„Du fehlst!“ Das also ist der letzte Satz, den Klaus-Peter Klingelschmitt in seiner taz geschrieben hat. Mit diesen zwei Worten hat er zum letzten Mal seine Kolumne enden lassen, hat sich der alte Rocker aus Frankfurt von seinem Musikidol Franz Josef Degenhardt verabschiedet. Und vorweg genommen, was heute unsere Herzen erfüllt.
kpk – das war sein Kürzel – war ein Langstreckenkämpfer. Einer, wie er aufrichtiger nicht sein kann. Er kämpfte nicht für sich, nicht für persönliche Interessen, Ruhm und Ehre. In der tiefsten Durchdringung ein politischer Mensch, geprägt von seinen frühen Erfahrungen als Politaktivist in der grünen Frankfurter Spontiszene, ging es ihm letztlich immer um das große Ganze, um die großen linken Grundfragen: Macht und Verteilung, um unten und oben und wer die großen Profiteure sind.
Er war in den 80er Jahren in Bischofsheim Stadtverordneter für die GALB (Grün-Alternative Liste Bischofsheim.) Noch nachdem er bereits für die taz schrieb. Der Umstieg in den Journalismus, sagt der grüne Europa-Politiker Dany Cohn-Bendit, sei sicherlich nicht einfach für ihn gewesen: „Mit der Grünen-Szene in Frankfurt verband ihn eine Hassliebe, eine Faszination, aber er fand uns auch arrogant, er sagte, es fehle uns, Joschka Fischer und mir, an Demut.“
Journalistisch gesehen ist kpk ein Autodidakt, wie manche seiner Lieblingsfeinde hat er einen Taxischein, hat auch mal auf Lehramt studiert, sich selbst bezeichnete er gerne als Historiker. 1982, im Jahr, als er in schwarzer Lederjacke mit Wallemähne zum ersten Mal bei der taz auftauchte, erschien sein Buch „Friedrich Hecker – ein deutscher Mythos“. Den Wunsch, aus seiner Kolumne „Älter werden“, mit der er sich in den vergangenen drei Jahren einen riesigen Fanclub erschrieben hat, ein weiteres Buch zu machen, müssen nun andere für ihn erfüllen. Müssen.
Was taz-LeserInnen über die Startbahn West wissen, den Einzug der Grünen in die erste rot-grüne Regierungskoalition mit Turnschuhvereidigung, über den Streit um das Atomkraftwerk Biblis, das wissen sie in erster Linie von kpk. In heiß verteidigten Bandwurmsätzen, die Generationen von RedakteurInnen an den Berliner Produktionstischen in den Wahnsinn trieben, schrieb er über Roland Koch und die CDU-Spendenaffäre, immer so, dass man als LeserIn das Gefühlt hatte, da, wo kpk ist, da geht was ab.
Einer, der Demut kannte
Eine kleine Kostprobe aus einem seiner frühen Artikel vom 7. Juli 1982 über die 68er in der brüchigen Koalition der Lang- und Grauhaarigen: „Aufgesaugt von der ,Aufbruchs-SPD‘ der frühen 70er Jahre, hängengeblieben beim Marsch durch die Institutionen, vermarktet vom ,Revolte-business‘ – von ,streetfighting-man‘ bis zur Massenproduktion revolutionärer Plakate, genarrt von den (Wieder-)Verkäufern ,ewiger Wahrheiten‘ (von KBW/KPD-ML/DKP/KPD/ etc.bis Bhagwan), diskreditiert und in die Isolation getrieben vom Medienbrei und von denen, die (voreilig) zur Waffe gegriffen und so der Reaktion den wichtigsten Dienst geleistet haben, blieb von den vielzitierten ,68ern‘ nicht mehr viel übrig als die wehmütigen Erinnerungen an den ersten Knackpunkt deutscher Nachkriegsgeschichte, an Rudi Dutschke und Jim Morrison.“
Bestens informiert hatte er ein Gespür für Entwicklungen, die sich tatsächlich bewahrheiten sollten. Auch das brachte ihm in den Redaktionsräumen nicht selten zunächst ein müdes Lächeln ein: „Ach, mal wieder eine steile kpk-These.“ Aber nicht nur im qualvollen Scheitern von Andrea Ypsilanti sollte er schließlich recht behalten. Dabei forderte kpk nicht nur seine politischen Widersacher heraus. Auch im Haus ließ er nicht locker, für sein Verständnis von Journalismus und sein Selbstverständnis der taz zu kämpfen. Mit gutem Grund endete jede seiner Mails – und davon gibt es im internen Mailverkehr der taz tausende – mit einem Hesse-Zitat: „Ein anständiger Mensch macht keinen Schritt, ohne Feinde zu kriegen.“ Nichts brachte ihn, den großen Liebhaber anständiger Rockmusik, mehr auf die Palme als Dogmatismus. Natürlich waren auch Linke und solche, die sich dafür halten, davon nicht ausgenommen. Ob es um Wandschmuck oder Raumverteilung, politische Schwerpunktsetzungen oder Gehaltsverhandlungen ging: Auf ihn war Verlass, er würde die Debatte nicht nur anheizen, sondern auch ordentlich befeuern.
