Von Sebastian Heiser
Im Jahr 2014 stagnierte die Zahl der Zugriffe auf taz.de (siehe rechts). Was sich änderte, war die Verteilung der Zugriffe: Die meistgeklickten Artikel bekommen immer mehr Klicks ab.
Im Jahr 2013 hatte der bestgelesene Artikel noch 185.000 Klicks. Im Jahr 2014 wurden neun Artikel häufiger gelesen. Der Spitzenreiter kommt sogar auf das Siebenfache, also auf 1,3 Millionen Klicks (der Artikel erschien im Juli, was man auch in der Grafik am Ausschlag nach oben sieht).
Ursache dafür ist: Unsere Leser kommen häufiger von Facebook. Vor eineinhalb Jahren kamen noch 6 Prozent unserer Leser über Soziale Netzwerke, inzwischen sind es 28 Prozent (Quelle: similarweb.com). Im Gegenzug gehen immer weniger Leser auf die Startseite von www.taz.de (41 Prozent statt 50 Prozent) und immer weniger kommen über eine Suchmaschine (20 Prozent statt 31 Prozent).
Das bedeutet: Wir haben immer weniger Einfluss darauf, welche unserer Artikel die Leser lesen. Unsere Online-Redaktion kann zwar einen Artikel ganz oben auf der Startseite von taz.de platzieren. Aber wie viel Aufmerksamkeit der Text wirklich bekommt, entscheidet sich auf Facebook. Je nach Betrachtungsweise führt dies zu einer Demokratisierung (weil jetzt die Leser entscheiden, welche Artikel sie teilen) oder Monopolisierung (weil Facebook nicht alle geteilten Artikel aller Freunde anzeigt, sondern mit seinen Algorithmen eine Auswahl trifft).
Und was halte ich von der Auswahl unserer Leser? In der Bilanz vor einem Jahr hatte ich geschrieben: „Insgesamt bin ich als Journalist übrigens mit den Präferenzen der taz.de-Leser zufrieden. Es heißt ja oft, dass online nur Schund gut geklickt wird. Bei uns ist aber in den Top 20 zum Beispiel nur ein Nackte-Brüste-Artikel (die Femen-Aktion im Kölner Dom), dabei hätten wir durchaus noch mehr solcher Artikel im Angebot gehabt. Stattdessen sind in der Liste gleich eine ganze Reihe von Artikeln, die ich auch auch zu unseren journalistischen Höhepunkten des Jahres zählen würde. Es stimmt auch nicht, dass online nur kurze Info-Häppchen gut laufen: Der Text auf Platz drei hat 23.000 Zeichen, in der gedruckten Ausgabe füllte er drei Zeitungsseiten.“
Ich bin immer noch sehr zufrieden und finde, dass die geteilten Artikel sehr gelungen sind und guter Journalismus. Eine Verschiebung gibt es bei den Themen und Darstellungsformen: Ganz oben sind Kommentare, Polemiken und Satire-Artikel statt harter Themen und aufwändiger Recherchen (im Vorjahr z.B.: Pädophilie-Beschlüsse der Grünen, Kindesmisshandlung in Haasenburg-Heimen).
Unsere zehn meistgelesenen Artikel 2014
1.297.000 Klicks für „Respektlos im Siegesrausch„: Der Kommentar zu den Feierlichkeiten nach dem Gewinn der Fußball-Weltmeisterschaft der Herren kritisiert die Kommerzialisierung und den „Gaucho-Tanz“.
936.000 Klicks für den Artikel über Latte-Macchiato-Mütter im Berliner Öko-Bezirk Prenzlauer Berg. Die zugezogenen Wessi-Frauen werden darin als “Rinder” bezeichnet, die mit ihren Kinderwagen die Gänge im Café verstopfen, zum Stillen ihre “Euter” herausholen und Kaffee mit Sojamilch bestellen sowie Hackfleischsuppe ohne Fleisch: „Sollen die doch zurückgehen, dahin, wo sie herkommen.” Der Artikel aus dem Jahr 2011 ist bereits zum vierten Mal in Folge in der Hitliste.
897.000 Klicks für die Kolumne „Kampfplatz mit Brüsten„, in der die Autorin die gesellschaftlichen Vorgaben an Frauen kritisiert und dazu aufruft, sich davon zu emanzipieren.
520.000 Klicks für die Kolumne „Die Wahrheit über Flug MH17“ mit mysteriösen Fakten zu Flug MH17.
418.000 Klicks für den Satire-Artikel „Tofu aus Fleisch„, in dem behauptet wird, rund 95 Prozent des weltweit produzierten Tofus bestehe gar nicht aus Soja, sondern aus dem Fleisch des bolivianischen Tofu-Trampel.
410.000-mal wurde der Artikel „Lecker Giraffe“ gelesen: Der Kopenhagener Zoo hatte die Giraffe „Marius“ an einen Löwen verfüttert, weltweit gab es darüber viel Empörung unter Tierfreunden, doch der Autor fand diese Aufregung übertrieben und wies auf die Natur der Tiere hin: „Raubkatzen fressen Tiere, so einfach ist das.“
240.000 Menschen interessierten sich für das Interview „Das ist irre“ mit einem ehemaligen Kriminalbeamten über einen Polizeieinsatz in Hamburg gegen linke Demonstranten.
189.000 Klicks erhielt der Satire-Artikel „Götzes Gauchogate“ mit einer Sammlung angeblicher Reaktionen aus Argentinien auf die Feierlichkeiten nach dem Gewinn der Fußball-Weltmeisterschaft der Herren.
186.000 Klick erhielt der Kommentar „Kindergeburtstag des Grauens“ über die letzte, unwürdige Sendung von „Wetten, dass..?“
161.000 Leser klickten den den Artikel „Ich bin nicht sexy…“ an, der die Kampagne des AfD-Nachwuchses „Ich bin keine Feministin“ aufs Korn nimmt.
Sebastian Heiser ist Redakteur im Berliner Lokalteil der taz
Kommentare beleben eine Seite, nur nicht jede Seite kann wegen den Spam Geschichte solche Kommentarfunktionen freischalten. Versicherungsseiten zum Beispiel sind unsexy, wer will da kommentieren? Also bleiben nur Spamer übrig- wie ungünstig. Bei Kindergeburtstag des Grauens werden wahrscheinlich mehr Leute gewillt sein, ordentliche Kommentare abzugeben als bei Kostenerstattung Zusatzversicherung.