vonMathias Broeckers 16.10.2008

taz Hausblog

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Gestern sind wir zur Buchmesse nach Frankfurt aufgebrochen. Nachdem Angela mal eben 500 Milliarden locker gemacht hat, kann man  die Innenstadt der Finanzmetropole ja jetzt wieder passieren ohne von Horden aggressiv bettelnder Investment-Bankster  belästigt zu werden,  nur noch wie eh und je harmlose Junkies.  Wie sehr letztere mit ihrem traurigen Dasein als Süchtige und Kleindealer zur  Stabilität und Liquidität an den Börsen beitragen hat die Ökonomin Catherine Austin Fitts einmal  ausgerechnet – ohne die jährlich 500 Milliarden Schwarzgelder aus dem Drogenhandel sähe es um  die Finanz- und Aktienmärkte noch finsterer aus als ohnehin. Dank des „war on drugs“ lassen sich mit simplen Agrarprodukten wie Mohn und Kokablättern Gewinne erzielen wie mit keinem anderen Produkt dieser Erde – und diese Gewinne fließen über Off-Shore-Banken und den unregulierten Derivathandel direkt an die Börsen in New York, London oder Frankfurt. Nie war Geldwäsche einfacher als heute – und ob die aktuellen Teilverstaatlichungen des Bankwesens auch diesen Graubereich regulieren, darf ernsthaft bezweifelt werden.  Denn hier gehts an’s Eingemachte. Die Junkies im Park vor den Spiegeltürmen der „Deutschen Bank“ werden uns also erhalten bleiben und durch die Mondpreise, die sie für die Droge bezahlen, die Aktienkurse an den Börsen stützen. Und das Jahr für Jahr mit einer Summe, die die Bundesregierung nur alle Jubeljahre mal locker macht. Den Heroinikern überall auf der Welt gebührt deshalb eine Auszeichung als Helden der Finanzmärkte und der Wirtschaft… in den Parkanlagen vor den Frankfurter Banktürmen wäre für ein Denkmal ein geeigneter Platz. (Und der irrsinnige „war on drugs“, der den größten Schwarzmarkt der Welt produziert, ein Thema für die nächsten 30 Jahre taz.)

Auf der Buchmesse wie seit je: Gejammer. Es gibt keine Branche der Welt, die jedes Jahr mehr neue Produkte auf den Markt bringt und verkauft, und auf ihrer weltgrößten Messe jedes Jahr  jammert, dass sie quasi kurz vor dem Untergang steht und als „Kulturgut“ unbedingt erhalten werden muß. Wir treffen den Cheflektor eines großen Verlags und stellen die Blogfrage: Was ist Thema, was ist Trend ? „Thema, im Moment ganz klar Wirtschaft und Finanzen, und für mich ganz klar das Buch, das euer alter taz-Kollege Harald Schumann mit Christiane Grefe geschrieben hat: „Der globale Countdown“. Hab gerade gehört, dass Spiegel-Chef Blumencron das Kapitel über das Derivate-Kasino allen Redakteuren als Pflichlektüre verordnet hat.“  Und was ist Trend ? „Ich habe heute schon drei Interviews wegen e-books gegeben. Alle Journalisten fragen nur noch nach e-books.“  Obwohl die Geräte bis dato kaum verbreitet sind, und wenn, dann nur bei Profilesern: „Also dieses Sony-Book ist schon praktisch, normalerweise gehe ich mit einem Rucksack voll Büchern in den Urlaub und jetzt nur noch mit diesem handlichen Kistchen.“ Bei unseren weiteren Gesprächen zu diesem Trend stellen wir fest: die Buchbranche ist eher dabei, die Fehler der Musikbranche zu wiederholen und mit Protektionismus nur ihre alten Pfründe zu sichern, statt sich der digitalen Herausforderung zu stellen. Ihr Gejammer klingt deshalb nicht anders als das der Steinmetze bei der Erfindung des Papiers.

Mütterchen taz sorgt unterdessen für die längsten und geduldigsten Schlangen in Halle 3.1 und peppt das müde Messevolk mit tazpresso auf – 20 Minuten Wartezeit muß man schon mitbringen für einen Frei-Cappucino in bester Qualität, aber die Schlange wird nie kürzer. Auch wir, die wir noch die Sandino-Dröhung aus den Anfangszeiten der taz kennen, sind vom Gratis-tazpresso schier begeistert. Das ist doch tatsächlich – um einen grandiosen Neologismus von Angela Merkel zu verwenden, der uns gestern in der „Tagesschau“  entgegenbrillierte und den man sich unbedingt merken muß: „menschliche Marktwirtschaft“.

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https://blogs.taz.de/hausblog/menschliche-marktwirtschaft-auf-der-buchmesse/

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