Marketingmäßig war keine Luft mehr nach oben: 37 AutorInnen haben am Sammelband „Extreme Sicherheit – Rechtsradikale in Polizei, Verfassungsschutz, Bundeswehr und Justiz“, erschienen in der vergangenen Woche im Herder-Verlag, mitgeschrieben. Die meisten arbeiten als JournalistInnen, bei FAZ, Zeit, Welt, Süddeutscher Zeitung, Tagesspiegel, RBB, BR – und acht von ihnen bei der taz.
Geworben haben sie alle, und so war die Buchpremiere am Mittwoch in der taz Kantine seit Tagen ausgebucht, selbst die New York Times war da. Wer reinkam, durfte dem „Guinessrekord-Versuch ‘vollstes Podium aller Zeiten’“ beiwohnen, wie der Leipziger Journalist Aiko Kempen im Scherz sagte: Neben den beiden HerausgeberInnen, dem Tagesspiegel-Redakteur Matthias Meisner und der Rechtsextremismus-Expertin Heike Kleffner, stellten neun der AutorInnen ihre Beiträge vor.
Das Parlamentarische Kontrollgremium für die Geheimdienste (PKG) beendete gar seine Sitzung im Bundestag früher und ab 20 Uhr standen auch fünf Innenpolitiker, von CDU, SPD, FDP, Grünen und Linken, in der taz Kantine bei der Buchpremiere auf dem Podium. Klarer kann kaum werden, welche Brisanz das Thema derzeit hat.
Krasse Premiere: Das komplette Parlamentarische Kontrollgremium zur Kontrolle der Geheimdienste ist soeben per Taxi in die @tazgezwitscher gekommen. Um über das Buch #ExtremeSicherheit zu sprechen & über rechte Strukturen in Bundeswehr, Polizei, Behörden pic.twitter.com/9tzignh1SL
— Herr Schulz (@derherrschulz) September 25, 2019
Der Band sei „keine Anklage, sondern eine Bestandsaufnahme“, sagte Herausgeber Matthias Meisner, „ein alternativer Verfassungsschutzbericht.“ Heike Kleffner sagte, das Buch solle jenen PolizistInnen und SoldatInnen den Rücken stärken, die sich nicht damit abfinden wollen, mit Nazis zusammen zu arbeiten.
Eine wichtige Rolle spielen in dem Band wie an dessen Premierenabend die „Hannibal“-Recherchen der taz über ein Netzwerk rechtsextremer Bundeswehr-Soldaten und Polizisten. Diese hatten Listen mit politisch Andersdenkenden angelegt, offenbar mit der Absicht, diese zu ermorden. Sie fragten dazu unter anderem Meldeadressen aus Polizeicomputern ab, woran taz-Reporterin Christina Schmidt am Mittwoch erinnerte. Und sie stahlen Munition und bestellten Leichensäcke.
Politik nimmt das Problem wahr
Außer den „Hannibal“-Enthüllungen von Schmidt, Sebastian Erb, Alexander Nabert und dem mittlerweile zum Recherchepool von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung gewechselten Martin Kaul haben noch drei weitere taz-Recherchen Eingang in „Extreme Sicherheit“ gefunden: Die Berlin-Redakteurin Malene Gürgen befasste sich mit dem mangelnden Aufklärungswillen der rechten Anschlagsserie in Berlin-Neukölln.
Die Inlandsredakteurin Sabine am Orde beschrieb den Fall des Staatsanwalts Thomas Seitz, der zum völkisch-nationalistischen Flügel der AfD gerechnet wird und dem das baden-württembergische Justizministerium wegen rassistischer Äußerungen den Beamtenstatus entziehen will. Malene Gürgen befasste sich mit dem mangelneden Aufklärungswillen der Behörden bei einer jahrelangen rechtsextremen Anschlagserie in Berlin-Neukölln. Konrad Litschko und Christian Jakob schrieben über Aufrufe der rechten Szene an Polizisten und Soldaten, sich dem „Merkel-Regime“ zu widersetzen und sich an die Seite von AfD und Pegida zu stellen.
Was all das schon jetzt für Folgen haben kann, beschrieb Heike Kleffner. Immer häufiger höre sie von Menschen, die Opfer rechter Übergriffe werden oder Drohungen erhalten, dass sie sich „nicht mehr darauf verlassen, wirklich Hilfe zu bekommen, wenn sie die Polizei rufen,“ sagte Kleffner.
Die Politik, immerhin, nimmt das Problem wahr. Der PKG-Vorsitzende, der ehemalige Bundespolizist und CDU-Bundestagsabgeordnete Joachim Schuster, regte an, künftig alle Polizisten und Soldaten bei der Einstellung einer verpflichtenden Sicherheitsüberprüfung zu unterziehen. Bislang gibt es eine solche Regelabfrage in den Datenbanken von Justiz, Polizei und Geheimdiensten für diese Personengruppen nicht.