sie inzwischen im „Innovationspark Wuhlheide“, einem ehemaligen NVA-Standort, angemietet hatten. Ihr Angestellter erwies sich in der täglichen Arbeit sehr schnell als „eine Katastrophe: Er suchte ein trockenes Plätzchen und war devot“. Statt an Versuchen arbeitete er meist am Computer – schrieb sogar eigene Programme: „Wir brauchten so etwas aber gar nicht. Deute mir mal einen Computer. Seine Kurven sahen gut aus, waren intelligent aufgebaut, aber erstens durchschaute ich sie nicht und zweitens hatten sie praktisch keinen Wert. Davon hätten wir kein einziges Produkt verkaufen können. Als er dann auch noch ein viel zu teures Randwinkel-Meßgerät zu seiner Selbstbefriedigung anschaffen wollte, haben wir ihm gekündigt. Als nächstes wurde eine 38jährige Diplom-Chemieingenieurin eingestellt, die im VEB „Berlin-Chemie“ mit Tensiden gearbeitet hatte – „also zu unserem Fach gehörte: Sie ist lebhaft und angenehm“. Bei CC BO kocht sie nun meistens die Tenside. Als „Perle“ bezeichnen die Olschewskis ihren 34jährigen Diplomchemiker, den sie über das Arbeitsamt vermittelt bekamen: „Zwei Monate hat er gar nichts gesagt, er reflektiert alles in Arbeit, bei uns stellt er Tensid-Experimentreihen zusammen“. Als Laborantin wurde dann noch eine 32jährige arbeitslose Schriftsetzerin eingestellt.
Über einen ehemaligen Kollegen aus der Akademie der Wissenschaften kamen die Olschewskis mit einem ABM-Projekt zur Bodensanierung auf dem ehemaligen Gelände einer Treptower Farbenfabrik in Kontakt. Dem Maßnahmenleiter dort legten sie ihre Idee, Bodenwaschen mit Tensiden, nahe. Es kam auch zu einer gewissen Kooperation, aber mit Auslaufen der ABM endete sie Anfang 1997 wieder. Die Olschewskis verfolgten ihre Idee der Bodenwäsche sowie die damit verbundenen technischen Reinigungsprobleme jedoch weiter. „Wir hatten immer zu unterscheiden: Sagen wir es unserem Betreuer im Bundesforschungsministerium, Dr. Ruhrmann, oder sagen wir es ihm nicht? Wenn es um Wasser-in-Öl-Tenside geht, dann kann es die Förderung betreffen. Dabei gibt es eine Forschungspflicht – 137 Stunden pro Monat. Im umgekehrten Fall – Öl in Wasser – betrifft es die Förderung nicht. Das ist dann Kür für uns. Wir bringen ihm alle Aufträge zur Kenntnisnahme, daraus ergibt sich die gesamte Arbeit des Labors. Wobei immer vermarktungsfähige Produkte bei rauskommen müssen. 95% aller Veröffentlichungen auf diesem Gebiet betreffen im übrigen Öl in Wasser“.
Bei den zu vermarktenden Produkten braucht es natürlich Abnehmer – Kunden. Auch hierbei waren die bisherigen Erfahrungen der Olschewskis durchwachsen. Im November 1995 rief z.B. ein junger Schwabe bei CC BO an: Er habe 200 Bauern in Griechenland unter Vertrag – produziere auf 5000 Hektar Baumwolle, daraus fertige er Textilien. Er wollte eine Lizenz zur Herstellung von Tensiden nach dem Olschewski-Verfahren kaufen, damit wollte er dann in Griechenland selber Tenside herstellen, um auch noch seine ölhaltigen Nebenprodukte zu verwerten. CC BO sollte 5-6% vom Gewinn bekommen – dies sei der übliche Anteil in der chemischen Industrie. Max Olschewski antwortete ihm, dass er seine Rezeptur für die paar Kubikmeter Öl nicht verrate. „Das ist ein typisches Beispiel für West-Geschäftsbenehmen, in dem mein Part darin zu bestehen scheint, vom vielen Geld oder der vielen Sprache beeindruckt zu sein“.
Gegenbeispiel: Eine kleine Firma in Brandenburg, die Ultraschallgeräte baut. Man kann damit z.B. technische „Abälle“ recyceln, indem man die Verunreinigungen ablöst. Das betrifft u.a. Eisenbahnschotter, Walzzunder und Kunststoffschredder. Es ist ein relativ einfaches Verfahren, aber nicht ganz billig – wegen des Energieaufwands. Andererseits geht es mit Tensiden allein auch nicht. Beide Methoden zusammen wären eventuell brauchbar. „Diese Firma war redlich! Einer ihrer Mitarbeiter führte mir das Vermischen von Diesel und Wasser mit Ultraschall vor. Daraufhin habe ich ihm Diesel und Wasser mit einem speziellen Tensid vorgeführt, später schrieben wir ihm: „Sind immer noch beeindruckt von ihrer Innovation. Diesel-Wasser-Gemisch mit Ultraschall hat sich entmischt. Diesel-Wasser-Tensid-Gemisch hat sich jedoch noch immer nicht entmischt… Redlich an ihm war, daß er gesagt hat, was er kann und was er nicht kann“. Da das Diesel-Wascher-Tensid-Gemisch auch nach mehreren Monaten noch stabil blieb, konnte dafür das Interesse eines mittelständischen Unternehmers geweckt werden, der mit der Mischung im Test eine Turbine betrieb. Max Olschewski erzählte diese Geschichte als ein Beispiel für eine „gute Geschäftsanbahnung“.
