Am 20. Juli war Profx Lann Hornscheidt zur Blattkritik in der taz-Redaktionskonferenz. Im Anschluss an eine sehr kontrovers geführte Diskussion baten wir Lann, die Kritik noch einmal für den Hausblog zu konkretisieren. Zugleich wollten wir auch wissen, ob und wo die taz gute Arbeit macht. Ein Gespräch.
Es war eine der bestbesuchten Blattkritiken der letzten Monate und eine, die nicht ohne Widerhall blieb: Lann Hornscheidt, Profiks für Gender Studies an der HU, war zu Gast in der Morgenkonferenz der taz.
Hornscheidt beschäftigt sich mit Sprache, Diskriminierung und Machtverhältnissen und hatte vergangenes Jahr mit dem Vorschlag Aufsehen erregt, das Deutsche um ein x oder iks als Pronomen und Endung zu erweitern, um die Zweigeschlechtlichkeit der Sprache aufzulösen. Insbesondere (weiße) Männer reagierten ablehnend bis hasserfüllt; Hornscheidt bekam sogar Morddrohungen.
Während der Blattkritik in der taz war zumindest der Ton, mit dem auf Hornscheidts Kritik reagiert wurde, zum Teil erstaunlich aggressiv.
Vielleicht lag das aber auch nur daran, dass Kritik von Seiten einer Person, die der taz nahesteht – Hornscheidt ist selbst taz-Genossx – und aus linker Perspektive kritisiert, stärker trifft als etwa von Thomas de Maizière. Da steht die taz ja quasi drüber.
Um darüber nachzudenken, wie die Kritik in der journalistischen Praxis umsetzbar sein kann, bleibt in der Blattkritik keine Zeit. Aus der Redaktion kam aber schnell der Wunsch, Hornscheidt zu einem Workshop einzuladen, um genau darüber zu sprechen.
Wer schreibt für wen? Wie schreiben wir, weil wir von einer bestimmten Position für ein bestimmtes Publikum schreiben? Welche Machtverhältnisse reproduzieren wir damit? Hornscheidt hat den Workshop zugesagt.
Von den bisher mehr als 20 InteressentInnen aus Redaktion und Verlag sind die große Mehrheit Frauen.
Blattkritik: Lann Hornscheidt – Ein Gespräch
„Auch ich würde lieber eine andere Tageszeitung lesen,
es gibt aber keine andere Tageszeitung“
taz: Auf welcher taz-Ausgabe basierte Ihre Blattkritik?
Lann Hornscheidt: Konkret ging es um die Wochenendausgabe vom 18. Juli. Da ich die taz aber regelmäßig lese, ist natürlich meine Analyse der letzten Jahre mit eingeflossen.
Was ist Ihnen bei der Lektüre besonders aufgefallen?
Stark hervor sticht die fast durchgängige Verwendung des androgendernden Maskulinums. Also dass Formen, die sich auf Personen beziehen, im Maskulinum geschrieben werden. Und dadurch eine Uneindeutigkeit besteht. Frauen sind nur Geschlecht und Männer allgemein menschlich.
Ein supersimples Beispiel der letzten Zeit dafür: In der taz gibt es Fußballweltmeisterschaften und Frauen-Fußballweltmeisterschaften. Genau dies wären aber Dinge, die nicht sein müssten und die sehr einfach veränderbar wären.
Weiterer Kritikbedarf?
Ein weiterer Punkt ist die häufig fehlende Positionierung in Artikeln. Dass beim Lesen also nicht deutlich wird, aus welcher Position heraus sie eigentlich schreiben. Auffällig ist ebenso die Reproduzierung von Rassismen. Dies ist ja ein altbekanntes Problem der taz und wird in auch LeserInnenbriefen zurecht immer wieder angesprochen.
Gleiches gilt für die Reproduzierung der Zweigeschlechtlichkeit, dass es also nichts gibt jenseits der Zweigeschlechtlichkeit. Außer es wird extra zum Thema gemacht.
Zuschriften von taz-LeserInnen kritisieren relativ häufig das fehlende Binnen-I in taz-Texten. Ist es überhaupt noch zeitgemäß, das Binnen-I zu verwenden oder sollte es allmählich überwunden werden?
Überwinden sicherlich nicht, da würde die taz einen wichtigen Schritt überspringen. Aber ich finde es sehr spannend, dass dieser Kritikpunkt in den Zuschriften weit verbreitet ist.
Außerdem ist es wirklich interessant zu sehen, dass Leute sagen, sie wollen die taz lesen, sie wollen sich da engagieren, könnte die taz bitte die Formen verändern. Zugleich scheint in der taz selbst dahingehend seit Längerem eine Stagnation zu existieren.
Diese Zuschriften zeigen zwei Aspekte auf: Einerseits der Wunsch, gehört zu werden und anwesend sein. Andererseits der Umgang der taz mit diesem Wunsch.
Welcher Schluss könnte daraus denn nun gezogen werden, auch in Bezug auf mögliche Veränderungen?
