Von Bernd Kramer
In der Oberstufe arbeitet jeder Gymnasiast auf diese eine Zahl hin: Die Durchschnittsnote, die auf dem Abiturzeugnis steht. Nach dieser Zahl fragen Freunde und Verwandte, diese Zahl entscheidet auch über die Zulassung zum Studium. Doch jedes Bundesland berechnet diese Zahl anders. Zwei Schüler, die die gleichen Fächer wählen und in allen Klausuren die gleichen Noten bekommen, können am Ende trotzdem eine unterschiedliche Durchschnittsnote auf dem Zeugnis stehen haben. In der heutigen Ausgabe zeigen wir anhand von Beispielfällen, wie stark die Länder auseinanderklaffen. Ein Schüler, der gut in Deutsch, Mathe und Geschichte ist, aber in Biologie häufiger eine 4 minus bekommt, erhält in Hamburg trotzdem noch ein Zeugnis mit einer 1,9, er bekommt in Thüringen aber nur eine 2,3. Und in Sachsen-Anhalt wird er wegen zu vielen schlechten Noten gar nicht erst zur Abiturprüfung zugelassen – er muss die Schulbank länger drücken oder die Schule ohne Abitur verlassen. Die Berechnung für jedes Bundesland gibt es in dieser PDF-Datei zum Download.
Der Politik scheint die ganze Sache unangenehm zu sein. Es hat sich jedenfalls als ungewöhnlich schwierig erwiesen, herauszufinden, wie die Noten für die Berechnung des Durchschnitts in den einzelnen Bundesländern gewichtet werden. Das Bundesbildungsministerium und das Büro der Kultusministerkonferenz sind nicht zuständig. Ich fragte daher alle 16 Bundesländer einzeln an, legte ihnen die Halbjahresnoten eines fiktiven Schülers vor und wollte wissen: Würde dieser Schüler zum Abitur zugelassen? Und wie wäre sein Notendurchschnitt?
Fünf der sechzehn Länder haben auch geantwortet, teils nach mehreren Rückfragen und nach Anpassungen des Beispiels. Es waren: NRW, Thüringen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein. Chapeau!
Die anderen haben den Vergleich abgewehrt. Hessen zum Beispiel hat trotz mehrmaliger Nachfrage zum Schluss gar nicht mehr reagiert. Andere antworteten ausweichend. Der Sprecher des Saarländischen Kultusministeriums schrieb etwa:
Die KMK-Vereinbarung „zur Gestaltung der gymnasialen Oberstufe in der Sekundarstufe II“, die immer wieder aktualisiert wird, dient der „Sicherung der Vergleichbarkeit der Abiturergebnisse unter den Ländern und einer kontinuierlichen Qualitätsentwicklung der Arbeit in der gymnasialen Oberstufe“. Diese Vereinbarung setzt damit den strukturellen Rahmen für die gymnasiale Oberstufe und lässt gleichzeitig den Ländern in diesem Rahmen noch Gestaltungsspielräume.
Die Sprecherin des Ministeriums in Rheinland-Pfalz schrieb:
Die KMK-Vereinbarung „zur Gestaltung der gymnasialen Oberstufe in der Sekundarstufe II“, die immer wieder aktualisiert wird, dient der „Sicherung der Vergleichbarkeit der Abiturergebnisse unter den Ländern und einer kontinuierlichen Qualitätsentwicklung der Arbeit in der gymnasialen Oberstufe“. Diese Vereinbarung setzt damit den strukturellen Rahmen für die gymnasiale Oberstufe und lässt gleichzeitig den Ländern in diesem Rahmen noch Gestaltungsspielräume.
Auch wenn sie es fürs Abitur nicht hinbekommen – beim Geschwafel gibt es offenbar durchaus funktionierende Absprachen zwischen den Ländern.
