Klaus Wowereit hat sich im Gespräch mit der taz-Chefredakteurin Bascha Mika über den Axel-Springer-Verlag beklagt, die Erpressungs-Methoden der BILD-Zeitung beschrieben und den Journalisten aller Medien konstatiert, sich mit der Politik oft nicht gut genug auszukennen. Außerdem sprach Berlins Regierender Bürgermeister gestern Abend auch darüber, warum er Zweifel an der Wirkung des Konjunkturpaketes II hat und warum er derzeit in Berlin mit der Linkspartei statt mit den Grünen koaliert.
Zum Axel-Springer-Verlag
„Dass nun eine konservative Verlagsgruppe auf den rot-roten Senat einschlägt, ist ja nachvollziehbar. Die Frage ist immer: Wo ist Journalismus noch als Journalismus erkennbar? Ich sag mal, was in Tempelhof gelaufen ist, mit einer monatelangen Schlagzeilenkampagne in allen drei Blättern. Ich glaube, das hat es in dieser Stadt, so lange ich mich politisch erinnern kann, noch nie gegeben. Bei Pro Reli fing das ja auch so an Anfang des Jahres, jetzt ist es ein bisschen abgestoppt, nun warten wir mal ab, man soll den Tag nicht vor dem Abend loben, wie das noch die nächste Woche ausgehen wird. Ist schon eindeutig und das ist schon dann auch insgesamt problematisch.“
Erpressungs-Methoden der Bild-Zeitung
„Politiker machen immer den Fehler, die denken, wenn sie sich irgendwo einkuscheln. Da gibt es ja so wunderbare Medien, die arbeiten immer mit der Methode: Entweder Du kooperierst, oder wir vernichten Dich. Und dann denken immer einige, wenn sie kooperieren, dann werden sie nicht vernichtet. Das ist mitnichten so der Fall. Das kann vielleicht vier Wochen halten und bei nächstbester Gelegenheit werden sie abserviert, ohne mit der Wimper zu zucken. Da gibt es ja so eine Zeitung mit den großen Bild-Buchstaben, die das zur Politik macht, die das ja sogar mit Chefredakteuren von anderen Zeitungen so macht, die unter Druck zu setzen und was weiß ich das alles. Insofern sollte man sich da auch keine Illusionen machen. Und wenn man denkt, man hat da ein vernünftiges Verhältnis zu dem, ein konstruktives Verhältnis, das heißt nicht, dass am nächsten Tag der Leitartikel besser ausfällt, da sollte man sich überhaupt keine Illusionen machen. Insofern glaube ich, dass diese Nähe zwischen Politik und Journalismus gar nicht so groß ist.“
Pro Reli
„Das finde ich einen Skandal, dass hier kluge Menschen wie auch mein Freund Jauch sich hinstellen und im Spot sagen, es geht hier um Freiheit. Die haben doch noch nicht begriffen, was Freiheit ist! Es geht hier nicht um Freiheit, sondern es geht hier darum, ob man ein gemeinsames Fach Ethik haben will. Und wer Wahlfreiheit haben will, der muss mit Nein stimmen, weil sonst kann er nicht Ethik und Religion haben.“
„Ich bin nicht dafür zuständig, die Debatte der Kirche mit ihren Kirchenmitgliedern zu führen, oder der Eltern mit ihren Kindern, wie wichtig ist es, am bekennenden Religionsunterricht teilzunehmen. Wenn die Eltern es schaffen, ihre Kinder zum Ballettunterricht zu bringen, dann werden sie es wohl noch schaffen, wenn sie religionsmündig sind, aus Überzeugung zu ihrem Glauben stehen und in den Religionsunterricht gehen.“
Zur Krise
