vonandreas bull 21.01.2010

taz Hausblog

Wie tickt die taz? Das Blog aus der und über die taz mit Einblicken, Kontroversen und aktuellen Entwicklungen.

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Die überregionalen „Qualitätszeitungen“ reagieren mit verstärkter Auflagenmanipulation auf die bedrohlichen Verluste

Die Welt ist voller Lügen. Rambouillet-Lüge, Spenden-Lüge, Gletscher-Lüge. Dass der Mensch diese als solche erkenne, dafür sind Zeitungen vornehmlich da. Die jüngsten Meldungen der Interessengemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern e.V. (IVW) über die im 4. Quartal 2009 verkauften Auflagen der Tageszeitungen fügen eine Lüge über diese selbst hinzu: die Auflagen-Lüge.

Es ist ja nun eigentlich keine Neuigkeit mehr. In der Branche wird seit Jahr und Tag von nichts mehr geredet als von der Zeitungskrise. Durch Wirtschaftskrise und die Medien-Konkurrenz des Internet sinken die Anzeigeneinnahmen, die Zeitungsverlage sparen an Umfang, Inhalt und Personal und erhöhen gleichzeitig die Bezugspreise. Die Konsequenz: die Auflagen der gedruckten Titel sinken mit ihrer wirtschaftlichen Einträglichkeit noch schneller als die Kosten für Druck, Vertrieb und Redaktion. Das Ende naht.

Mit allerlei Mätzchen wird versucht, die Verluste zu kaschieren. Denn die Auflagen- und Rendite-Verluste werden auch als Verlust von Bedeutung der publizistischen Marke empfunden. Also werden zum Beispiel gern Reichweitengewinne aus den Online-Publikationen den gedruckten hinzugerechnet. Mit welchen Mitteln da getrickst wird, hat gerade die Süddeutsche vorgemacht, die sich zustimmende Lesermeinungen en gros einkaufte und flächig publizierte. Aber ausgefeilte Suchmaschinenoptimierung und Reichweiten vorgaukelnde click-monster sind derart übliche Verfahren des Selbstbetrugs geworden, dass, wer nicht daran teilnimmt, ähnlich blöd zu sein scheint, wie der Investmentbanker, der 2007 nicht mit Zertifik- und Derivaten handelte.

Das übliche Verfahren der holzverarbeitenden Zeitungsindustrie beim Versuch, die Darstellung der wirklichen Verhältnisse am Markt im jeweils eigenen Interesse zu verzerren, bestand und besteht immer noch darin, erhebliche Anteile der publizierten Auflage als „verkauft“ und damit besonders werthaltig zu deklarieren. Denn es interessiert natürlich keinen Anzeigenkunden, wenn ein Verlag angibt, besonders viele Zeitungen zu verbreiten, wenn diese nur verteilt oder vielleicht weggeschmissen oder sonstwie jedenfalls nicht nachweisbar von interessierter Seite gelesen werden.

Es gibt im wesentlichen zwei übliche Wege, wie frei verteilte Auflagenanteile zu verkauften Exemplaren mutieren: entweder wird eine Agentur beauftragt, im Rahmen einer Werbeaktion Gratis-Zeitungen zu verteilen. Die Zeitungen werden dem Verlag aber abgekauft, so dass er sie als verkaufte Auflage in der Buchhaltung führen kann – entsprechend stellt die Agentur dem Verlag eine hohe Rechnung für die gesamte Werbeaktion, um die Kosten zu kompensieren. Der zweite Weg verläuft ähnlich. Fluggesellschaften kaufen Zeitungen zu einem ausgewiesenen geringen Bezugspreis und berechnen im Gegenzug Gebühren für Logistik und Verteilung. Im Ergebnis können Fluggäste umsonst Zeitung lesen und die Verlage diese Stücke als sogenannte „Bordexemplare“ der wertigen Verbreitung hinzufügen.

In der folgenden Tabelle sind die Entwicklung der verkauften Auflage sowie deren anteilige Abos, Einzelverkäufe, Bordexemplare und sogenannte Sonstige Verkäufe im 4. Quartal 2009 und prozentual die jeweilige Veränderung zum Vorjahresquartal (4. Quartal 2008) aufgeführt. Nach der üblichen Definition beginnt der Sonstige Verkauf unterhalb des Verkaufspreises, der einem Rabatt von 35 % auf den regulären Bezugspreis entspricht.

