vonHans Cousto 26.02.2010

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Der Internationale Suchtstoffkontrollrat (International Narcotic Control Board, INCB) in Wien hat am 24. Februar 2010 seinen Jahresbericht 2009 (Report 2009) herausgegeben. In den Empfehlungen für die Regierungen, für die Vereinten Nationen (UNO) und für andere relevante internationale und regionale Organisationen verweist der INCB mit der Empfehlung Nr. 29 (S. 126) auf das Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen den unerlaubten Verkehr mit Suchtstoffen und psychotropen Stoffen vom 20. Dezember 1988 (1988 Convention) und erinnert die Regierungen in der Welt daran, dass sie verpflichtet seien, den Handel mit Hanfsamen zu unterbinden, insbesondere im Internet.

Die Suchtstoffkommission (Commission on Narcotic Drugs, CND), eine Abteilung des Büros der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (United Nations Office on Drugs and Crime, UNODC) verweist auf die Resolution 52/5 »Untersuchung aller Aspekte betreffend des Gebrauchs von Hanfsamen für illegale Zwecke« (Exploration of all aspects related to the use of cannabis seeds for illicit purposes) und will damit die Vertreter der Regierungen am nächsten Treffen der Suchtstoffkommission der Vereinten Nationen in Wien am 8. bis 12. März 2010 dazu bewegen, stärker gegen den Handel mit Hanfsamen vorzugehen.

Besonders bemerkenswert hierbei ist:

Die Suchtstoffkommission bezieht sich dabei auf den Bericht »Cannabis: a Health Perspective and Research Agenda«, der von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Dezember 1997 veröffentlicht wurde. Dieser Bericht sorgte für zahlreiche Schlagzeilen in der Weltpresse, weil Fakten vor der Publikation unterdrückt respektive zensiert wurden. So hatte das britische Fachmagazin »New Scientist« im Februar 1998 der WHO vorgeworfen, eine Studie unter Verschluss zu halten, wonach Haschisch weniger gefährlich sei als Alkohol und Tabak. Die WHO wies dies am 18. Februar 1998 zwar zurück, doch bestätigte die WHO-Expertin Maristela Montero, dass der betroffene Abschnitt in einem im Dezember 1997 publizierten WHO-Papier gestrichen wurde. Die Analyse sei »… mehr spekulativ als wissenschaftlich« gewesen, erklärte sie dazu. Offenbar wird bei der WHO einfach das, was nicht ins politische Konzept passt, wegzensiert.

Im zensierten Kapitel stellten drei führende Suchtforscher (Wayne Hall, National Drug and Alcohol Research Centre, University of New South Wales; Robin Room and Susan Bondy, Addiction Research Foundation, Toronto) fest, dass es gute Gründe gibt, festzustellen, »dass Cannabis nicht dieselben Risiken für die öffentliche Gesundheit mit sich bringt wie Alkohol oder Tabak, selbst wenn genau so viele Menschen Cannabis benutzten wie jetzt Alkohol trinken oder Tabak rauchen.« Zwei WHO-Bürokraten verhinderten die Publikation des besagten Kapitels im Bericht der WHO. Dies waren der WHO-Leiter Hiroshi Nakajima (Ruhestand im Juni 1998) und der Leiter der Abteilung Betäubungsmittel, Dr. Tokuo Yoshida. Sie waren wütend über die Ergebnisse der drei Suchtforscher und wollten in jedem Fall verhindern, dass diese Forschungsergebnisse allgemein bekannt respektive anerkannt würden.

Die Suchtstoffkommission will offensichtlich eine Politik durchsetzen, die auf einer manipulierten respektive fehlerhaften Datenlage basiert. Nicht der wissenschaftliche Kenntnisstand, sondern eine fundamentalistische quasi religiöse Überzeugung ist bei der Suchtstoffkommission die Grundlage für Entscheidungen. So ein Verhalten ist jedoch nicht tolerierbar.

Hanfkultur respektive Cannabiskultur ist eine Weltkultur mit uralten Traditionen. Die Riten der indischen Sadhus beispielsweise, die nach altem Brauch rituell Haschisch im Shillum rauchen, gehören zu den klassischen Riten der Psychonautik. Diese Riten sind ein schützenswertes Kulturerbe und sollten von der UNESCO in Liste des immateriellen Weltkulturerbes aufgenommen werden und gehören nicht in die Obhut einer die Öffentlichkeit manipulierenden Organisation wie die Suchtstoffkommission. Nicht nur deshalb hält die European Coalition for Just and Effective Drug Policies (ENCOD) die derzeitige Drogenpolitik für verfehlt und mahnt von den Regierungen mehr Seriosität in der Drogenpolitik an. Drogenpolitik muss sich den Prinzipien einer guten Regierungsführung unterordnen, wie sie in den universalen Menschenrechtserklärungen, in der Konvention über Biodiversität und in anderen internationalen Abkommen zugrunde gelegt sind. Insbesondere sind die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Rechte sowie das Recht auf kulturelle Vielfalt für alle Individuen zu garantieren.

Das Verbot des freien Umgangs mit Hanfsamen (wie auch mit den Produkten der Hanfpflanze) bedeutet den Untergang respektive das Sterben von  kulturellen Traditionen. Das Verbot kommt einem kulturellen Genozid gleich. (Genozid ist gemäß UN-Konvention von 1948 der Versuch eines Staates oder einer herrschenden Gruppe, »eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe ganz oder teilweise zu zerstören«).

Fazit:

Kultureller Genozid: Nein danke!
Kulturelle Integration: Ja bitte!

INCB, UNODC, CND: Nein danke!
UNESCO, ENCOD: Ja bitte!

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