„Wir leben ja in einer komischen Welt. Rational wissen wir alle, dass wir in der Krise sind. Wenn man jetzt hier jeden einzelnen mal fragen würde, wie er denn persönlich die Krise erlebt, dann wird das sehr differenziert werden. Ich habe den Eindruck, es ist für Viele noch eine virtuelle Krise. Und das ist ganz gefährlich, finde ich, weil die Folgen dieser Krise enorm sind und sich mit voller Wucht auch zeigen werden. Aber das subjektive Empfinden der Menschen ist ja nicht so, wenn man durch die Stadt geht, dass Sie einen Unterschied feststellen zu Ostern des Jahres 2008. Und deshalb bleibt es ein bisschen gefährlich, finde ich. Wir werden mal sehen, wie die Steuereinnahmen sein werden, wie sich die Arbeitslosigkeit weiter entwickelt. Berlin wird vielleicht – das ist wie bei der taz: Wo nicht viel ist, kann auch nicht viel weggehen – das ist ein bisschen zynisch gesagt – aber de facto wird es dann so sein, weil wir unsere Umstrukturierung in der Wirtschaft ja schon hinter uns haben. Durch den Verlust von hunderttausend Arbeitsplätzen haben wir die Deindustrialisierung ja schon hinter uns, werden wir vielleicht nicht ganz so getroffen sein, aber wir werden getroffen sein, das ist aber den meisten nicht klarzumachen, weil es bei den meisten noch nicht so angekommen ist. Die Ausmaße dieser Wirtschaftskrise sind derzeit überhaupt noch nicht richtig angekommen, das ist mental zurzeit ein Riesenproblem.“
„Ich habe beispielsweise beim Konjunkturprogramm II gesagt: Ich bin sehr skeptisch, ob überhaupt bei einem exportorientierten Land wie der Bundesrepublik Deutschland und bei der Exportkrise, die wir jetzt haben, ein inneres Konjunkturprogramm überhaupt eine Wirkung haben kann. Aber wenn denn Geld investiert wird und viel wie beispielsweise in Berlin beispielsweise mit über 600 Millionen Euro, dann bitte nachhaltig. Deshalb finde ich den Bereich sinnvoll, wo wir in die energetische Gebäudesanierung, wo wir in Bildung investieren, wo wir wirklich dringende Maßnahmen in den Hochschulen machen, finde ich vernünftig, weil das – egal ob es jetzt einen Konjunkturimpuls bietet oder nicht – das ist auf jeden Fall für die zukünftigen Generationen gut investiertes Geld. Alles, was mit Steuersenkung zusammenhängt oder eben pauschal 100 Euro pro Familie auszuzahlen ist aus meiner Sicht kontraproduktiv. Die Abwrackprämie halte ich auch für nicht produktiv.“
Verhältnis zu den Grünen
„Ich hab gar nichts gegen die Grünen. (…) Und wir haben die Dreierkoalition ja mit der Ampel probiert. Für die Bundesebene: Viel Vergnügen bei den Koalitionsverhandlungen! Es ging nicht, und zwar aus kulturellen Gründen ging das damals nicht. Also wenn hier über Gleichberechtigung und Gleichstellung diskutiert worden ist, dann hat die FDP immer geguckt, der Herr Rexrodt und andere, als ob wir vom grünen Planeten kommen. Da war überhaupt gar keine Kommunikation möglich. Nicht nur, wenn es um Steuerfragen ging, sondern auch in vielen gesellschaftspolitischen Fragen und deshalb ging das auch nicht.“
Bascha Mika: „Aber vor zweieinhalb Jahren hätten Sie mit den Grünen koalieren können.“
Klaus Wowereit: „Wir haben gut zusammengearbeitet mit der Linkspartei eine Legislaturperiode.“
Bascha Mika: „Weil sie handzahmer sind?“
Klaus Wowereit: „Es ist ja nicht derjenige, der eine bessere Politik macht, der immer Krach schlägt und immer alles zum Konflikt macht. Ich finde es sehr angenehm, dass man sich intern auseinandersetzt, das wird bei Ihnen in der Chefredaktion auch nicht anders sein. Wir arbeiten konstruktiv zusammen bei allen Unterschieden, und deshalb: Warum sollte man da wechseln? Aber selbstverständlich geht eine Koalition mit den Grünen in Berlin immer inhaltlich, auch personell. Es ist ja nicht so, dass wir uns nicht mehr kennen. Oder bei allen Verletzungen und Enttäuschungen, die ja immer da sind, wenn so eine Liebesbeziehung nicht fortgeführt werden kann, dann ist da auch eine bestimmte Enttäuschung da und dann haut man auch besonders auf den ehemaligen Partner ein. Das muss man abstreichen, aber ich glaube, wir wären sofort in der Lage, auch eine Koalition zu bilden.“
Ahnungslose Journalisten
