Bei einigen Zeitungsverlagen müssen die Surfer erst zahlen, bevor sie Artikel lesen dürfen. Die taz lehnt das ab und setzt auf einen anderen Weg: „Die anderen schimpfen über die Gratis-Kultur im Internet, wir etablieren eine Kultur der Fairness“, sagte Online-Redaktionsleiter Matthias Urbach am Samstag in Berlin auf dem Jahresplenum der taz-Genossenschaft. Urbach rief den mehr als 330 angereisten taz-Eigentümern in Erinnerung, dass die taz einen Erfahrungsvorsprung gegenüber anderen Verlagen hat. Denn während andere Presseunternehmen nach jahrzehntelang stabil hohen Gewinnen in der Ära des Internets um ihr Geschäftsmodell bangen, kenne die taz das schon seit ihrer Gründung, sagte er im leicht stickigen Veranstaltungssaal der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlins Regierungsviertel.
Nachdem die Genossen sich 2010 heftig über die Entlohnung der Auslandskorrespondenten gestritten hatten, gab es in diesem Jahr keine kontroversen Anträge. Auch bei der Wahl eines Aufsichtsratsmitglieds blieb man einmütig; Astrid Prange de Oliveira wurde wiedergewählt. Zeit genug also, um die gerade gestartete Facebook-Seite der taz kennen zu lernen – durch die beiden Online-Community-Manager Aline Lüllmann und Kaspar Zucker. Zeit genug vor allem aber auch, um sich mit der taz und ihrer Zukunft im digitalen Zeitalter zu beschäftigen.
„Es verschiebt sich bereits jetzt die Wahrnehmung der Leser, was eigentlich die taz ist“, so Urbach. Für immer mehr Leser ist die taz eine Webseite – über die erreicht sie inzwischen deutlich mehr Menschen als über die gedruckte Ausgabe. „Wir gehen weiter zum Kiosk, aber der Kiosk verändert sich“, sagte Urbach. Online kämen die Leser via Google News, Facebook oder den Kurznachrichtendienst Twitter.
Der Journalismus werde sich durch die Online-Möglichkeiten verändern, so Urbach. Als Beispiel nannte er die Datenbank mit den Parteispenden oder die interaktive Karte über die Fluglärmbelastung des neuen Berliner Flughafens. Er verwies auch auf eine Erfindung der taz-Online-Redaktion: den Liveticker zu politischen Ereignissen wie etwa zum Castor-Transport, zur Blockade von Neonazidemonstrationen oder zum 1. Mai in Berlin.
Das alte Geschäftsmodell der Zeitungen lasse sich nicht eins zu eins auf die Online-Welt übertragen, sagte Urbach. Und die Beschränkung des Angebots auf zahlende Leser passe nicht zur Philosophie der taz. Sehr gut hingegen der Gedanke der Solidarität. Schließlich zahlen bei der gedruckten Ausgabe rund 10.000 Abonnenten freiwillig einen höheren Preis, damit andere die taz ermäßigt bekommen. Auch die taz-Genossenschaft funktioniere nach dem Solidarmodell.
„Unsere Idee ist, dass man den Leuten erst etwas gibt und sie dann fragt, ob sie dafür bezahlen wollen“, erläuterte Urbach. Jeder zahle dabei so viel, so oft und wann er will. Und zwar per Kreditkarte, Handy, Überweisung oder über die Internetbezahldienste Amazon und Flattr.
Als die taz damit im April startete, kamen gut 9.000 Euro rein. Seither sank der Betrag jeden Monat, im August waren es nur noch rund 2.200 Euro. Im Verhältnis der taz-Gesamteinnahmen von 25 Millionen Euro im Jahr ist das recht wenig, aber „auch die Genossenschaft hat klein angefangen“, so Urbach.
Die nachlassende Zahlungsbereitschaft der Online-Leser „erschreckt uns nicht“, ergänzte Nina Schoenian aus der Marketing-Abteilung der taz. Nötig sei Mut zur langfristigen Idee – die der Fairness und Freiwilligkeit bei den Bezahlmodellen.
Die am stärksten beklatschte Rede des Tages hielt Ulrike Herrmann, die in der taz über Wirtschaftsthemen berichtet, Mitglied des Vorstands ist und über die gesellschaftliche Diskurslage sprach. In der aktuellen Krise des Kapitalismus könnte der taz zugute kommen, dass jetzt alle sagen, was die taz schon immer geschrieben hat. Doch „das bedeutet nicht automatisch, dass die taz davon profitiert“, warnte sie: „Es ist zu befürchten, dass wir von der Rechten links überholt werden.“
Der Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Frank Schirrmacher, hatte im August etwa geschrieben, dass die Linke womöglich recht hatte mit ihrer Kapitalismuskritik. Doch die Stärke der taz werde sein, so Herrmann, dass sie gerade über die Krise unabhängiger berichten kann als andere Zeitungen: „Die taz gehört ihren Lesern – und hier kann kein Kapitaleigentümer vorgeben, was in der Zeitung zu stehen hat.“
Kurzinfo: Wem die taz gehört
Die Genossenschaft: Die taz ist seit 1992 eine Genossenschaft. Sie hat derzeit 10.850 Mitglieder, die ein Kapital von mehr als 10 Millionen Euro halten.
Solidarität: Voraussetzung für die Mitgliedschaft ist eine Einlage von mindestens 500 Euro – die auch in 20 Raten à 25 Euro bezahlt werden können.
Die Mitglieder: Von Beginn dieses Jahres bis jetzt traten 537 Mitglieder der Genossenschaft neu bei. Außerdem stockten 159 Genossinnen und Genossen ihre Anteile auf. Insgesamt wurden im Jahr 2011 bislang 533.500 Euro gezeichnet.
Der Aufsichtsrat: Wird von der Genossenschaftsversammlung gewählt und besteht aus Hermann-Josef Tenhagen, Astrid Prange de Oliveira und Johannes Rauschenberger.
„Die taz ist eine Webseite.“
Ach was. Das sind ja Neuigkeiten. Somit kaufe ich also neuerdings eine Website am Kiosk?
Damit seid ihr wirklich unfassbar progressiv. Die anderen nennen ihre täglichen Printprodukte üblicherweise „Zeitung“. Die taz nennt’s halt „Website“.
Alles eine Frage der Definition.
Mal ehrlich: Wäre es ggf. möglich, so vielleicht 3-4 Minuten zu überlegen, bevor so eine gratzblöde Überschrift ihren Weg auf die „Website“ geklatscht wird?