Als Negativbeispiel erwähnte er dann einen „kleinen mittleren Waschmittelhersteller“: „Wir haben eines seiner Waschpulver mit unseren Tensiden verändert. Er hat ein Labor und wir haben da gewaschen und geprobt. Nach vier Monaten meinte er: ‚Wir seien zwar schon ganz schön weit, aber es wäre noch nicht gut genug!‘ Inwischen war jedoch unser Ergebnis besser als seins. Und das war es dann zwischen uns! Er hätte uns erklären müssen, was denn sein Ziel gewesen war. Er entschied also ohne sachliche Gründe. Und wir merkten langsam, ohne Geld zu verdienen, dass er nur unsere Rezeptur wollte“.
Aber erst einmal lernten die Olschewskis über ihn dann die Geschäftsführer des Berliner Hanfhauses kennen, die an Waschmitteln auf Hanföl-Basis interessiert waren. „Wir haben das gleich noch bei dem Waschmittelhersteller ausprobiert. Mit seiner alten Mischtechnik. Weil das Pulver beim Mischen heiß geworden war, wurde es klumpig. Die Reaktion des Fabrikbesitzers darauf war: ‚Wir müssen etwas weniger Tenside reinschütten, dann wird es pulvriger‘. Er wollte nur schnell wieder ins Geschäft reinkommen – mit dem neuen Waschmittel ‚Sative‘ – produziert von ihm. Wir hätten dagegen lieber ein bißchen mehr Tenside beigegeben, um die Waschkraft zu stärken, dazu hätten wir jedoch einen Extruder benötigt. Also eine Mischmethode, bei der das Wasser rausgezogen wird. Weil wir uns nicht einigen konnten, trennten wir uns von dem Waschmittelhersteller, dem ich später in einem Brief schrieb, dass er nun schon der Dritte sei, dem wir unsere Rezeptur nicht verraten“.
Da wir alleine weiter machten, brauchten wir dringend eine Vertriebsfirma. Es meldete sich eine aus Hessen, ich bat einen der Geschäftsführer des Hanfhauses dazu. Die haben dann diskutiert. Der aus Hessen hat immer ganz groß, aber unsachlich was versprochen, die Berliner Hanfleute dagegen haben auch mal einen Versuch bezahlt – und blieben ansonsten immer sachlich. Das Waschmittel wollte der Hesse über Tengelmann vertreiben. Im Endeffekt kam dann heraus: „Eine Gruppe von Wirtschaftsweisen sollte und wollte ein Marketingkonzept erstellen – und das sollte Tengelmann angeboten werden. Die Vermarktungsfirma und CC BO – wir hätten halbe halbe gemacht (nach Abzug aller Spesen). Der Rat der Wirtschaftsweisen hätte z.B. 300.000 DM bekommen. Der Besitzer der Vermarktungsfirma hatte davor schon eine andere Firma gehabt, die 1,4 Mio DM Miese gemacht hatte – konkursverschleppt. Seine neue Firma war aber nicht die Nachfolgefirma, er war auch nicht ihr Geschäftsführer, das war ein Anwalt. Er selbst war seine Firma – alle seiner 13 Angestellten waren längst entlassen, ohne Gehalt und sogar sein Telefon war bereits abgeklemmt. Er sollte vor Gericht gestellt werden – und hatte nur noch eine Chance, nicht in den Knast zu müssen: Wenn er glaubhaft machen konnte, daß er mit den Tensiden alle Schulden bezahlen könnte. Wir brachen dann natürlich alle Geschäftskontakte zu ihm ab. Stattdessen entwickelte sich die Zusammenarbeit mit dem Hanfhaus ganz wunderbar. Max Olschewski bekam von ihnen einen halben Liter Hanföl – und daraus machte er in zwei Wochen ein Waschpulver, „das weißer als die bewährten Waschmittel wusch! Die Brisanz war auf beiden Seiten enorm“. Zum einen konnten die Olschewskis ihr bereits liebgewonnenes Waschpulver nun „doch noch an den Mann bringen, dazu auch noch ökologisch und dann auch noch mit Hanf – der neuzeitlichen Superpflanze aus grauer Vorzeit“ Zum anderen würden die Hanfhausleute mit dem Waschpulver namens „Sativa“ über eine „innovative Wunderwaffee verfügen, die die Altvorderen noch nicht kannten – also über ein wirklich neues Hanfprodukt“.
Nachdem abrundend aus den Waschmittel-Bestandteilen auch noch das Phosphat entfernt worden war, damit es nicht so staubte, wurde aus dem Pulver ein Granulat gemacht. Sodann wurde ein Produzent in der Lausitz gewonnen, ein Granulierer aus Sachsen, und dann noch ein Abfüller in Thüringen. Auch die Gestaltung der Werbetexte verlief mit dem Hanfhaus zunächst „frisch und unkompliziert“. Die Einvernehmlichkeit dauerte jedoch nur so lange, bis die erste Tonne Waschpulver der Marke „Sativa“ verkaufsbereit war. Auf den Verkaufskartons hieß es, daß das ganze eine Auftragsentwicklung der Hanfhaus GmbH im Joint Venture war und im Internet tauchten die beiden Erfinder dann gar nicht mehr auf. Darauf folgte ein Fax-Krieg, der von seiten des Hanfhauses in solch stereotypen Sätzen wie „Hast Du denn nicht gecheckt, dass 89 eine Wende stattgefunden hat?!“ gipfelte. Die Olschewskis kündigten daraufhin wütend den Vertrag mit sofortiger Wirkung – wegen „Mißachtung der Urheberrechte“.
