Im taz-Korrektorat wartet man stundenlang auf Artikel, die man dann alle innerhalb kurzer Zeit gegenlesen soll. Am nächsten Tag sieht niemand die vielen Fehler, die ein Korrektor entfernt hat, sondern nur die einzelnen, die noch übrig geblieben sind. Man kann diese Arbeit „im Grunde nur ertragen, weil man vor allem andere Dinge macht“, sagt Robert Matthies. Er hat den Job bei der taz.nord ertragen, jahrelang. Und sagt inzwischen: Das war vor allem Ausdruck seiner Schwäche, zu gehen.
Wie kamst Du zum Korrektorat der taz?
Wie das so ist: Ich brauchte Geld und die taz einen neuen Korrektor. Jemand, der hier schon Korrektorin war, hat mir Bescheid gesagt. Es gab ein Vorstellungsgespräch, aber ich erinnere mich nicht mehr genau daran. Ich glaube, es genügte, dass ich studierte und Bücher las.
Wie war Dein erster Arbeitstag bei der taz?
Ich bin eingearbeitet worden und jemand hat mir furchtbar lange sehr einfache Dinge erklärt. Das war aber deswegen interessant, weil es eine Kostprobe war auf die langweilige Arbeit. Das ist eine wesentliche, wenn auch inoffizielle Anforderung, wie bei vielen Jobs: dass man mit der Langeweile, nun ja, irgendwie klarkommt.
Ist das Korrektorat eine undankbare Aufgabe, weil immer nur die nicht korrigierten Fehler wahrgenommen werden, nie aber die korrigierten?
Natürlich. In Bezug darauf ist das natürlich ein durch und durch niederschmetternder Job. Man kann ihn im Grunde nur ertragen, weil man vor allem andere Dinge macht.
Dafür hast Du ihn ziemlich lange gemacht.
Dass ich so lange hier als Korrektor war, ist Ausdruck meiner Schwäche, zu gehen. Ich habe zwei Minuten von der taz entfernt gewohnt und bin eben nachmittags kurz vorbeigekommen, zwischendurch gewissermaßen, vor dem Abendbrot. Und habe die taz und ein Buch gelesen.
Das Korrektorat hat sich zu Deinen Zeiten regelmäßig getroffen.
Ja, das ist heute nicht mehr so. Das war wohl so ein Residuum aus alten Zeiten: Damit man ein bisschen das Gefühl bekommt, dass man wichtig ist und auch was zu sagen hat. Und die Redaktion hat den Vorteil, dass man die Dienstpläne selber macht.
Was war Thema bei Euren Treffen?
Es ging vor allem um Organisatorisches, wir waren ja fast alle Studierende und hatten ständig andere Stundenpläne, Ferien, wollten auf Festivals fahren. Aber auch um Rechtschreibprobleme, die immer wieder aufgetaucht sind.
Du hast einmal eine Statistik über die von Dir gefundenen Fehler geführt.
Ja, da ging es damals um den Vorwurf, dass das Korrektorat ohnehin nichts leistet oder dauernd Fehler übersieht.
Kam der Vorwurf vor oder nach der Einführung der automatischen Rechtschreibprüfung?
Das kommt an einem Tag, an dem jemand schlechte Laune hat, die Zeitung liest und sich darüber aufregt, dass in einem von ihm selbst geschriebenen Text ein von ihm selbst gemachter Fehler nicht herausgenommen wurde und das dem Korrektorat ankreidet. Dann gibt es eine große Grundsatzdiskussion je nach Stimmung des Anklagenden und dann muss man sich verteidigen.
Und was war das Ergebnis der Statistik?
Ich habe zwei Wochen lang die Fehler gezählt, die ich herausgenommen habe. Im Durchschnitt waren es bis zu 100 pro Ausgabe, also 25 Fehler pro Seite. Es ist eine unsichtbare, aber wesentliche Arbeit, die das Korrektorat da macht, gemeinsam mit den Chefs vom Dienst. Aber das können Journalisten nicht wahrnehmen, die müssen sich ja auf ihre wichtigen Themen konzentrieren. Im Grunde habe ich nicht selten auch Endredaktion bei den Texten gemacht. Nach ein paar Jahren machst du das einfach, man bekommt irgendwann so etwas wie eine Verantwortung für das Produkt. Und das ist auch so etwas, was am nächsten Tag ohnehin niemand merkt – wenn es nicht ein Fehler war.
Wenn es mal Auseinandersetzungen mit der Redaktion gab – gingen die dann um die Rechtschreibung oder um die Inhalte?
Ich habe eine Zeit lang ganz viele Diskussionen geführt: Über Worte, die benutzt worden sind, von denen ich glaube, dass man sie aus historischen oder politischen Gründen nicht mehr benutzen sollte. Da muss man zum Beispiel immer wieder lange Diskussionen führen, warum es scheiße ist, wenn „mauscheln“ in der Zeitung steht.
Was mir auffällt, ist, dass die Höflichkeitsform, also das „Sie“, oft falsch geschrieben ist. Ist das ein Ausdruck von Hierarchiefeindlichkeit?
Das hat fast immer mit Hektik zu tun. Man sitzt vier Stunden hier, soll aber alle Texte in dreißig Minuten von sechs bis halb sieben lesen. Man rennt hinterher, sammelt ein paar Leichen auf, die ganzen Verbrechen finden vorher statt.
Jetzt werden Deine eigenen Texte auf der Kompass-Seite Korrektur gelesen.
Nicht immer.
Warum nicht?
Sagen wir: Ich bin da durch meine jahrelange Korrekteurstätigkeit vorbelastet. Und ich lese, wenn ich Zeit dafür habe, jeden Text vier oder fünf Mal. Und wenn die Korrektur über meinen Sätzen war, lese ich die Texte noch einmal Korrektur. Ich bin heute die Korrektur der Korrektur.
Interview: Friederike Gräff
Hut ab vor Ihrem Durchhaltevermögen, Herr Matthies!
Ich lese selbst Korrektur und kann im Gegensatz zu einigen Kommentarschreibern nachvollziehen, wie frustbeladen diese Arbeit ist. Und langweilig. Und nötigst!
Ohne all die Menschen, die anderer Leute Fehler beseitigen, würde ich überhaupt keine Zeitung lesen – ich würde es schlichtweg nicht ertragen. Dass immer noch genügend Fehler in den veröffentlichten Texten verbleiben, kann ich nach Lektüre Ihres Statements nun erst recht verstehen. Und werde mich darüber nur noch ganz wenig ärgern.
Nochmal: Hut ab!