Von Julian Kasten
Was Menschen glücklich macht, gehört zu den ältesten und größten Fragen der Menschheit. In dem Buch „Wir steigern das Bruttosozialglück – Von Menschen, die anders wirtschaften und besser leben“ von Annette Jensen erwarten Lesende zunächst eine weitere Anleitung zum Glücklichsein. Doch die Autorin konzentriert sich auf Portraits alternativer und ökologischer Projekte und unterstellt dabei einen Glückseffekt. Anders leben heißt nicht nur verzichten, sondern hat mit Lust und Spaß zu tun.
Das Bruttosozialprodukt ist immer noch der populärste Indikator für gesellschaftliche Wohlfahrt. Dabei gibt es nicht nur breite Kritik daran, sondern auch bereits Alternativen. Das Königreich Bhutan ist berühmt dafür geworden, ein Glücksmininsterium ins Leben gerufen zu haben, dessen Ziel die Steigerung des Bruttosozialglücks ist.
Immer mehr Menschen scheinen zu der Einsicht zu gelangen, dass materieller Wohlstand allein nicht glücklich machen kann. Bereits Marc Aurel (121-180 nach Christus), römischer Kaiser und Stoiker, meinte, dass man nur wenig brauche, um glücklich zu sein. Glück sei gar das billigste, was es auf der Welt gibt, sagte der Psychoanalytiker Erich Fromm (1900-1980). Das Grübeln über Glück ist also nicht neu, doch dafür nicht weniger aktuell.
Jensen portraitiert in ihrem Buch knapp 40 Projekte, in denen Menschen in Gemeinschaftsprojekten und Graswurzelaktivismus andere Lösungen in Wirtschaften und Leben erarbeiten. So stellt sie ein Dorf vor, in dem durch demokratische Energieversorgung weit mehr Energie produziert wird als benötigt, und der Strom so verkauft werden kann. Genauso führt sie die „blue economy“ von Günter Pauli oder regionale Lebensmittelversorgung durch Eigenarbeit als Exempel für alternative Formen des Wirtschaftens und des Lebens an. So reiht sie Projekte aneinander, ohne letztlich die Frage nach dem Glück explizit zu stellen. Immer wieder betont sie, dass die portraitierten Menschen eine positive Ausstrahlung hatten und andere dadurch motivieren, ebenfalls alternative Projekte anzuschieben. Ob Menschen nun glücklicher werden, WEIL sie diese gemeinsamen Projekte realisieren, oder ob es bereits glücklichere und optmistischere Menschen sind, die über die Kraft und die Visionen verfügen, um solche Projekte überhaupt realisieren zu können, bleibt unbeantwortet. Auch auf die Frage, ob es für sie einen Unterschied mache, ob Menschen ein ökologisches Projekt starten oder gemeinsam ein Autorennen veranstalten, kann die Autorin nicht zufriedenstellend antworten. Letztlich geht es ihr aber auch nicht um begriffliche Genauigkeiten, sondern um die Darstellung eines Veränderungsprozesses, den sie mit optimistischen Augen betrachtet.
Veränderung aus Lust und aus Notwendigkeit
Was in den Achtzigerjahren als moralisch gebotener Ausstieg aus dem Hamsterrad propagiert wurde, hat laut Jensen heute eher mit Lust zu tun. Das schließt die ökologische und soziale Notwendigkeit alternativer Wirtschafts- und Lebensformen nicht aus. Was damals aber nach Ausstieg klang und auf pessimistischer Grundlage erwuchs, ist heute eher ein Einstieg in ein neues Leben und ein neues Gefühl für die unmittelbaren Dinge des Lebens.
Für den britischen Philosophen John Stuart Mill (1806-1873) hört das Glück bereits auf, wenn man danach fragt. Für Arthur Schopenhauer (1788-1860) ist sogar eines der größten Irrtümer der Menschen die Annahme, dass sie existieren, um glücklich zu sein. Denoch setzt die Autorin auf die Anziehungskraft dieses mythischen Glücksbegriffs und der titelgebenden Wortschöpfung. Schon die reine Masse an Büchern zu dem Thema zeigt, wie sehr Menschen danach streben, glücklich zu sein. Und auch, wie sehr sie glauben, es nicht zu sein.
Die Glücksforschung zeigt, dass das BIP kein guter Glücksindikator ist
Warum das so ist, zeigt die empirische Glücksforschung recht deutlich. Obwohl der materielle Wohlstand in den meisten Industrieländern in den letzten fünfzig Jahren stark zunahm, gab es gleichzeitig keine nennenswerte Veränderung des wahrgenommen Glückszustandes. Das hat mehrere Gründe: Menschen vergleichen sich mit ihrem Umfeld. Wenn überall der Wohlstand steigt, hat der Einzelne keinen Mehrwert. Darüber hinaus neigen Menschen dazu, andere Menschen glücklicher einzuschätzen, als diese tatsächlich sind. An eine Zunahme des materiellen Wohlstands gewöhnen sich Menschen rasch und omnipräsente Werbung tut ihr übriges dazu, den Menschen Wünsche und Visionen zu präsentieren, deren Erfüllung letztlich die Kapazitäten der Menschen übersteigt. Schon Adorno (1903-1969) schrieb, dass die Kulturindustrie den Menschen um das Glück betrüge, dass sie ihnen vorgaukelt. So erscheint es mitunter schwierig, glücklich sein zu können, wenn das Umfeld suggeriert, dass man immer noch glücklicher sein könnte – das mündet darin, dass Menschen nach jedem Glückszuwachs die Messlatte höher hängen. Das ist unter der hedonistischen Tretmühle zu verstehen.
Der Schlüssel zum Glück ist also durchaus so etwas wie Verzicht; der Verzicht auf die vielen materiellen Güter, auf unnachhaltige Produkte, auf die Überholspur des Lebens, auf die Abhängigkeit vom rasenden Kapitalismus und auf die Oberflächlichkeit und Entfremdung in der individualistischen Gesellschaft. Die Angst vor dem sozialen Auschluss und Abgehängtwerden zu nehmen, ist eines der Ziele von Büchern wie diesem von Annette Jensen. Denn eine Veränderung des Wirtschaftens und Lebens ist – in Glück gemessen – eher Einstieg statt Ausstieg, mehr Aufstieg als Abstieg.
Anders gesagt: Geld stört nicht beim Glücklich sein; Kein Geld schon. Natürlich ist die Lage in finanziell und materiell dürftig ausgestatten Haushalten / Regionen eine andere, und ein Zuwachs dann auch eher mit einem Glückszuwachs verbunden …