Ab 1996 war das Hanfhaus dann nur noch ein normaler Kunde, sie verkauften ihm etwa 20 Tonnen pro Jahr, keinesfalls 100-150 Tonnen, wie die Hanfhaus-Geschäftsführer vorausgesagt hatten. Und ihre Zahlungsmoral wurde auch immer schlechter. Dafür traten andere Hanfläden als Kunden an ihre Stelle, sowie auch diverse Olivenöl- und Hanföl-Händler in der Türkei und in Brandenburg, die daraus mit den Produkten der Olschewskis Tenside herstellen wollten. Das Franchisingunternehmen Hanfhaus ging 2000 in Konkurs, nachdem es erst wegen der Hanfsamen in seinem Angebot mit dem Betäubungsmittelgesetz in Konflikt geraten war und dann auch noch sämtliche Hanfläden in Griechenland aus dem selben Grund schließen mußten. Bei ihrem Sativa-Hersteller CC BO stabilisierte sich jedoch die Auftragslage immer mehr.
Abschließend sei noch etwas über die Arbeitsteilung zwischen dem Forscher-Ehepaar gesagt, die nicht frei von Widersprüchen ist. So meinte Max Olschewski z.B.: „Meine Frau ist das Genie und ich bin ihr Propagandist, das Mundwerk“. Es stimmt, er redet gerne und mehr als seine Frau. Sie hält jedoch eher ihn für genial und bezeichnet sich selbst als gründlich: „Er macht seine chemische Arbeit, das, was ihm Spaß macht, und hält nebenbei noch Vorträge, gibt Interviews, macht Verträge usw. Die unangenehmen Sachen bleiben dagegen oft bei mir liegen. Beispiel: Unser neues Shampoo – da konferiert er mit den Abnehmern und ich kriege dann heraus: Was fordert der Gesetzgeber für Angaben auf dem Etikett – also letztendlich was für Inhaltsstoffe? Dazu gibt es vom Industrieverband für Körperpflege die Sechste Änderungsrichtlinie, an die man jedoch, ohne Mitglied zu sein, nicht herankommt. Also muß ich erst einmal eine Firma auftreiben, die sie mir kopiert. Für das Bezahlen der Rechnungen bin ich ebenfalls zuständig, desgleichen für die Probleme mit dem Steuerberater und den diversen Behörden“.
Auch auf den Zwang, immer wieder neue Aufträge hereinzuholen und abzuarbeiten, reagieren Max und Brigitte Olschewski unterschiedlich: „Ich würde z.B. die Produkte gerne länger testen als er. Wir sind generell gezwungen, schneller als mir lieb ist, die Produkte auf den Markt zu bringen. Wir können zwar, bei unserem neuen Shampoo etwa, die Düfte nicht endlos ausprobieren, aber einige Tests sind unumgänglich: Erstens müssen wir uns die ‚Abbaubarkeit‘ testieren lassen und einen ‚Hautverträglichkeitstest‘ vornehmen lassen, mit dem der transepidermale Wasserverlust-Faktor getestet wird; zweitens muß man beim Umweltbundesamt eine ‚UBA-Nummer‘ für Wasch- und Reinigungsmittel beantragen, dazu wird dort ein ‚Sicherheits-Datenblatt‘ angelegt und dann wird gemäß der europäischen Norm ein Tier- und Pflanzentest bzw. Algentest gefordert, der zur Einschätzung der Wassergefährdungsklasse des neuen Mittels herangezogen wird. Das muß man alles erst einmal bezahlen“.
Ähnlich kompliziert ist es auch bei den anderen Anwendungen ihrer Erfindungen. Brigitte Olschewski erwähnt fünf: „Da geht es z.B. in der Lausitz um den Abbau und die Verwertung der Teerseen im Braunkohlerevier. Der Teer soll mit unseren Tensiden verflüssigt und in Rohren transportiert werden. Wir müssen da also wenig Wasser in viel Öl reinbringen. Dabei muß man erst mal experimentieren. Ein weiterer Markt für unsere Erfindungen wären industrielle Reinigungsmittel: zum Lokomotiven-Waschen oder für die Motorwäsche auf Tankstellen. Einmal handelt es sich da um den Noch-Monopolbetrieb Deutsche Bahn AG und zum anderen um viele, viele Tankstellenpächter. Soll man die alle abklappern? Man bräuchte dabei eine andere Herangehensweise: Großproduktion und dann mit Vertrieb. Den Tankstellenpächtern ist z.B. im Gegensatz zur Bahn AG die Abbaubarkeit egal, die wollen es vor allem billig haben. Ein vierter Anwendungsbereich wäre die Textilreinigung – noch vor dem Färben der Faser. Auch auf diesem Markt müßte man sich erst einmal mit den möglichen Vertriebswegen befassen. Ähnlich sieht es – fünftens – mit Kühl-Schmiermitteln aus, die beim Bohren, Fräsen usw. als Sondermüll anfallen. Auch hier war unser Mittel im Probeeinsatz erfolgreich- Nur müßte man nun erst einmal die gängigen Mittel physikalisch-chemisch untersuchen: Was sie leisten, wieviel Temperaturen sie z.B. aushalten usw.. Es sind einfache Verfahren denkbar, mit denen das Mineralöl zusammen mit unserem Tensid abbaubar wäre. Die optimale Rezeptur für ein bestimmtes Anwendungsgebiet ist immer abhängig von der Ungesättigtheit der einzelnen Fettsäuren, die in dem Öl, das wir verwenden, enthalten sind. Bei den Waschpulvern haben wir die besten Ergebnisse mit Hanföl hinbekommen, es ist jedoch noch zu teuer, am billigsten ist noch das Sonnenblumenöl“.
