von 18.04.2009

taz Hausblog

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Die Luft im kleinen Konferenzsaal 2 mit Blick ins Grüne ist stickig. Keiner wird mehr reingelassen. Andreas Kraß, 45 Jahre alt, Professor für Ältere Deutsche Literatur an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main, hält einen Vortrag zum Thema „Queer lesen ist nicht verkehrt“. Ich sitze hinter der letzten Stuhlreihe auf dem Boden und höre zu. Ohne Kraß zu sehen.

Kraß hat eine angenehme Stimme und erzählt unaufgeregt und ohne zu dozieren über die Heteronormativität. Heterosexualität wird als normal angesehen, steht im Programmheft, und wer mit einer heteronormativen Brille durch die Welt läuft, leidet unter einer Wahrnehmungsstörung. Obwohl mir der ganze Themenkomplex Queer Theroy-Geschlecht-Gender-Performativität-Performanz etc. oft zu theoretisch wird (zum Beispiel verstehe ich immer nur halb, wie das funktionieren kann, dass das soziale Geschlecht nichts mit dem körperlichen zu tun hat),  finde ich das einleuchtend. Den Vortrag auch.

Zum Beispiel wurde mir endlich mal annähernd verständlich, wie die Sache mit der Performativität funktioniert: „Der erste Satz, den man über einen Menschen sagt, ist schon fatal“, sagt Kraß. Er meint die Geburt. Kaum ist das Kind auf der Welt, sagt irgendwer: Es ist ein Mädchen, es ist ein Junge. Dieser Satz entscheidet über das Leben des Neugeborenen, sagt Kraß, ohne dass es überhaupt die Chance hat, selbst zu wissen, was es ist.

Also sagt man dem Baby, es sei jetzt ein Mädchen oder ein Junge. Jeden Tag in seinem Leben wird dieser Mensch dann Erwartungshaltungen an sein Geschlecht begegnen, nach denen er sich verhalten wird. Das, erklärt Kraß, funktioniert wie ein Skript, das man einem Schauspieler in die Hand drückt. So, wie der Schauspieler seine Rolle ausfüllt, füllt der Mensch gewissermaßen unbewusst die ihm aufgedrückte Geschlechterrolle aus, weil Jungs sich eben so und Mädels sich eben anders verhalten.

Das ist, wenn ich das richtig verstanden habe, Performativität. Und das leuchtet mir auch irgendwie ein, nur denke ich mir auch: Wenn ein neugeborenes Kind nun mal ein Pimmelchen hat, wäre es doch irgendwie auch ein bisschen schräg, zu sagen: Es ist ein Neugeborenes, aber lass uns mal warten, bis es selbst weiß, welches Geschlecht es hat, bevor wir es Hans-Peter nennen. Oder nicht?

Hinter der letzten Stuhlreihe auf dem Boden komme ich nicht dazu, mir darüber länger Gedanken zu machen, denn Kraß erzählt immer wieder interessante Sachen. Dass Homosexualität vor der Einführung des Begriffs „Sexualität“ keine Persönlichkeitsbestimmung war.

Wenn Kraß sich heute irgendwo vorstelle und sage, er sei schwul, merke er oft die Gedankengänge der anderen Leute: aha, schwul, soso, was stellt der denn dann wohl im Bett so an? Früher hingegen, als Sexualität als Persönlichkeit bestimmendes Konstrukt noch nicht existierte, hatten homosexuelle Erfahrungen gesellschaftlich keine so wichtige Rolle. Wenn zwei Menschen des gleichen Geschlechts miteinander ins Bett gingen, war das zwar ein Vergehen, aber es bestimmte nicht die Identität der Menschen als schwul oder lesbisch. Das kam erst mit der Einfürhung des Begriffes „Sexualität“, Mitte des 19. Jahrhunderts.

Wenn Kraß davon spricht und vom generischen Maskulinum, diskriminierenden Bezeichnungen für Schwule und Lesben, vom determinierenden Konstrukt der Mutterrolle, von der Einteilung in Männer und Frauen, von der biblischen Schöpfungsgeschichte und dass das Patriarchat aus dem Machtbegehren zwischen Männern entsteht: dann sind das alles mehr oder weniger ärgerliche Auswirkungen von Heteronormativität, erklärt er.

Ich gehe in die Hocke, um ihn sehen zu können, als er sagt: „Wir müssen den Menschen aus der Kategorie des Geschlechts entlassen. Wir müssen ihn sehen, wie wir ihn als Rechtshänder sehen oder als braunhaarigen, wir müssen ihn einfach als Menschen sehen.“ Ja, ja: People are people, das verstehe ich schon. Nur drängt sich mir jetzt gerade im arbeitsamen tazkongress-blog-Büro wieder die Sache mit der Geburt auf: was die Hebamme jetzt da sagen soll, wenn ein Mensch zur Welt kommt – es ist mir immer noch unklar.

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https://blogs.taz.de/hausblog/are-we-human-or-are-we-queer/

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kommentare

  • Nun ist das mit der Sprache ja auch andersrum für uns selba wichtig!

    Wichtiger am Anfanf jedenfalls als für das neue mensch. Dies hätte vielleicht lieber mehr Körperkontakt,als es von uns erhält.
    Den könnten wir ja auch reihum wechselnd besser geben,

    wenn wir nicht immer im Kopf hätten, dass das nun ja nur die Mutter fühlen kann und soll…
    ……………………
    weil die dafür vorgesehen ist ( das auch umsonst zu leisten, sonst versagt sie !)

    und

    wenn eben die „männs“ ihr kindchen in sich nicht
    so untergebuttert hätten im „Krampf ums Erfolgim arbeitsleben“ dass sie dies nurmehr pädosexuell sich von aussen zuführen können und dabei neue menschs gewalt antun.

    ( die „fraus“ werden ja auch erst als emanzipiiiiert definiert, wenn sie das dan auch so machen : wie dooooof !)

    wir sind es doch, die sprachtiere sind ganz und gar, das kleine ist da noch neu und kann uns helfen uns ein wenig zu lockern…dafür allerdings müßten wir erstmal zusammen
    eine 20 Stundenwochhe für alle mit Basiseinkommen 1500 € für alle erkämpft haben, damit wir das alle so auch leicht machen können: es geht also um unser Restleben als Menschen wenn wir mögen, die kleinen kommen vielleicht dann dazu und
    wir freuen uns darüber !

    grußchen

    Ruth

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