von 19.04.2009

taz Hausblog

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Berlin boomt – auch wegen der Billligflieger. Hedonistische Welteroberer fliegen jedes Wochenende für 48 Stunden Clubbing und Currywurst ein. Und: Ja ja, wir wissen, dass das gar nicht gut für die Umwelt ist. Aber sollen wir deshalb auf die Billigflieger verzichten?

„Das ist eine moralische Verantwortung, die für den Verbraucher geradezu erdrückend ist“, sagt Moderatorin Edith Kresta zur Eröffnung der Diskussion „Von Klimakillern und anderen Reisenden“ heute früh. Man sei nicht hier beim tazkongress, um Fliegen pauschal zu verurteilen, sondern um in eine Lebensstil-Debatte einzusteigen.

Für Stefan Gössling, Professor für nachhaltigen Tourismus, liegt die Lösung jedenfalls nicht einfach in der Verteuerung des Reisens. „10 Prozent der Deutschen haben 62 Prozent des Gesamtvermögens zur Verfügung. Das sind auch die, die am meisten reisen. Sie sind auch in Zukunft in der Lage, sich weiter frei zu kaufen.“ Die ökonomisch-ökologische Gleichung gehe ethisch nicht auf.

Auf  dem ökonomischen Weg hat es Dietrich Brockhagen versucht. Er hat „Atmosfair“ gegründet – das ist das kleine Kästchen, das man beim Flugzeugticket-Kauf anklicken kann: „Ja, ich möchte acht Euro mehr zahlen, um dadurch den CO2-Ausstoß meines Fluges durch Investition in Klimaschutz auszugleichen.“

„Der Atmosphäre ist es letztlich egal, woher die Emissionen kommen“, sagt Brockhagen. Die Unterscheide nicht zwischen einem Bauern in Namibia und einem Reisenden in Deutschland. „Nur dass für den namibischen Bauern der CO2-Ausstoß überlebensnotwendig ist.“ Im Prinzip sei jeder Mensch aufgefordert, sein Leben in Einklang zu bringen mit dem, was die Atmosphäre noch zulasse.

„Das schließt Reisen überhaupt nicht aus, man muss es sich nur entsprechend einteilen.“ Das heißt, nicht mehrere Langstreckenflüge pro Jahr für knappe Zeit am fernen Ort. Die Technik werde das Problem leider nicht schnell lösen, da Flugzeuge – anders als Autos – schon relativ ausgereift seien. Und die Distanz bleibt.

Die ehemalige Reiseleiterin Christine Plüss, die über Tourismus promoviert hat, sieht in unserem Reisemodell das Problem. „Zu den Klimakillern wollen wir ja nicht gehören, aber der politisch korrekte Urlaub ist auch nicht die schönste Verlockung des Jahres.“ Aber traumhaft seien unsere Urlaubsvorstellungen auch nicht, sondern „eigentlich ziemlich stressig“.

Es gehe nur noch darum, schnell das Land und dieses „zu machen“, bevor alle Arbeitskollegen vor einem dort waren. Wie, da warst du noch nicht? Schnell die billigsten Tickets kaufen, bevor sie weg sind. „Und wehe dem, der im Flugzeug sitzt und sein Sitznachbar hat weniger bezahlt.“

Wir müssen unsere Urlaubswünsche radikal umdenken, findet Plüss. Unser jetziges Modell trage zur Verarmung der Entwicklungsländer bei. „Es geht allerdings nicht ohne, dass das Reisen teurer wird.“

Wie die Politik dieses Umdenken denn steuern könnte, fragt die Moderatorin.

Der EU-Emmissionshandel funktioniere zwar nicht, aber andere Mittel seien „politisch tot“, sagt Brockhagen. Für Beschlüsse zum Emissionshandel braucht es auf europäischer Ebene nur die qualifizierte Mehrheit; für eine Steuer Einstimmigkeit. Was also tun? „Wir müssen die Einbeziehung des Fliegens im Emissionshandel verschärfen.“

Plöss widerspricht. Man habe durchaus auch nationale Lenkungsmaßnahmen – in der Schweiz gelte schließlich: „Die Welt fährt Zug.“ Mit Subventionen ließe sich das Reisen steuern.

Aber nationale Vorgehen würden immer wieder abgestraft, kritisiert Brockhagen. „Als Trittin eine Kerosinsteuer forderte, stand am  nächsten Tag in der Bildzeitung: Trittin will Mallorcasteuer.“ Bei Atmosfair habe es vorher Umfragen geben, ob Verbraucher bereit seien, mehr zu zahlen für den Umweltschutz. Zwei Drittel sagten Ja. „Aber in der Praxis sind es dann nur noch zwei, drei Prozent.“

„Haben wir mit unserem hohen CO2-Ausstoß als Industriegesellschaft denn überhaupt das Recht darüber zu diskutieren, ob wir in den Urlaub fliegen wollen?“, fragt jemand aus dem Publikum.