Brigitte Olschewski hat bei aller Begeisterung für die vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten ihrer Erfindungen jedoch langsam das Gefühl, auf die Bremse treten zu müssen: „Mich macht es schon nervös, wenn auf dem selben Labortisch einmal Teer mit Wasser gemischt wird, um die Viskosität zu testen, also die Rezeptur noch einmal zu überarbeiten, bevor der Großversuch gekocht wird – und wenn, sagen wir, daneben der Duft für ein Shampoo kreiert wird. Schon allein vom Geruch her ist das nicht gut…Andererseits hat eine kleine Firma wie wir immer die Schwierigkeit, daß man sich mit jedem Auftrag sofort beschäftigen muß, der hereinkommt. Dabei bekommt man jedoch die ganzen Kosten, die auf einen zukommen, erst mit der Zeit heraus. Wir schließen als nächstes erst einmal eine Produkt-Haftpflicht-Versicherung ab. Beim Waschmittel ‚Sativa‘ haben wir z.B. immer draufgeschrieben ‚100% abbaubar‘. Das hat ein OECD-Screening-Test – für 1.800 DM – ergeben. Diese Formulierung hätte aber eigentlich einen Metaboliten-Test für 20.000 DM vorausgesetzt. Den haben wir noch nicht machen lassen, stattdessen haben wir die Formulierung auf der Verpackung nun erst einmal geändert in: ‚Vollständig abbaubar‘. Das sind alles so Stolpersteine – und die wirken auf mich lähmender als auf meinen Mann.
Max sagt: ‚Machen wir erst mal, hinterher wird zusammengefegt‘. Ich fühle mich dagegen doppelt verantwortlich. Er bearbeitet möglichst viele Themen gleichzeitig, ich arbeite lieber etwas vollständig ab. Er erwartet, daß ich das eine tue, aber zugleich auch den Gesamtüberblick behalte. In der chemischen Arbeit ergänzt sich das jedoch sehr gut. Da greift er gerne auf meine gründliche Arbeit zurück, hat aber gleichzeitig mehr Mut, etwas Neues zu versuchen. In der Tensid-Forschung da setzt er z.B. mehrere Fette gleichzeitig an. Ich sage dazu: Die Parameter müssen stimmen: Um zu vergleichen, darf immer nur ein Parameter zur Zeit verändert werden. Das liegt ihm aber nicht. Er kocht das eine mit 80 Grad, das andere mit 70. Das kann er aber nur, weil ich in der Zeit schon derart gesicherte Erfahrungswerte herausgeholt habe, daß er damit arbeiten kann. Er bewegt sich sozusagen auf der genialen Ebene und ich auf der der Grundlagenforschung. Die ganze Arbeit würde sehr viel länger dauern, wenn wir nicht so zusammenarbeiten würden wie wir es tun. Wobei er ein Produkt viel zu früh auf den Markt bringen würde und ich ewig forschen würde. Er ist 1993 z.B. darauf gekommen, daß Hefe und Klärschlamm beide die selben Eigenschaften haben – als mikrobielle Biomasse: den selben polymerchemischen Aufbau. Das wäre mir nie eingefallen!“
1996 kamen die Olschewskis nach einer Fernsehsendung über ihre Erfindungen mit einer westdeutschen Vertriebsfirma für ökologische Produkte in Kontakt, die sie mit auf die japanische Messe „New Earth“ nach Osaka nahmen, dort ergaben sich dann sogleich mehrere Kontakte zu japanischen Firmen, die an den CC BO-Produkten Interesse hatten. Es wurde also nach der Rückkehr alles noch viel hektischer als es sowieso schon war. Außerdem vergrößerten die Olschewskis ihre Produktion, sie stellten neue Mitarbeiter ein und mieteten weitere Räume auf dem Innovationspark Wuhlheide an, darunter ein mit Kupfer ausgeschlagenes Labor, das einst eine abhörsichere Stasi-Zentrale gewesen war.
Dann hörte man jedoch in ihrer Branche, dass die großen Chemiekonzerne eine Reihe von Produkten um die Olschewski-Patente herum entwickelt hätten und CC BO vom Markt zu verdrängen suchten. Ich war zu der Zeit mit anderen Dingen beschäftigt. Als ich mich jedoch daran machte, diesen Vortrag auszuarbeiten, rief ich Ende Juli bei Brigitte Olschewski an, um den letzten Stand der Dinge zu erfahren. „Lebt ihr noch?“ fragte ich sie sogleich.
