Renate Franke aus Bonn kritisiert den taz-Artikel „Künstlich erzeugter Schriftenwirrwarr“ über die an Grundschulen gelehrte Schreibschrift:
Erstaunt war ich über Frau Andresens Artikel, erstaunt darüber, dass zu den Argumenten aus dem wohl zugrunde liegenden Artikel aus der Zeitschrift des Grundschullehrerverbandes (Heft 112) inhaltlich kein Bezug genommen wurde. Noch erstaunter war ich, dass der Begriff „Propaganda“ bzw. „Propagandatruppe“ auf vier für die fortschrittliche Entwicklung in der Grundschule sehr wichtige Persönlichkeiten angewendet wird. Und noch erstaunter war ich, dass der Begriff der Propaganda scheinbar so ungeprüft durch die Redaktion gelaufen ist. Abgesehen davon ist das Thema Schrift in der Grundschule nun eins der allerletzten, das mir als in der Grundschule tätigen Lehrerin auf den Nägeln brennen würde.
Es antwortet die Autorin des Artikels, Ute Andresen:
Liebe Frau Franke, ich nehme an, dass Ihre Schulkinder nicht nur flüssig und lesbar, sondern auch gern schreiben, weil Sie das unter Ihrer Obhut lernen durften. Auch mir war das in 25 Jahren als Grundschullehrerin selbstverständlich und ich habe geduldig dafür geworben, zum Beispiel in der taz am 29. September und 6. Oktober 2010 – und früher übrigens auch für den Grundschulverband. Heute bin ich klüger. Der Weg, den der Verband mit seiner Grundschriftmethode propagiert, ist gefährlich für unsere Kinder. Viele Menschen sind heute schon mit Schreibangst, „Legastenie“ oder unbrauchbarer Handschrift geschlagen – weil man ihnen einen basalen Schriftunterricht vorenthalten hat. Wollen wir es darauf ankommen lassen, dass es noch mehr werden?
Der Spiegel zitiert im Januar die am Projekt Grundschrift Beteiligten, als wären das lauter voneinander unabhängige Experten. Das sind sie aber nicht. Presse soll nicht Sprachrohr der Verbände sein, sondern deren Stimme kritisch aufnehmen. Das erklärt, warum wir hier in bester taz-Tradition Gegenöffentlichkeit herstellen.
Frau Renate Franke schreibt:“….das Thema Schrift ist eins der allerletzten, das mir als in der Grundschule tätigen Lehrerin auf den Nägeln brennen würde.“ Genauso sieht es aus. Das didaktische Problem der Schriftvermittlung wird in der Grundschule offenbar nicht ernst genommen. Hauptsache, man kann das Geschreibsel irgendwie lesen.
Lesen ist der falsche Ausdruck, „entziffern“ wäre oft richtiger. Dass eine solche Schrift als Arbeitsmedium in der Sekundarstufe I bei umfangreicherer Verschriftlichung unbrauchbar ist, spielt offenbar keine Rolle. Fatalerweise wird das didaktische Problem der Schule so an den einzelnen Schüler weitergereicht – als persönliches Problem und Handicap.
Ich sehe das von Frau Andresen beschriebene „Schriftelend“ den „Verdruss“ und die „Hilflosigkeit“ jeden Tag. Seit ich ein Schrifttraining anbiete, kommen immer mehr Nachfragen, nicht nur von Kollegen, die sich um ihre Schüler sorgen, auch Schüler selbst (bis zur Klasse 9!) bitten mich um Hilfe und sind erstaunlich dankbar für die Unterstützung.
Ich habe meine Beobachtungen durch Schriftprobenuntersuchungen objektiviert. Jeder sechste Schüler – und es sind in der Tat fast nur Jungen – kann seine Handschrift kaum nutzen, ist demotiviert und bleibt damit schulisch unterhalb seiner Möglichkeiten. Einen Bericht über meine Arbeit und die Schriftprobenuntersuchungen sind nachzulesen unter:
http://www.forum-schule.de/cms/upload/pdf/Schrift-(k)ein_Thema_in_der_Sek_I.pdf
http://www.sophie-scholl.schulnetz.hamm.de/download/Sauklaue02.pdf
http://www.forum-schule.de/fs28/praxis/
Maria-Anna Schulze Brüning