von 12.07.2012

taz Hausblog

Wie tickt die taz? Das Blog aus der und über die taz mit Einblicken, Kontroversen und aktuellen Entwicklungen.

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Im Frühjahr 1980 veröffentlichte die taz einen Text von zwei taz-Mitarbeitern mit dem Titel „Minderheitsmeinung vom Nord-Treffen in Hamburg am 1. März ’80“. Die Streitschrift gibt einen Einblick in die frühen Tage der taz, in der in der Redaktion heftig um die Frage gerungen wurde, wie man die Revolution am besten herbeischreibt: Mit meinungslastigen Artikeln voll offener Kritik an den herrschenden Zuständen? Oder mit mehr kürzeren, aktuelleren Nachrichtenartikeln, die die Leser dazu anregen, für sich selbst zu denken? Ihre Antwort:

Die einen wollen gerne eine Zeitung mit viel Recherchiertem, massenhaften Hintergründen und vor allem, nichts Unkritisiertes drinnen. Wir, die anderen, haben da ganz andere Vorstellungen. Wir wollen eine TAGESzeitung haben, die Nachrichten vermittelt, die zur Diskussion und Aktion und zum Nachdenken anregt. Wir wollen kein Scene-Blatt, und auch kein vorgekautes Linienblatt ä la KVZ (Kommunistische Volkszeitung) und AK (Analyse und Kritik) ohne Linie. Wir wollen „das Volk“ dazu anregen, für sich selbst zu denken, selber auszugraben wie beschissen dieser unser Staat ist. Wir möchten nur das Feuer unter’m Arsch entzünden, und eine Starthilfe bei der Informationsuche liefern. Wir wollen Material liefern für jene, die bereits aktiv arbeiten, aber auch für die, die erst anfangen diesen Staat zu durchschauen. Wir wollen den BIs (Bürgerinitiativen) und diversen Gruppen dazu verhelfen, ihre aufgedeckten Staatsschweinereien offen zu verkünden, über ihre Aktionen, erfolgreiche wie nicht erfolgreiche, berichten, in der Hoffnung, dadurch andere in Gang zu kriegen.

Aktuell heißt Faktuell

Die TAZ als gute Tageszeitung muß ein Gemisch aus aktuellen, offiziellen Meldungen und Basisberichterstattung sein. Dabei soll mehr auf Fakten (Tatsachen, Geschehenes) und Berichte geachtet werden, statt jedesmal umfassende Kritiken und/oder Analysen zu bringen. Wenn wir berichten, dann heißt das bisher immer gleich Fakten zu nehmen und alles so zu werten, wie es uns in den Kram paßt. Das nennen wir dann „Hintergründe“, obwohl wir im Grunde genommen nur das machen, was alle anderen Zeitungen auch tun, nämlich einen entsprechenden Filter vor die Berichterstattung zu schrauben. Wir schreiben als ob unsere Leser nicht in der Lage wären, selber zu denken, selber zu analysieren. Das macht „BILD“ ja auch. Noch dazu fällt bei uns unheimlich vieles, auch wichtiges einfach unter den Tisch, weil es nicht in unser gewünschtes Realitätsbild paßt. Im Moment ist die TAZ ein elitäres Blatt, von Insidern für Insider geschrieben. Der normal Leser steigt manchmal gar nicht durch, und liest lange und langweilige Sachen einfach nicht. Es ist schlicht und einfach unmöglich eine Revolution auszulösen, wenn man sich nicht einmal bemüht, verständlich und klar zu schreiben. Martin Luther hat ja seine Revolution nicht dadurch zustande gebracht, daß er alles in Lateinisch schrieb!!! Wir müssen uns also überlegen, wie ist so was zu schaffen? Das hat aber was mit Marktanalysen, Verkaufstechniken, Psychologie und so zu tun – igittigittigitt! Warum hat eigentlich die Linke soviel Angst davor, kapitalistische Erfahrungen für sich zu nutzen, mit ihnen zu arbeiten? Die Kerle geben doch nicht umsonst soviel Geld dafür aus. Von solchen Dingen muß man lernen, will man eine Zeitung machen, die den Anspruch hat, mehr als eine Linke-Ghetto-Postille zu sein. Wer aus demn Ghetto raus will, muß begreifen, wie er da rauskommt und was er anwenden muß, um raus zu kommen. Genauso wie der Widerstand gegen unverbindliche Strukturen in den Redaktionen absolut schwachsinnig ist, ist es mit der Ablehnung von Erfahrungen, die kapitalistische Zeitungsmacher als sebstverständliche Grundlage brauchen. Und verdammt, sie haben Erfolg damit. Aber wir lehnen jede Beschäftigung mit der Pressemethodik einfach und wundern uns, daß wir aus dem Ghetto nicht rauskommen. Geht es um das rein Geschäftliche, verstehen wir uns sehr gut die „Schwächen“ des kapitalistischen Systems zu unseren Gunsten auszunutzen. Geht es aber auch um mehr, dann kriegen wir die große Flatter und glauben, daß wir es irgendwie ohne dem machen müssen. Wir wollen mit der Zeitung etwas erreichen, machen uns das aberselbst unmöglich, weil wir die einfachen Lösungen, einmal als kapitalistische Methode erkannt, nicht anzupacken wagen – vor wem haben wir da eigentlich
Angst? Hätten wir das im Finanzbereich auch getan, wäre die TAZ auch heute noch ein Traum – und nicht wie heute ein Trauma.

Wir plädieren also für:

— übersichtlichere Schreibweise

— Pyramidform, vorne weg ein guter Vorspann, der den Inhalt des Artikels kurz wiedergibt, so daß die Leser schnell entscheiden können, ob der Artikel für sie interessant ist oder nicht. Wir können ja nicht fordern, daß der Leser jedes Wort liest! Und nicht so langatmig, es muß wirklich nicht alles doppelt und dreifach dastehen;

— TAGESzeitungsmäßiger Aufbau, Lay-Out, Titelseite – es schadet wirklich nicht, Artikel auf die 1. Seite zu bringen!;

— Mehr „Aktualität“ und mehr Meldungen, was bedeutet, daß eine rotierende Seite unmöglich das knappe Angebot bei Inland reduzieren darf! Es muß etwas „Wochenzeitung“smäßiges ausfallen. Die Magazinseite bietet sich insbesondere am Freitag ausgezeichnet zu diesem Zweck an. (Wir glauben, daß die Seite sowieso wohl am wenigsten gelesen wird.)

Leser – schreibt uns doch eure Meinung dazu! Was erwartet ihr von einer Magazin-Seite? Von uns? Habt ihr Vorschläge und Verbessserungen? Liest ihr die Magazin-Seite? Schreibt bitte bald und massenhaft an uns!

DS und dww, Redaktion Kiel, Exerzierpl. 8, 2300 Kiel

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