„Ja, uns gibts noch,“ wurde mir versichert. „Und wir haben jetzt auch endlich die Genehmigung von der EU: Unsere Tenside dürfen in den Boden – und die von Dow Chemical nicht! In Belgien und im Ruhrgebiet beginnen demnächst bereits die ersten Bodenwaschungen!“
„Das ist ja hervorragend,“ freute ich mich. Was gibts sonst noch Neues?“ „Und dann habe ich mich von meinem Mann getrennt,“ berichtete mir Brigitte Olschewski. Er hat zuletzt immer mehr für sich geforscht – sogar privat Patente angemeldet. Jetzt ist er Rentner und ich schmeiße hier den Laden alleine!“
Dabei geriet sie jedoch wieder an jemanden, der sie nur übers Ohr hauen wollte. „Aus Gegner werden Partner,“ seufzte Francois Lyotard bereits in den Achtzigerjahren. Mehrmals besuchte ich Brigitte Olschewski Anfang 2008, um mehr über die Hintergründe der Attacken ihres neuesten „Partners“ zu erfahren. Die Details seiner Sauereien würden hier erneut gewaltig virtuellen Raum umfassen. Zu gerne würde ich Brigitte Olschewski raten, alles hinzuschmeißen und ihr wunderbares Patent beispielsweise an die Genossenschaft „Detergentia Cooperativa Industrie“ in Bagnacavallo, Toskana zu verkaufen.
(****) Auf was für Ideen manche Hanfanbauer kommen… Ein junger Graffiti-Künstler erzählte mir vor drei Jahren seine Geschichte. Sie begann so:
Steven K. wurde 1983 in Charlottenburg geboren. Anfänglich wohnte er bei den Großeltern, seine Mutter hatte Drogenprobleme. Als er sechs wurde, nahm sie ihn zu sich nach Neukölln, wo er dann die Oberschule besuchte. Seine Mutter arbeitete inzwischen als Prostituierte, um Geld für Drogen zu haben, 1994 wurde sein Bruder geboren, was ihr noch mehr Probleme bereitete. Steven wurde oft von ihr verprügelt, auch ihre Männerbekanntschaften hielten sich nicht zurück. Er mußte auf seinen kleinen Bruder aufpassen und wurde deswegen von seiner Mutter oft aus der Schule genommen, sein Spielzeug verkauftesie für weitere Drogen. Nach vier Jahren hatte er „die Schnauze voll“ und machte ihr seinerseits „Stress“. Er hatte angefangen zu kiffen und begriff langsam einiges. Vor seiner Mutter hatte er „keinen Respekt mehr“, ihm fehlte „eine Autorität“, die ihm sagte, wo es langgeht, wie er sagt. Als er 15 wurde, schmiß seine Mutter ihn raus und sorgte überdies dafür, dass er kein „betreutes Wohnen“ vom Sozialamt bekam. Drei Jahre lebte er auf der Straße, eine zeitlang in einer verlassenen Schule, wo er sich von der Außenbeleuchtung Strom abzapfte und auf dem Mädchenklo Hanf anbaute: zweieinhalb Kilo erntete er alle drei Monate, die er an einen Araber verkaufte, der sich das Geld durch den Diebstahl von Umschlägen mit Geldspenden in Moscheen beschaffte.
Auch von Dealern anderer Drogen bekam ich Geschichten zu hören. Auf dem Weg vorm Fischerhütten-Imbiß am U-Bahnhof Krumme Lanke stand ein junger Mann und trampte. Ich nahm ihn mit bis Dahlem-Dorf. Der 18jährige Azubi war nebenbei noch Hobbychemiker, der eine Weile Ecstasy selbst hergestellt hatte. Nunmehr dealte er nur noch. Mir bot er LSD, holländisches Turbo-Gras, Haschisch, Kokain, Ecstasy und zwei, drei weitere Designerdrogen an, deren Namen ich nicht kannte. Beim Ecstasy offerierte er zusätzlich eine chemische Analyse. Ihm hatten sie schon mehrmals „reines Zeug“ angeboten, das dann aus „20 Prozent Speed, 70 Prozent Heroin und 10 Prozent Bindemasse“ bestand.
Es sei wichtig, die Zusammensetzung zu kennen, die Kids würden nämlich oftmals 10 bis 15 Dinger auf einmal „klinken“, nicht wie die Hippies und Bhagwanies nur eins, möglichst mit jemandem zusammen, um beim Vögeln einen neuen Kick zu kriegen. Wir kamen auf die Sexualität zu sprechen. Ein Thema, zu dem ihm jedoch nur wenig einfiel: „Das spielt doch keine Rolle mehr.“ Ich hielt das erst für Verklemmtheit, bis ich von Freunden, die Söhne beziehungsweise Töchter zwischen 17 und 20 hatten, erfuhr, daß diese ebenfalls alle mit Sexualität nichts mehr am Hut hatten. Dem einen hatte seine Tochter zum Beispiel nach einem halben Jahr sämtliche Präservative, die er ihr fürsorglich hingelegt hatte, mit der Bemerkung wieder zurückgegeben: „So was brauch‘ ich nicht!“ Die 17jährige Tochter von Bert Papenfuß, Leila, hat gerade, im neuen Sklaven (Nr. 2), ein Wörterbuch ihrer Szene zusammengestellt: Tekkno-Musik und Drogen – als Lebensgefühl. „Da kommt ja kaum Sexualität drin vor“, meinte Bert Papenfuß. „Ja, das ist eben so“, erklärte die Autorin. Dana, Mitherausgeberin von Rudi Stoerts Zeitschrift Warten, arbeitet neuerdings am Bungee-Jumping-Gerüst, Potsdamer Platz. Auch diese „Sportart“ dient den modernen jungen Menschen zur genitalen Entfixierung. Das geht bis hin zum „Eisenstemmen auf Monatskarte“ im Fitneß-Center.
