vonlottmann 15.05.2010

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Für die feierliche Übergabe des Wolfgang Koeppen Preises 2010 hat Sarah Haase die Administration übertragen bekommen beziehungsweise freundlich akzeptiert. Das heißt, daß sie – natürlich nur in Bezug auf die Autorenseite – die Einladungen und Logistik (Anreise, Unterbringung, Fahrgemeinschaften, Verpflegung, Getränke, Drogen, W-LAN und andere Bedürfnisse innerhalb des sich demnächst auflösenden Euro-Raumes) übernimmt. Alle Gästelisten laufen über sie, die Tür ist hart. Es gibt zur ‘normalen’ Gästeliste noch eine Ehrengästeliste, die wiederum in silberne, goldene und diamantene Ehrengäste unterteilt ist, wobei die letzteren mit dem Dienstwagen des Intendanten des Greifswalder Stadttheaters abgeholt und herumgefahren werden (also mit Fahrer in Uniform). Der Wagen hat auch eine eigene Geschichte, die man in der dortigen Kultusbürokratie folgendermaßen erzählt: Es handelt sich um einen Tatra, der erst vor einigen Jahren in einem versiegelten Schuppen auf dem Gelände des Theaters gefunden wurde. Er war nach den Wirren der Wende Anfang der 90er Jahre einfach vergessen worden (Foto).

Und nun sei am heutigen Tag des Rücktritts von Oskar Lofontaine von der Bundespolitik (Parteitag in Rostock) noch einmal an den visionären Beitrag darüber in der taz (Papierausgabe) erinnert:
taz-Kommentar / Joachim Lottmann / Marx 2.0
(19.10.2009 laut Kolumnenplan)

Der gehaßte Lafontaine

Nun ist er also in sein Saarland heimgekehrt und kümmert sich um das Klein-klein der Provinz. Das hat er nicht vollmundig und vor der Landtagswahl versprochen, um gewählt zu werden, sondern tut es jetzt, aus freien Stücken. Das ist ungewöhnlich für einen der top five der deutschen Politik, und ehrenhaft. Doch die Resonanz war, wir erinnern uns, wie schon so oft, verheerend. Sofort platzten die Koalitionsverhandlungen mit den Grünen, und zwar deswegen. Das sei ein Husarenritt, so ein plötzlicher (?) Wechsel von Berlin an die Saar, damit habe er alle überrumpelt, mit so einem sei nun jegliches Vertrauen zerstört. Alle Medien stießen in dasselbe Horn, alle Politiker sowieso, von den wenigen eigenen Leuten abgesehen. Die Empörung war riesig. ‚Bild‘ titelte in zehn-Zentimeter-Lettern ‚Lafo der große Zerstörer‘, die seriösen Medien wichen davon in nichts ab. Selbst in der ‚taz‘ war diese Sicht der Dinge wie selbstverständlich.
Warum eigentlich? Warum kann der Mann machen, was er will, und wird dafür reflexhaft gegeißelt? Ja, warum wird Lafontaine gehaßt? Müntefering erklärt in der aktuellen Ausgabe der ‚ZEIT‘, niemand anderes als Lafontaine habe das SPD-Wahldebakel verursacht. Er habe „aus niederen Motiven“ die SPD erst verlassen, dann verraten, dann Mehrheiten gegen sie organisiert.
Ich hatte und habe mit Oskar Lafontaine nie etwas am Hut, habe ihn nie gewählt oder gemocht. Aber allmählich schrillen bei mir wirklich die Alarmglocken. Was läuft hier bloß falsch? ‚Niedere Motive‘ – weil er alle Ämter aufgab? ‚Verrat‘ – weil er Jahre später eine eigene Partei gründete? Er hatte bei seiner Demission, durch Schröder zermürbt und gemobbt (und sehr wohl inhaltlich-politisch verraten), noch nicht einmal Vorwürfe erhoben, geschweige denn das Lager gewechselt oder gar persönliche Vorteile ergattert. Ganz im Gegenteil.
Wohlgemerkt, es handelt sich um den einzigen Politiker des Westens, der die Finanz- und Wirtschaftskrise vor zehn Jahren präzise voraussagte, analysierte und klug bekämpfte – bis sein Kanzler ihn damit auflaufen ließ und dem Gelächter der Banker preisgab. Wir sprechen von dem Mann, der als einziger den Sekundentod der gesamten DDR-Industrie voraussagte, mit all den fürchterlichen Folgen, dem Absterben eines ganzen Landes. Der das womöglich verhindert hätte, und viele der 16 Jahre dröhnend-blöden Kohl, wenn nicht ein Attentat den Kanzlerkandidaten niedergestreckt hätte. Nota bene ist es auch der Bürger Lafontaine gewesen, der den Wahnsinn der NATO-Nachrüstung beim Namen nannte: wenn schon soviele Atomwaffen im Land waren, daß man damit den Kontinent sechzigmal auslöschen konnte, wurde die Sicherheit nicht durch noch mehr Atombomben erhöht. Helmut Schmidt glaubt das das Gegenteil bis heute. Und Lafo steht deswegen als Spaltpilz der damaligen Regierung in den Geschichtsbüchern.
Wird er auch deswegen gehaßt? Viel zu lange her. Oder heute, weil er das sinnlose Morden und Bombenwerfen in fremden Ländern obszön nennt? Wir alle hören doch lieber die schwachsinnigen Lügen von brunnenbohrenden Soldaten und kleinen Mädchen, die in die Schule gehen dürfen. Den braven Polizisten, die wir ausbilden. Den Drogenanbau, den wir bekämpfen. Alles Nonsens, alles nicht wahr, aber selbst die linkesten Grünen halten daran fest, es ist unser aller Lebenslüge. Nicht die von Oskar.
Da kann man schon einen dicken Hals kriegen, nicht wahr? Warum hat dieser Kerl immer recht? Tut ihn endlich weg! Hängt ihn auf, schlagt ihn ans Kreuz – das war schon immer das Schicksal von solchen Leuten! In einem zivilisierten Land wie unserem geht das natürlich nicht. Also kann man nur hoffen, daß er nun endlich in Vergessenheit gerät. Als kleiner Fraktionsvorsitzender einer kleinen Partei im kleinen Saarland.

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