„Was mich immer wundert ist, dass hier Heerschaaren von Journalistinnen und Journalisten bezahlt werden, damit sie den ganzen Tag Politik beobachten. Und was mich immer wundert: Dass sie so wenig von Politik verstehen und so wenig verstehen, wie Politik funktioniert. Entweder sind wir so clever, dass wir uns so als Geheimbündnis so abschotten können… Ich versuche ja immer, mich in die Gedankenwelt der Journalisten hineinzuversetzen. Ich stelle immer wieder fest, dass die simpelsten Abläufe von Politik oft nicht erkannt werden. Dann würde man andere Analysen schreiben, dann würde man andere Kommentare schreiben können. Jetzt nicht im Einzelfall, sondern als Grundprinzip. Dass da zu wenig verstanden wird, wie Politik tickt und warum bestimmte Konstellationen eigentlich nicht da sind. Also beispielweise hier in Berlin, nur weil man’s immer gerne hätte wird hier immer davon ausgegangen, dass es die Opposition als geschlossenen Block gegen diese Regierungskoalition Rot-Rot gibt. So wird immer argumentiert. Jeder, der nur ein bisschen kritisch hinterherfragt, weiß, dass es zig andere Kombinationen gäbe, wenn es keine rot-rote Mehrheit in dieser Stadt geben würde. Trotzdem, weil man es so gerne hätte, wird das immer addiert (Wowereit meint offenbar CDU, FDP und Grüne, S. Heiser) und es wird immer zusammengezählt und dann immer auf diese Sache dort reduziert. Das ist natürlich völlig abstrus, weil mit ein bisschen Nachdenken kann man schnell herauskriegen, das funktioniert so nicht. Bestimmte Dinge, wie Politik funktioniert, begreifen viele nicht. Oder wenn Namen spekuliert werden, dann kommen die abstrusesten Dinge da rein. Wenn man ein bisschen weiß, wie Politik arbeitet, dann würde man wissen: Die können gar nicht in Frage kommen, weil sie nicht ins Muster passen. Das wundert mich dann doch immer wieder, ist aber auch eine schöne Erkenntnis, dass einiges dann doch verborgen bleibt.“
„Ich würde uns beiden Zeit wünschen. Politik zum Nachdenken und zum besseren Vorbereiten von Entscheidungen, und Journalisten Zeit zur Recherche. Und das ist wieder eine Frage von Ausbildung und Qualität und Kapazität, die zur Verfügung gestellt wird. Wenn Sie im journalistischen Bereich nur den Rotstift ansetzen, dann wird da die Zeit nicht mehr sein. Dann setzte ich mich an meinen Computer und schreibe alles falsch ab, was schonmal falsch geschrieben worden ist, oder mache nur noch Telefonjournalismus. Es muss noch so extrem sein wie bei DER ZEIT, dass sie da drei Monate notfalls Zeit haben für bestimmte Themen. Aber der Ansatz, wirklich hinter die Kulissen zu schauen und zu recherchieren, auch gründlicher mal etwas zu machen, das geht mir heute bei vielen Journalisten verloren. Nicht weil die es nicht wollen oder nicht können, sondern weil die äußeren Umstände, der Druck, auch die Hektik heute so groß ist. Durch diese Schnelligkeit sind wir doch heute alle in bisschen menschugge geworden.“
@ JBS:
Genau so ist es. „O-Ton“ bedeutet hier tatsächlich „Original-Ton“, also genau so, wie es gesagt wurde. Lediglich fehlende Worte wurden ergänzt, doppelt gesagte Worte herausgestrichen etc. Das ist mit dem Interview, wie es in der Zeitung abgedruckt, nicht zu vergleichen. Dort ist der O-Ton eher das Rohmaterial, aus dem dann die Druckfassung destilliert wird. Dabei wird inhaltlich viel gerafft, gekürzt und zusammengefasst. Die Reihenfolge wird umgestellt und in eine sinnvolleren Ablauf gebracht. Der direkte Wortlaut eines gedruckten Interviews stimmt an vielen Stellen nicht mehr mit dem direkten Wortlaut des tatsächlich Gesagten überein. Dafür ist dann der Inhalt prägnanter und der Text gibt verständlicher das wieder, was der Sprecher gemeint hat.