Die Freundin des Dealers aus Zehlendorf, einem Bezirk, in dem schon seit über 20 Jahren die meisten illegalen Drogen genommen werden, erzählte uns später: Für sie sei diese ganze „Scheiße“ seit der sexuellen Revolution – „multiple Orgasmen, Partnertausch, Aidsgefahr, Kinderschändung, Prostitution, Pornographie etc.“ – ein „Problem“ ihrer Eltern, mit dem sie nichts zu tun haben wolle: „Da kommt nichts Gutes bei raus!“ Dann, nach einer Pause: „Aber du würdest wahrscheinlich sogar diese Mikro-Trips“, die sie mir sogleich in die offene Hand rollen ließ, „als Fick-Stimulans gebrauchen.“ Es klang wie „mißbrauchen“. Aber ihr „Use“ war auch nicht ohne Nebenwirkungen, wie uns dann ihr Freund erklärte: „Im vergangenen Jahr waren wir immer an der Krummen Lanke, aber da kamen dann die Türken hin. Und die haben uns oft das Zeug geklaut. Einer hat mich sogar mal mit einem Messer geschlitzt und mir 1.500 Trips abgenommen, die ich für eine Party dabei hatte. Das wurde da immer schlimmer mit den Türken. Jetzt sind wir deswegen meistens am Schlachtensee, da ist es ruhiger.“
Mit „Türkenproblemen“ hatten auch viele andere Söhne und Töchter von Freunden aus Ostberlin zu tun, die ebenfalls durch die Bank dealten, wenn auch oft nur, um ein bißchen nebenbei zu verdienen, nicht selten gleich bei den Eltern. Am eindrucksvollsten fand ich dazu die Geschichte von Ellen, einer ehemaligen FDJ- Hauptamtlichen, die mit ihrer Tochter und deren Freund sowie der Oma in ein bayrisches Ferienhaus gefahren war und dort „zwei Wochen voll durchgekifft“ hatte. Der Freund ihrer Tochter war Dealer. Am Irresten fand sie: „Die Oma hat die ganze Zeit am meisten geraucht!“ Von einer anderen Mutter erfuhr ich, daß die Kids massenhaft Heroin nehmen, in verschiedenen Formen: „Bei Ecstasy zum Beispiel wird in der Regel gesagt, dieses und jenes hat soundsoviel Anteil Heroin.“ Auch das Kokain, von mir als Autoverkäufer- und Springer-Journalisten-Droge schon längst abgetan, das sich früher viele auch gern auf die Genitalschleimhäute schmierten, sei immer mehr „im Kommen“.
Es war wieder am Schlachtensee, wo ich einem Gespräch dreier junger Männer lauschte. Sie unterhielten sich über die Rezepturen und Wirkungen verschiedener Drogencocktails – und zwar stundenlang: „Kennst du das – zwei Amphetamine mit Bourbon und dann drei Purple Heart hinterher? Das kommt irre!“ Sie hechelten alle möglichen Kombinationen durch und ließen nicht einmal Äther und Hustensaft aus. Dabei machten sie, neben ihren Mountainbikes auf dem Rasen sitzend, den Eindruck, als seien sie mit ihren FU-Vorexamensnoten Muttis ganzer Stolz.
Aber wer weiß, vielleicht gaben die Mütter ihren Sprößlingen mittlerweile selbst noch manch wertvollen Tip, vom Hausarzt etwa, mit auf deren Experimentierweg. Sollten die Kids aus den von Camel, Philip Morris und Angela Merkel gebashten „Designerdrogen“ möglicherweise mehr herausholen, als einst in sämtliche sexuelle Befreiungsbewegungen hineingeheimnist worden war?!
Viele bleiben jedoch dabei: „Morgens ein Joint/Und der Tag ist Dein Freund!“ (Altes friesisches Sprichwort) Ich bekommen meine Haschisch-Rationen von einer extrem seriösen Dealerin:
Zehn Gramm Haschisch sollen nun legal sein, aber so viel kann ich mir auf einmal gar nicht leisten – bei meiner Dealerin, die seit 1992 vor den Toren der Stadt in einer alten Mühle wohnt. Hier trifft sich täglich der interessanteste Stammtisch. Viele kommen mit der S-Bahn, ganz Eilige auch schon mal mit einem Mietwagen. In ihrer Wohnküche hängt der altdeutsche Spruch „Müllerin, brumm nicht!“, in ihrem Fernseher laufen meist Quizshows.
Die Müllerin, wie sie auch genannt wird, bietet stets Weißwein an und weiß viel vom vielen Fernsehen. Ansonsten dreht immer irgendein Kunde gerade einen Joint. Die meisten haben es nicht eilig. Einige hören nur zu oder warten auf die Erledigung ihrer Bestellung, andere quasseln ununterbrochen. Derzeit ist es ein junger Tscheche mit einer umfassenden Bildung, dem zu fast jedem Stichwort eine wissenschaftliche Erklärung einfällt, die oft auf eine umfassende hinausläuft – eine Art „Grand Unified Theory“.
Die Müllerin ist schon lange auf Stütze, aber sie selbst unterstützt noch ihren Ehemann Birja, der vor acht Jahren zurück in den Sudan ging: „Entweder wäre er hier verrückt oder gewalttätig geworden“, meint die Müllerin verständnisvoll. Gelegentlich erkundigen wir uns nach Birja, mit dem sie regelmäßig telefoniert, denn genau genommen sind wir es ja, die ihn finanzieren – und das machen wir auch gerne! Mehrere ihrer Kunden sind Hochschullehrer, einer arbeitet bei der Kirche – und das schon seit Jahrzehnten. Trotzdem kann er sich noch immer über bestimmte Verschrobenheiten in seiner Kanzlei, ja in der ganzen Ecclesia, wundern – und sie vor allem gut wiedergeben.