Legendäre Wutausbrüche
Dabei folgte der herbeigeschriebenen Eskalation immer ein ruhiges und schließlich klärendes Gespräch. Seine Wutausbrüche sind genauso legendär wie seine Fähigkeit, immer schnell zur Konstruktivität zurückzufinden. Viele andere hätten sich vielleicht frustriert und erschöpft auf die Frankfurter Insel zurückgezogen, nicht so kpk, der bei aller Lust an der Polemik immer wieder zur Professionalität zurückfand. Ganz im Dienste seiner Zeitung, seiner taz, die eben von Kommunikation und Verständigung lebt.
Kein anderer, wirklich kein anderer, ist damit so nah dran am Herzen der taz. Gerade weil er zu so vielen Themen so leidenschaftliche Standpunkte vertreten hat, konnte er nicht locker lassen, musste zumindest im Mailverkehr Krawall schlagen. Von dieser Nachhaltigkeit, dieser Verbundenheit über die vielen Jahre sind auch jene KollegInnen tief beeindruckt, die ihn selbst nie persönlich kennengelernt haben, den Mann aus Frankfurt, der so prägend und präsent ist.
Diejenigen, die sich aber mal aufgemacht hatten aus dem fernen Berlin bis nach Frankfurt, die erlebten einen Kollegen von großer Liebenswürdigkeit, ein Gourmet, der nach der Arbeit gerne in der Kleinmarkthalle in Frankfurt Fleischwurst essen ging, überhaupt gerne aß und kochte, und wann immer er Recherchetermine im Saarland hatte, schnell mal über die Grenze huschte, um Gänseleberpastete und Wein einzukaufen.
Legendär, wie er über Rolf Linsler, Linke-Chef im Saarland, schrieb, mit dem er sich zum Froschschenkelessen traf und dann erzählte, wie ihm das Fett im Schnorres (Schnurrbart) hängen blieb. In der persönlichen Begegnung durfte jeder erfahren, dass diese raue Schale einen ganz anderen, fast zärtlichen Kern beschützte. Einen Mann, der mit seiner Frau Marlu über 30 Jahre zusammen war, die er früh geheiratet hatte, die er jeden Morgen zur Arbeit fuhr und über alles liebte. Einen Kollegen, dem immer auch das Wohl der nächsten Generation am Herzen lag, auch wenn der Generationen-Gap mit den Jahren zwangsläufig wuchs.
Alt werden
In seinem Frankfurter Büro soll es nur zweimal wirklich laut geworden sein. Im Kern sehr friedliebend sei er gewesen, sagt Heide Platen, mit der er sich von Anbeginn an das Büro geteilt hat.
Erst kürzlich hat er einem Kollegen am Telefon erzählt, dass er seine Kolumne „Älter werden“ im Frühjahr beenden wolle. Dann wäre er sechzig und könnte nicht mehr über das Älterwerden schreiben, denn dann wäre er ja alt. Nach einem kurzen Moment fügte er hinzu: „Vielleicht schreibe ich dann ja eine neue Kolumne – alt sein.“
Lieber Klaus-Peter, wenn wir dir je wirklich etwas übel nehmen, dann das: dass du dieses Versprechen nicht eingehalten hast.
Klaus-Peter ist am Montag im Alter von 59 Jahren gestorben. Er hatte die taz in der Hand.
Deine Kolleginnen und Kollegen
Bald werde ich 54 Jahre alt (wenn alles gutgeht). Bin also auch mygeneration 50+ (undogmatisch?) links.
KPKs Kolumne fehlt mir, und der Meister selbst fehlt noch mehr.