IVW2009-4

Wie man sieht, haben alle überregional vertriebenen Tageszeitungen (außer Süddeutsche und taz) ihre Bordexemplare drastisch erhöht. Addiert man Bordexemplare und Sonstige Verkäufe, kommt man zu teilweise absurden Anteilen von nahezu höheren verschenkten Auflagen als der als „verkauft“ gemeldeten.

Was in der Tabelle fehlt, ist die „Welt“. Nun sagt mein Geschäftsführer-Kollege zwar, die Auflagenmeldung von Springers sogenanntem „Flaggschiff“ sei ihm „nicht satisfaktionsfähig“, weil sie jegliche Mindesttransparenz missen lasse und durch die unseriöse Vermengung von Welt und Welt-Kompakt sich der Vergleichbarkeit entzöge. Einige Kennziffern des Ergebnisses der Strategie von Konzernlenker Döpfner, der vor ein paar Jahren eine Wende zur „rentablen Auflage“ versprach, sei hier nicht vorenthalten:

IVW04-09Welt

Was im Falle der Welt von rentabler Auflage zu halten ist, kann man unschwer errechnen. Bei FTD und Welt machen Bordexemplare und Sonstige Verkäufe zusammen genommen gleich über 40 % der verkauften Auflage aus. Mit derlei Pfiffigkeiten versucht sich also ein angesichts der Krise zunehmend verwahrlosendes Management in den Verlagen mit Selbstbetrug im großen Stile Mut zu machen. Die Frage ist nur, warum so viele Marktteilnehmer sehenden Auges still halten oder gar an den Legenden bewusst mit stricken.

Gut, die IVW macht mit, was „der Markt“ will. Dessen Teilnehmer werfen lieber nicht den ersten Stein. Oder sind Anzeigenagenturen, die keine Ambitionen haben, ihre Kunden über das unseriöse Treiben aufzuklären. Denn sie profitieren von der scheinbaren Relevanz der Blätter, in denen die Wirtschaft wirbt. Und die Instrumente der Erfolgskontrolle von Werbeanzeigen in den vorgeblich großen Zeitungen sind derart unscharf, dass es nicht hinreichend messbar auffällt, wenn die eine oder andere Zeitung gar nicht ernsthaft gelesen und deren Anzeigen folglich gar nicht wahrgenommen werden.
Nun, das war schon immer so, sagen die, die es schon immer so getrieben haben. Aber die Zeiten ändern sich. Und bald, spätestens eines letalen Tages, wird der eine oder andere systemrelevant Scheinende den Weg der Lehman’s gehen.
Übrigens, bei aller Bescheidenheit: die kleinste Marktteilnehmerin taz konnte als einzige an Auflage gewinnen. Natürlich liegt sie noch Lichtjahre unter den Kennziffern der Konkurrenz. Aber in der Krise und im rückläufigen Markt erweist sich eine Publikation, deren Geschäftszweck Journalismus ist und nicht das Geschäft den Journalismus als Zweck nutzen will, als überlebensfähig.

Andreas Bull ist taz-Geschäftsführer

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https://blogs.taz.de/hausblog/die-auflagenluege/

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kommentare

  • Bordexemplare sind ja nun -leider- ein alter Hut, der nur derzeit aufgedämpft wird zu einer voluminöseren Form.
    Dass Andreas Bull den Werbungtreibenden und deren Agenturen nahelegen will, stärker die verkaufte Auflage zu beachten, ist bei den Zahlen der taz gut verständlich. Der Geschäftsführer-Kollege Kalle Ruch mag die Mischmaschzahlen der Welt nicht deuten. Verständlich.
    Doch wo bleibt der praktikable Vorschlag für die Zukunft?
    Ein Gewichtungsfaktor der tatsächlich verkauften Auflage bei Leser-Analyse Zahlen, MA, GfK etc.?
    Bei den Zeitschriften sieht es ja ähnlich aus. Wie sieht der Kommentar von Holzbuch eigentlich aus? Wird er Hillen-Schulte widersprechen? Interessant wäre hier auch eine Stimme aus mehrheitlich vertriebsorientierten Verlagen: Dann käme vielleicht eine „Bäuerin“ zum scharfen Wort…
    cc@ccmedien.net

  • @ Hillen-Schulte

    Ganz ehrlich: Das ist seit Jahrzehnten üblich. Und zwar im ganzen Z&Z-Bereich. Das klappt natürlich nur, wenn Wünsche und Lösungen nicht zu weit klaffen. Man kann ein paar Tausend Bordexemplare „schaffen“, aber darüber hinaus wird es schwer. Und Sonstige Verkäufe wie Probeabos beißen einen dann spätestens beim Ablaufen in den Allerwertesten. Das ist ein Aufschieben des Unvermeidlichen.