Das kann man von Gerd, der fixt und säuft und eigentlich für jede Droge offen ist, nicht sagen, dennoch sind seine Beiträge von Gewicht. Wie auch die eher zynisch knapp gehaltenen Bemerkungen von Jutta, die in einem Bordell arbeitet, worauf man sie jedoch nicht ansprechen darf. Ein begnadeter Erzähler ist dagegen Max: Der langzeitarbeitslose Historiker kam einst aus Lebernot vom Bier aufs Kiffen – und hat sich auf die Erforschung der westdeutschen K-Gruppen in den Siebzigern spezialisiert. Deren Differenzen kennt er bis in die letzte Arschfalte.
Interessant ist auch der bärtige englische Birdwatcher, ein Künstler, würde ich sagen, er beobachtet gerne Vögel – und das in der Stadt. Hier gäbe es, behauptet er, inzwischen mehr Arten als in der freien Natur, weil die Tiere langsam die Vorteile bemerken: Küchenabfälle, künstliches Licht, sichere Schlaf- und Nistplätze an und auf den Hochhäusern. Man könne sehr gut beobachten, wie verschiedene Populationen ein und derselben Art sich durch Lernen und Vererbung erworbener Eigenschaften in unterschiedlichen Soziotopen langsam auseinander entwickeln. Die Drosseln in Lichterfelde etwa würden sich kaum noch mit den Drosseln im Wedding verständigen können, von denen in Hellersdorf ganz zu schweigen.
Daraufhin kommt zum Beispiel Jutta prompt auf Darwin und Lamarck bzw. auf das „Survival of the Fittest“ (die ganze Natur ein einziger Fitnesspark) versus die „Gegenseitige Hilfe in der Natur- und Menschenwelt“ zu sprechen … Und jemand anders bemüht die „morphischen Resonanzfelder“ des Hyperlamarckisten Rupert Sheldrake bzw. den Unterschied zwischen dem Totemtier des New Age in den Achtzigern (Delphin) und dem der New Economy (Wolf).
So gestaltet sich jeder Besuch bei meiner Dealerin als ein Bildungsurlaub auf dem platten Land, von dem man jedoch gar nichts mitbekommt, weil die Müllerin, seit sie da draußen wohnt, erst nach Einbruch der Dunkelheit Besucher empfängt. Straßenlampen gibt es dort nicht und sowieso sind ihre Vorhänge vor den Fenstern immer zugezogen. Mit Paranoia hat das nichts zu tun. Im Gegenteil malen wir uns jedes Mal, wenn wir zu mehreren auf dem Rückweg in der S-Bahn sitzen, erschreckt aus, wie es wird, wenn man das Haschisch vollends legalisiert: Das wäre das Ende der Müllerin – und ihres aus Zufall und Notwendigkeit entstandenen Kundenkreises – ein furchtbarer Gedanke.
„Du gehst kaputt – und der Dealer macht Kasse!“, so lautete die erste Antidrogenkampagne der Bundesregierung 1974. Zwanzig Jahre später, am 28. April 1994, kehrte sich dieser Gedanke jedoch mit dem so genannten „Haschisch-Urteil“ des Bundesverfassungsgerichts komplett um: Da Cannabis als nicht besonders süchtig machend eingeschätzt wurde, gab man den Besitz kleinerer Mengen für den Endverbraucher quasi frei. Gleichzeitig wurde das Dealen aber immer gefährlicher!
„Du lachst dich kaputt, aber dein Haschischhändler wandert in den Knast!“ – so müsste es heute also heißen. Tatsächlich hat die Bundesgesundheitsministerin gerade verlauten lassen, dass der Genuss von Haschisch und Alkopops unter den Jugendlichen stark angestiegen sei. Man ist sich jedoch uneinig, was man dagegen tun kann: den Konsum durch hohe Besteuerung zu drosseln funktioniert nur bei legalen Drogen – und Cannabis zu legalisieren erscheint noch zu gewagt. Auch für die Kiffer wäre es kein Fortschritt, wenn etwa „Reemtsma“ fortan Joints verkaufte: Erstens würden dadurch zigtausende Dealer arbeitslos. Zweitens würde deren Risikomarge sich in Form einer Genusssteuer sicher verdoppeln.
Dennoch mehren sich die Stimmen, die diese „weiche Droge“ freigeben wollen. Nicht zuletzt deshalb, weil die Diskussion der letzten Jahre sich immer weiter von der Realität entfernt hat. Gemeint ist die zunehmend armseligere Rechtfertigung der staatlichen Repression. Diese würde jedoch für die vielen kleinen Cannabis-Anbauer auch im Falle einer Legalisierung fortdauern, denn es wäre ja nach wie vor eine gegen die Jointkonzerne gerichtete Schwarzarbeit.
Für mich, der ich das Zeug zum Arbeiten brauche und nicht zum Wegdröhnen, ist die Sache sowieso klar: Zwar hat der Gedanke, dass alle durchs Kiffen gekommenen Ideen primär der Illegalität geschuldet sind, etwas schwer Erträgliches, sollte aber der fortgesetzten Sozialkritik zuliebe ausgehalten werden. Wie ja auch viele Existenzgründungen und Sinnfindungen sich bloß der Kapitalferne – infolge andauernder Staatsverfolgung – verdanken.