Eine der größten gesellschaftlichen Veränderungen wäre sicherlich, gelänge es uns hinzuhören, zuzuhören und respektvoll zu agieren, wenn Leute, die diskriminiert sind, anders angesprochen sein wollen und sich selber identifizieren wollen mit Texten, indem sie in diesen Texten vorkommen – durch Binnen-I oder Unterstrich-Formen.
Insofern sehe ich das Binnen-I nicht als obsolet oder überholt an, sondern es wäre vielmehr ein immenser Schritt hin zu einer inhaltlichen Veränderung. Das Binnen-I ist keine formelle Veränderung, sondern eine inhaltliche Stellungnahme, die Ausdrucksweisen wandelt.
„Jede gesellschaftliche politische Veränderung stößt auf breitere Abwehr,
das gehört wohl dazu“
Also mehr Mut zum Binnen-I, denn es ist mehr als ein Buchstabe?
Ich würde eher Respekt sagen als Mut. Ist es mutig, respektvoll zu sein? Und Abwehr kennt die taz doch auch genug von Menschen, die stagnieren und Angst vor Veränderungen haben, das dürfte Sie doch nicht schrecken.
Jede gesellschaftliche politische Veränderung stößt auf breitere Abwehr, das gehört wohl dazu.
Jenseits dessen: Natürlich fände ich es als Trans*-Person cool, würde die taz den Unterstrich wählen. Denn dadurch wären sowohl Frauen direkt anwesender als auch Menschen, die sich in der Zweigeschlechtlichkeit nicht verordnen.
Und die Formen sind einfach, klar und nehmen nicht viel Raum ein: Journa_listinnen, Lese_rinnen
Ausgehend von der heutigen Situation fände ich es aber schon sehr sehr schön, wenn zumindest das Binnen-I in der taz endlich ankäme.
Dies würde einen erheblichen Unterschied in der Identifikation für viele Menschen machen und könnte tatsächlich auch die Welt verändern – denn es fordert Wahrnehmungen heraus – wie wir ja auch an der immensen Abwehr innerhalb der taz sehen.
In der taz gibt es dazu aber auch sehr kritische Sichtweisen und gelegentlich Widerstand gegen das Binnen-I.
Das schließt an das Letzte an, was ich gesagt habe: Wenn ich glaube, ich kann für alle sprechen, ich bin das linke allgemeine Sprachrohr, dann fordert es mich vielleicht ganz schön heraus zu hören, dass meine Sprechweise exkludierend ist.
Welche Personen können es sich heute immer noch leisten, zu glauben, sie wären die allgemeine Menschlichkeit? Und bräuchten nicht andere Leute zu hören.
Aber selbst wenn diese das Binnen-I als unnötig empfinden, kann man nicht trotzdem wenigstens zuhören? Zuhören, dass andere Leute sich dadurch überhaupt erst angesprochen fühlen würden. Was kostet es denn, dies zu tun?
Für mich geht es da auch um das Nicht-reflektieren-Können eigener Privilegien oder der Teilhaftigkeit an Macht durch Diskriminierte und letztendlich auch um Machterhalt.
Denn selbst wenn ich gewisse Dinge zunächst nicht verstehe, aber als Redaktion einer linken Tageszeitung seit Jahrzehnten darauf angesprochen werde, dann könnte sich da doch irgendwann auch mal eine Akzeptanz entwickeln.
Eine Offenheit dafür, Dinge aus der Bewegung aufzunehmen. In anderen Bereichen der Bewegung klappt es doch auch, nur hier nicht. Ich finde das unglaublich interessant, zu sehen, wie so mit Sexismus umgegangen wird, wie Sexismus kleingeredet wird, Sprache als unwichtig hergestellt wird gerade von Leuten, deren Handwerkszeug Sprache ist und die an die Macht sprachlicher Benennungen glauben.
Ihre Kritik blieb in der Redaktionskonferenz nicht unwidersprochen, es gab teils kontroverse Reaktionen.
Ja, natürlich. Nun war das für mich aber auch keine verwundernswerte Sitzung nach dem Motto: „Oh, in der taz ist ja alles anders als sonst in der Gesellschaft.“ Natürlich zeigen sich hier die ganzen sexistischen Muster und Abwehrstrategien wie sonst in der Gesellschaft.
Die taz als Ganzes ist ja nun kein feministisches Projekt, auch wenn es ganz klar einzelne Femin_istinnen gibt, die in der taz arbeiten – und kämpfen.
Auch ich würde lieber eine andere Tageszeitung lesen, es gibt aber keine andere Tageszeitung. Es ist wirklich superschade, dass sich die taz sich da nicht auch selber progressiver gestaltet.
Allerdings scheint sich nun doch etwas zu bewegen, nicht umsonst steht jetzt die Idee eines Workshops.
Ich finde es immer wichtig, mit denen zu arbeiten, die ein Interesse und eine Offenheit dafür haben. Das ist mir grundlegend: mit denjenigen zu arbeiten, die Austausch und Inspiration und Herausforderung wollen und mich nicht abzuarbeiten an Personen, die in Abwehr sind, das bringt nichts.