Andere Bundesländer führen relativ seltsame Argumente an, warum sie nicht weiterhelfen können. Zum Beispiel Brandenburg:
Ich habe Sie nochmals in unsere Fachebene zur Prüfung vorgelegt. Es bleibt bei der grundsätzlichen Einschätzung, dass eine pauschale Antwort auf Ihr Beispiel zum einen nicht möglich ist – zum anderen der Aufwand für eine Antwort einen enormen Aufwand bedeuten würde, weil die Zulassungsberechnungen nicht im Ministerium, sondern von den Oberstufenkoordinatoren mit einer speziellen Software erstellt wird. Deswegen können wir Ihnen leider nicht weiterhelfen.
Schon interessant: Die Berechnungssoftware für die Abiturnote haben die Schulen. Aber ausgerechnet im Ministerium gibt es sie nicht?
Besonders hartnäckig hat sich Sachsen-Anhalt dem Vergleich verweigert. Warum? Vielleicht weil der dortige Ressortchef Stephan Dorgerloh (SPD) derzeit auch der Kultusminister-Konferenz vorsteht und deswegen besonders im Fokus ist? Weil Sachsen-Anhalt ein besonders rigides Abitur hat? Eigentlich liegt der Fall in Sachsen-Anhalt ziemlich klar: Der Beispielschüler – ein Einser-Kandidat in Hamburg – würde hier gar nicht zum Abitur zugelassen. Er hat schlicht zu viele defizitäre Kurse. Man müsste gar nicht groß weiter die Details prüfen.
Dennoch verweist das Ministerium zunächst auf diverse fehlende Angaben, ohne die eine Berechnung nicht möglich sei. Die schicken wir ihm. Darauf antwortet der Pressesprecher:
Das Grundproblem besteht darin, dass der konstruierte Fall, den Sie hier zugrunde legen, über das Land Sachsen-Anhalt hinaus nicht vergleichbar ist. Das wurde mir auf Rückfrage heute noch einmal bestätigt. Deshalb werden wir hier keine Angaben liefern. Es würde ein völlig schiefes und auch falsches Bild entstehen, wenn das Ergebnis in einem Artikel über die Abtituranforderungen in Deutschland verwendet wird, wie Sie das angekündigt haben.
Mit dem Argument, eine Anfrage sei unsinnig und nicht-sachgerecht, kann man natürlich so ziemlich jede Auskunft verweigern. Deswegen verweise ich auf das Landespressegesetz, das Behörden zur Auskunft verpflichtet, und bitte das Ministerium um eine juristische Stellungnahme, warum es keine Auskunft geben will. Die Antwort:
Leider haben Sie weder die Voraussetzungen eines Auskunftsanspruchs dargetan noch sind sie sonst ersichtlich. Gegenstand eines Auskunftsanspruches ist eine auf Anfrage zu erteilende Mitteilung über tatsächliche Umstände oder rechtliche Verhältnisse.
Kennzeichnend für ein Auskunftsbegehren ist die Benennung eines konkreten Sachkomplexes, hinsichtlich dessen bestimmte Informationen gewünscht werden. Sie bilden vorliegend einen fiktiven Fall und bitten um eine Bewertung dieses Falls. Zum einen sind Fiktionen von Tatsachen zu unterscheiden. Zum anderen sind Aussagen über ein künftiges Verhalten in einem (nochmals: fiktiven) Sachverhalt, namentlich Angaben dazu, wie die Leistungen eines erfundenen Schülers bewertet werden würden, keine Aussagen über Tatsachen. Denn Tatsachen gehören immer der Vergangenheit oder Gegenwart an, niemals der Zukunft.
Das mag ein Jurist so sehen. Warum das Ministerium lieber den Hausjuristen ein Rechtsgutachten anfertigen lässt, um eine einfache und klar aus der Oberstufen-Verordnung des Landes abzuleitende Antwort zu geben, ist natürlich eine andere Frage.
[…] Beitrag im taz-Hausblog über die schwierige Recherche zur Vergleichbarkeit der Abi-Noten. taz, 19. Juli 2013 […]