Die Gesetze hinken immer hinterher: Kaum dräut der legale Hasch-Verkauf in Apotheken, wo die Droge schon einmal vertickt wurde (bis das US-Verbot auch hierzulande griff) – da sind die Endverbraucher bereits ganz woanders: Neulich wurde ich im U-Bahnhof Schönleinstraße Zeuge, wie zwei arme Dealer, die jedem Vorbeigehenden „Hasch!“ zuflüsterten, von einer Gruppe Grundschüler hochgenommen wurden: „Bleibt uns bloß mit dieser Kinderdroge vom Hals!“, riefen sie. Ich war darüber mehr erstaunt als die Dealer, die nur bitter lächelten.
Zu meiner Zeit las ich einmal in einem „Jerry Cotton“-Heft, dass irgendwelche finsteren Rauschgiftdealer den New Yorker Schülern direkt auf dem Schulhof Haschisch angedreht hatten. Sie wurden dann natürlich vom G-Man zur Strecke gebracht. Aber ich war echt empört über diese Verbrecher. Und tatsächlich passierte es dann wenig später im Internat Scheeßel, dass ein Klassenkamerad von mir dort beim Haschischverkauf erwischt wurde. Er flog sofort von der Schule. Und auch wir hatten kein Mitleid mit ihm.
Wieder ein paar Jahre später, inzwischen kiffte sogar mein Vater, kam es noch einmal in Limburg zu einer Antihaschischkampagne: Dort hatte Mathias Broeckers einen kirchlichen Kellerraum in einen Jugendclub umfunktioniert – sogar mit psychedelischem Licht: bestehend aus einer Reihe bunt angemalter Glühbirnen, die er im Rhythmus der Musik an- und ausknipste. Den Stadtverordneten war das Treiben dort derart suspekt, dass sie darüber eine Sitzung anberaumten, auf der der Bürgermeister – vergeblich – die Schließung des Clubs forderte – mit der Begründung: „Die spritze sich da das pure Haschisch!“
In Berlin war man da schon aufgeklärter: In der Wannseekommune zum Beispiel ließen die Polizisten bei den Razzien bald nicht nur das Haschisch links liegen, es fanden sich dort auch regelmäßig einige Polizisten nach Feierabend zum Mitkiffen ein. Von der Kommune 1 erwarben wir einmal für ein großes würfelförmiges Stück Haschisch eine runde japanische Geschirrspülmaschine. Die DDR-Grenzer bekamen von uns das Haschisch (nebst Pfeifchen) umsonst, dafür waren sie jedoch besonders freundlich. Das änderte sich aber wie oben bereits erwähnt mit dem Transitabkommen: Ab da waren nämlich die BRD-Zollmöpse für uns zuständig – und prompt erwischten sie meinen Freund Bernd mit 6 Gramm in Helmstedt: was ihm teuer zu stehen kam.
Ein paar Jahre später schulte meine Freundin Helga ihren Sohn Max ein. Schon am vierten Tag kam seine Klassenlehrerin zu ihr nach Hause. Sie druckste eine Weile rum und rückte schließlich damit raus, dass sie Max auf der Jungstoilette dabei erwischt hätte, wie er seinen Mitschülern Haschisch verkaufte. Weil seine Mutter eher amüsiert als entsetzt reagierte, entspannte sich auch die Klassenlehrerin langsam. Zuletzt rauchten die beiden Frauen gemeinsam das konfiszierte Piece auf, das der Erstklässler sowieso seiner Mutter geklaut hatte.
In der taz entfesselte Mathias Broeckers schon wenig später eine regelrechte Haschkampagne: „Auf deutschem Boden darf nie wieder ein Joint ausgehen!“ Das Motto stammte von Wolfgang Neuss, der das Rauschgift geradezu für unverzichtbar beim Durchhecheln der Zeitläufte hielt. Tatsächlich wurde Thoha – der erste taz-Chefredakteur dann mit einem kinderkopfgroßen Haschischklumpen von seinem „Freigestelltenjob“ verabschiedet. Er hatte unter anderem die Entdeckung von THC im katholischen Weihrauch ganz groß aufgemacht.
Angeblich soll damals sogar Heinrich Lummer, jedesmal wenn seine Tochter mit ihrem Freund in Urlaub fuhr, dessen Cannabispflanzen gepflegt haben. Zuvor droppte Otto Schilys Frau Christine nach einem Joe-Cocker-Konzert spontan out, um mit dem sympathishen Sänger in London ungestört einen durchziehen zu können. Dann wurde auch noch Rudolf Augstein irgendwann in Italien beim Haschischschmuggeln erwischt und zuletzt eine PDS-Politikerin – in Südostasien. Der Hanfdampf-in-allen-Gassen-Broeckers verdiente mit einem Cannabisbuch so viel Geld, dass er das Franchise-Unternehmen „Hanfhaus“ gründete. Flankierend dazu entstanden in Berlin ein „Hanfmuseum“ und eine alljährliche „Hanfparade“.
In der taz stieg man langsam auf Schaumwein um. Das Haschisch war damit durch – das heißt höchstens noch was für Kinder und alte Leute. Diese Droge zersetzt vor allem das Kurzzeitgedächtnis – die Kids haben noch keins und merken deswegen nix, während bei den Alten dadurch der Übergang zum Altersschwachsinn fließend wird – so dass ihre Umgebung nichts merkt. Ich weiß, wovon ich rede.
Noch ein Hanfblatt. Photo: truetgen.de