    Andererseits finden sich die Schuldigen auch in dem Zitat: Die Kunden im Anzeigengeschäft. Die sind ja nicht dumm, die können IVW-Daten lesen. Und wenn man weiß, und das wissen die auch, wie man sinkende Auflagen halbwegs legal konstant hält, indem man Probeabos verschleudert und BEs pusht, aber sich daran nicht stört, dann darf man sich auch nicht beschweren.

    Das Traurige ist daran natürlich, daß solche etwas unsauberen Zahlenschubsereien der breiten Masse verborgen bleiben. Noch schlimmer ist, daß sich die Politik daran immer dreister bedient. Gutes Beispiel dafür sind die Arbeitslosenzahlen, die durch vergleichbare Mauscheleien halbwegs konstant gehalten werden.

    Wie soll man sich da als Bürger noch gut fühlen, wenn man weder der Politik, noch deren Wächtern von den Medien wirklich trauen kann? Wenn Bock und Gärtner einen Vertrag schließen? Es geht ja nicht nur um ein paar Zahlen. Diese „naja, das kann man doch machen, ist ja nicht verboten“-Mentalität erstreckt sich auch in redaktionelle Bereiche, wo der zahnlose Wachhund „Presserat“ seine Rügen bellt und keinen juckt es. Wenn man es machen kann, ohne echte Repressalien zu fürchten, wird es auch getan. Das kann man sehr gut im Online-Bereich verfolgen.

    Tpz

  • In dem im Jahresabschluss 2007 der G+J Wirtschaftsmedien GmbH & Co. KG abgedruckten Lagebericht für das Geschäftsjahr vom 01. Januar bis 31. Dezember 2007 findet sich zur Auflagenstrategie der FTD folgende Anmerkung:

    „Im abgelaufenen Jahr 2007 konnte die Financial Times Deutschland im Lesermarkt ihre Strategie der Verbesserung der Auflagequalität wie gewünscht angehen und umsetzen. Die Zielmarke von 100.000 Exemplaren wurde bei Bereinigung der Auflage konstant gehalten, welches sich besonders im Anzeigengeschäft in der zweiten Jahreshälfte ausgewirkt und Anerkennung erzielt hat.“

    Simpel übersetzt heißt das: 100.000 „verkaufte“ (das ist die Qualität) Exemplare werden bei G + J beschlossen und, komme es wie es wolle, auch erreicht, in dem man die Auflage der Bordexemplare anpasst. Beim Anzeigengeschäft erzielt das „Anerkennung“, gegenüber der Öffentlichkeit ist das mindestens unlauter.

  • […] Hinterlasse einen Kommentar » Auflagendoping bei Tageszeitungen: „taz“-Geschäftsführer Andreas Bull erläutert, wieso Bordexemplare und sonstige Verkäufe eigentlich gar keine Verkäufe sind und geht mit „FTD“ und „Welt“ besonders hart ins Gericht, da beide dadurch ihre Auflage künstlich um 40 Prozent steigern. hausblog.taz.de […]

  • >Süddeutsche vorgemacht, die sich zustimmende
    >Lesermeinungen en gros einkaufte und flächig
    >publizierte

    Die SZ hat positive Meinungen für ihre Iphone-App in Blogs und im ITunes-Store lanciert. Das ist für mich etwas anderes, aber egal.

    >Wie man sieht, haben alle überregional vertriebenen
    >Tageszeitungen (außer Süddeutsche und taz) ihre
    >Bordexemplare drastisch erhöht.

    Na ja, was heißt drastisch. Wenn man mal die FAZ betracht, sind das gerade mal 10000 Exemplare mehr, 2% der Auflage, wenn man den Rückgang der Sonstigen Verkäufe abzieht, sind es 5000, also gerade mal 1 % der Auflage.
    Die taz hat durch den Anstieg ihrer sonstigen Verkäufe ihre Auflage um 1.5% gesteigert. Also auf dem Teppich bleiben.

  • ok, bei der Frankfuhrter müsste amn nochmal durchrechnen, weil sie ja doch wesentlich mehr Bordex ausgaben als sonstiges haben, bei den anderen die hier kritisiert werden, sind die zahlen doch relativ gleich.

    Was natürlich nichts an der genrellen auflagen Lüge ändert, allerdings an dem Teild as das zugenommen hätte

  • Also ich sehe hier keine zunahme von „Nicht wirklich“ Verkauften exemplaren!