Ich arbeite für gesellschaftliche Veränderungen und nicht gegen Personen. In Bezug auf sprachliche Veränderungen geht es mir darum, mehr Variation zuzulassen und nicht neue Normen vorzusetzen. Die Normen diktieren andere.
„Warum wird Kritik nicht als Chance verstanden?“
Sprechen wir hier auch über eine Generationenfrage?
Sicherlich. In gewisser Hinsicht ist es bei den Alt-68ern dieses Selbstbildnis als diejenigen Linken, die alles kritisiert und infrage gestellt haben.
Die deshalb auch wissen, was die Kritik ist, und dementsprechend nicht kritisiert werden können. Und die Kritik nicht als etwas Produktives erleben, um sich immer weiter verändern zu können.
Allerdings gibt es genauso auch viele Jüngere, die nichts mit Feminismus zu tun haben wollen. Insofern ist das Problem einer Ignoranz gegenüber Sexismus in allen Generationen verbreitet.
Und der Ansatz, um hier mehr Bewegung zu schaffen, sähe wie aus?
Dem Gegenüber respektvoller zu begegnen, wäre die wichtigste Veränderung. Und da fand ich es dann in der Redaktionskonferenz schon erstaunlich, wie wenig respektvoll Äußerungen waren.
Wie wenig Menschen ihre Irritationen als Impuls für sich verstehen können und damit arbeiten können, sondern sie anderen Leuten entgegenwerfen. Und damit auch wieder neue Normen aufstellen.
Einen konstruktiven Austausch hätte ich mir an dieser Stelle sicherlich anders vorgestellt. Dabei ist es viel entscheidender, wie wir einander zuhören und wie wir miteinander respektvoller umgehen. Wichtiger noch als Veränderungen einer kleinen Sprachform.
Warum wird Kritik nicht als Chance verstanden? Dass ich auf Einladung aus der taz zur taz komme, stellt doch auch ein Commitment meinerseits dar.
Warum wird daraus kein konstruktiver Dialog, sondern solch ein Schlagabtausch für einige, die dann auch noch den ganzen Rederaum einnehmen müssen – und nicht einfach mal schweigen und zuhören können?
Denn es gab ja genug Leute, die es inspirierend und konstruktiv fanden. Dies ist sehr schade, zeigt aber auch generell, wie wir in vielen Kontexten wenig gelernt haben, konstruktiv mit Kritik umzugehen.
„Die taz ist eine der wenigen Zeitungen, die positionierte Artikel bringt“
Was mögen Sie denn an der taz?
Ich mag viele der positionierten Artikel. In meinen Augen ist die taz eine der wenigen Zeitungen, die positionierte Artikel bringt. Super ist auch, wie teilweise sehr witzige Überschriften gewählt und teilweise auf der Titelseite andere Schwerpunkte gesetzt werden. Wie dadurch ja auch ein anderes Weltbild geschaffen wird – verglichen mit anderen Tageszeitungen.
Ich schätze viele der Rezensionen im Kulturteil sehr und freue mich ebenso über die Vielfalt an interviewten Menschen.
Da macht die Redaktion eine sehr gute und auch coole Arbeit, die mich immer wieder reizt, die taz zu lesen.
Ist die taz schön?
Diese Aufteilung in Tageszeitung unter der Woche und Wochenzeitung am Wochenende finde ich sehr schön. Wo sich die taz bemüht, in Diskurse zu intervenieren, ganz andere Stimmen zu Gehör zu bringen und eine andere Öffentlichkeit zu schaffen.
Die vielen Veranstaltungen der taz mag ich ebenfalls. Hier versucht sie ja eine Form von Politik zu betreiben und Menschen zum Gespräch einzuladen.
Wie sollte sich die taz in den kommenden zehn Jahren entwickeln?
Ich wünsche mir tatsächlich mehr Kreativität und Wille in Bezug auf das Experimentieren mit Sprach- und Ausdrucksformen. Oder auch welche Stimmen eingeladen werden, etwas zu sagen.
Weniger neoliberal sollte sie sein. Des öfteren erscheint mir die taz heute thematisch zu stark an Marktangelegenheiten angepasst.
Prinzipiell wünsche ich sie mir als Stachel in der Zeit. Als kontinuierliche Verunsicherung, Irritation und Aufforderung, über Dinge noch mal anders nachzudenken oder überhaupt neu zu denken – und Unterstrich-Formen könnten da definitiv zu beitragen.
Also eine wichtige, aber respektvolle Stimme zu sein, die andere Themen zu Gehör bringt in einer Gesellschaft, die immer mehr dem Mainstream anheimfällt. Da hat die taz eine ganz wichtige Rolle, und es wäre cool, wenn sie die noch mehr auch in Bezug auf eine Kritik an Sexismus und Rassismus ausfüllt.
Einführender Text von Patricia Hecht.
Das Gespräch führte Manuel Schubert.
Foto: Nicola Schwarzmaier
Könnte mir bitte wer erklären, was genau mit positionierten Artikeln gemeint ist? Ich kann mir darunter wenig vorstellen. Vielen Dank im Voraus!