„Viele fliegen einfach nur, weil es billig ist“, sagt Gössling. „Wenn man fragt, wo sie gewesen sind, sagen sie zuerst, wie viel es gekostet hat.“ In diesem Bereich könne man viel machen. Dürften wir überhaupt noch reisen? Wissenschaftlich könne man eine klare Verbindung ziehen, zwischen unserem Reisen und dem Tod andernorts von Menschen aufgrund des Klimawandels.

„Wir müssen einfach weniger reisen“, sagt eine Frau im Publikum. Plüss stimmt ihr zu. „Doch ob wir das als Verzicht empfinden, das liegt an unseren Vorstellungen vom Traumurlaub.“ Im Tourismus gehe es nur noch darum, Träume nachzureden und nicht mehr darum, was wir wollten. „Um Freiheit geht es doch gar nicht mehr.“

Wie könnten wir uns Ferien und Urlaub anders vorstellen? „Was brauchen wir um auszuspannen?“ Ihr habe gut gefallen, was Daniel Cohn-Bendit zu Beginn des Kongresses am Freitag gefordert habe: „Freiheit ist auch die Freiheit, sich freizumachen von überkommenen Vorstellungen.“

Edith Kresta schlägt das Wandern als Alternative vor, das käme auch bei den taz-Lesern gut an. Und auch junge Leute würden immer mehr diese meditative Form des Nahurlaubs schätzen.

Was wolle man denn wirklich vom Leben, fragt Brockhagen. „Es gibt Reisende, die gar nicht bereit sind, sich innerlich genug darauf einzulassen, was sie vorfinden.“ Die jagten nur einer Exotik-Vorstellung nach der anderen nach.“

Jeder Mensch solle ein Klima-Budget zugeteilt bekommen – „und das muss er auch genau abrechnen“. Der Radfahrer und Balkonien-Urlauber erhalte dann am Ende des Jahres einen Ausgleich vom Menschen, der auf großem ökologischen Fußabdruck lebe.

„Das sind doch alles bürokratische Lösungen“, kritisiert ein Mann aus dem Publikum. Wir müssten reisen wie früher zu Fuß, per Rad und Bahn. Und dann müsse man auch jährlich drei Monate im Jahr Urlaub haben – „damit man eben auch die Zeit hat“. Das sei die Freiheit, die wir brauchten: mehr Zeit.

„Das wird einen massiven Konflikt geben“, sagt Gössling. Denn das ließe sich nicht komplett umsetzen. „Da kann sich wahrscheinlich nur noch eine Minderheit diesen langen Urlaub leisten.“ Er verweist auf Saskia Sassens Rede vom Vortag: „Wir können das System nicht komplett zerschlagen, nur schrittweise verändern“.

„Aber wir sind die Nutznießer dieser Billigflüge“, ruft jemand im Publikum. „Ich war im Himalaya, in Mexiko – klar, hätte ich auch in die Alpen oder in den Schwarzwald gehen können.“ Vielleicht müsse man einfach solchen Urlaub verbieten, weil er auf die Dauer schädlich sei. „Klar war es schön im Himalaya“, aber sei es das in den Alpen nicht auch?

Es gehe auch vielen darum, die Distanz zu erleben, sagt Plüss. „Da ist man dann 24 Stunden unterwegs und hat schon ganz viel erlebt“, ironisiert sie. Reisen sei auch etwas Schönes, das man als Wert zurückgewinnen sollte.

„Wir werden weiter über das Wandern berichten“, sagt Edith Kresta, „aber auch über ferne Länder.“ Denn schließlich sei das Reisen auch eine wunderbare Möglichkeit, Menschen zu begegnen und Neues zu erfahren – wenn man es mit Muse angeht.

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https://blogs.taz.de/hausblog/billig-fliegen-zum-kongress-ist-das-ok/

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kommentare

  • Haha. So ein Beitrag war zu erwarten. Mich stört eher was anderes. Ich hatte nur eine Bahnkarte für die Hinfahrt gekauft und gehofft, eine Mitfahrgelegenheit nach Hause kennen zu lernen. Aber es war oft sehr überfüllt und dadurch manchmal recht anonym. Also alleine im Zug wieder zurück.

  • Billig fliegen? Kein Mensch fliegt mehr billig. Jeder Flug ist zu teuer, egal was er in Euro kostet. Davon abgesehen: Sehr schön, dieser Bericht von Raniah Salloum. Und Edith Kresta von taz-Reisen sollte sich wirklich mal informieren, was sie anrichtet, wenn sie die taz-Leser immer noch mit Themen lockt, für die man Fernflüge braucht. Das geht nicht mehr. Schluss, aus, vorbei, und bitte keine Gewissensberuhigung mit acht Euro für Gegenmaßnahmen – was verbrannt ist, das ist nun mal verbrannt.
    Fahr mit der Bahn in Urlaub, mit dem Fahrrad, geh zu Fuß raus zur Tür. Sonst gibt’s kein gutes Gewissen, egal, was sie dir einreden.

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