    Sondern nur eine Verlagerung mit ausnahme von Handelsblatt und Finacial time.

    Weil wenn ich die Zahlen Anschaue was bei Sonstiges gesunken ist, ist das mehr,als bei Bordex gestiegen ist.

    also ist ja im endefekt der Anteil der von euch als gelogenen Verkauften Ausgaben gesunken.

    Wie es sich jetzt im vergleich zu den Gesammtausgaben in Prozent verhält müsste man ausrechnen, hab ich aber grad keine Lust

  • Jaja, bin gerade mit dem Heli der Geschäftsführung auf dem Weg zur Geburtstagsfeier von attac nach Frankfurt … ;-)
    Also, die taz hat bis ins vierte Quartal hinein noch 5 Bordexemplare liefern dürfen und zwar an die Route Bremen-Amsterdam frühmorgens um sieben. Leider sind diese Exemplare abbestellt worden mit dem Effekt, dass statistisch gesehen eines durchschnittlich in den 13 Wochen des Quartales übrig blieb.
    Die 5.641 Exemplare der „Sonstigen Verkäufe“ der taz sind übrigens die Probeabos, für die wir mit 10 Euro für den auf 5 Wochen befristeten Lieferzeitraum knapp die Kosten für Fortdruck und Vertrieb berechnen.

  • Ich kann die Aufregung jetzt gerade nicht verstehen…

    Es ist für die meisten Verlage kein Vergnügen, den IVW-Prüfer im Haus zu haben. Diese Leute prüfen sehr genau und fügen – zumindest gefühlt – jedes Exemplar seiner genaue Verwendung zu. Daher gibt es ja auch so viele Kategorien für die verkaufte Auflage. Darum wird ja auch zwischen Druckauflage, verkaufter Auflage, gelesenen Exemplaren, Leser pro Exemplar und verbreiteter Auflage unterschieden. Fein unterschieden. Und darum gibt es die Gruppe der extra aufgeführten Bordexemplare. Das gilt für Zeitungen und Zeitschriften.

    Wenn sich dann die Anzeigenkunden nicht informieren (wollen), wie sich die verkaufte Auflage aufteilt, ist das etwa so, als würde man einen Gebrauchtwagen kaufen, weil er von außen so gut aussieht und sich einen Blick unter die Motorhaube, in den Fahrzeugschein, ins Innere und auch die Testfahrt sparen.

    Ganz anderer Tobak sind natürlich die Betrügereien über Verkäufe an Agenturen oder das Schreddern von als verkaufte ausgewiesenen Exemplaren. Fliegt sowas auf, ist man ganz schnell raus aus der IVW und dann ist Essig mit Anzeigenkunden. Vor ein paar Jahren haben sich ja damit diverse Verlage hervorgetan und mußten dann ihren Vertrieb outsourcen, um die IVW gnädig zu stimmen.

    Was zur Zeit viel offensichtlicher ist, wo man sich aber wohl noch nicht so ganz einig ist, ist der Online-Sektor. Was es da für Möglichkeiten gibt, die Pageviews, Unique Visitors, Clicks und Impressions in die Höhe zu treiben, ist schon waghalsig. Und damit meine ich noch nicht mal die zeilenweise Verabreichung von Artikeln, die dann über 23 Seiten verteilt werden und an die sich noch eine 165 Bilder umfassende Klickstrecke anschließt. Die üblichen Pop-Ups oder Pop-Unders, das Öffnen von neuen Seiten und vollstopfen der Seite mit Applets und Scripten, die über verschiedene Frames verteilt sind, macht das Ganze nochmal komplizierter. Von Weiter- und Umleitungen über Partner- oder eigene Zweit(Dritt-, etc)seiten ganz zu schweigen. Und am Ende wird munter addiert.

    Man kann eigentlich nicht einer einzigen Zahl glauben, nicht mal die grobe Tendenz. Es gibt zuviele Wege, solche Daten zu manipulieren.

    Darüber darf man sich aufregen, aber bitte nicht über die Bordexemplare. Was kommt als nächstes? Wie wäre es, sich über „Das Haus“ (Magazin der LBS, nahezu gesamte Druckauflage von 1,9Mio läuft als Sonstige Verkäufe) oder das „ADAC Motowelt“ (gesamte Druckaufkage von 13Mio(!!) Exemplaren läuft als Abo) auszulassen? Steht aber auch alles bei den IVW Daten dabei. Man muß sich nur die Mühe machen, reinzuschauen.

    Tpz

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