Liebe Leserinnen, liebe Leser,
von kritischen Anfragen bis hin zu wütenden Protesten reichen die Reaktionen auf unsere Berichterstattung zu den Vorwürfen gegen Jürgen Trittin. Der Grundtenor: Wie kann sich ausgerechnet die taz zum Steigbügelhalter von Kräften machen lassen, die mit der angeblichen Pädophilen-Affäre den Grünen nachhaltig schaden will?
Die taz ist allein ihren redaktionellen Grundsätzen verpflichtet. Entsprechend darf sie sich genau so wenig zum Steigbügelhalter machen lassen, wie Informationen zurückhalten, um PolitikerInnen oder Parteien zu schützen.
Franz Walter wurde von den Grünen mit der Aufarbeitung der Verstrickungen der Partei mit pädophilen Gruppen in ihren Gründungsjahren beauftragt. Teil der Vereinbarung ist, das haben beide Seiten der taz bestätigt: Der Wissenschaftler darf, wann immer es ihm geboten scheint, Zwischenergebnisse seiner Untersuchungen veröffentlichen. Die Grünen müssen darüber informiert werden, haben aber keinerlei Einflussmöglichkeit auf Ort und Zeit der Veröffentlichung.
Franz Walter hat nun am 15. September, also genau eine Woche vor der Bundestagswahl, der taz einen Gastbeitrag angeboten, der anführt, dass Jürgen Trittin sich im Jahr 1981 als Stadtratskandidat in Göttingen für das Kommunalwahlprogramm einer grün-alternativen Liste presserechtlich verantwortlich gezeichnet hat, die auch Forderungen nach Straffreiheit für sexuelle Handlungen mit Kindern enthielt.
Dass nun der von den Grünen beauftragte Wissenschaftler einen weiteren Zwischenbericht veröffentlicht, ist eine Information mit hohem Nachrichtenwert. Und die muss die taz entsprechend publizieren. Natürlich war uns bewusst, dass diese Nachricht in einer Zeit, in der von einigen konservativen Medien eine Kampagne gegen die Grünen gefahren wird, eine entsprechende Wirkmächtigkeit erzielen kann. Aber mögliche politische Konsequenzen dürfen nicht im Mittelpunkt einer redaktionellen Entscheidung stehen. Diese müssen mit Hilfe journalistischer Kriterien getroffen werden, die allein dem Pressekodex und unserem Redaktionsstatut verpflichtet sein sollen. Und sich nicht an der Frage orientieren, wem eine Nachricht schaden kann – oder wem sie hilft.
Mit freundlichen Grüßen
Ines Pohl
Nachdem Walter heute via Tagesspiegel-Aufmacher mit Pro Familia heraus kommt, und in dem Artikel auch noch ausgerechnet der Kinderschutzbund erwähnt wird im Kontext pro-pädophiler Äußerungen, und nachdem wir zuletzt über die Verstrickungen einiger Leit-Medien in diesem Kontext lasen, muss ich meinen letzten Kommentar hier etwas relativieren:
Ein bisschen ist die taz, wenn sie auch wohl keine andere Wahl hatte – besonders nicht vor dem Hintergrund der Füller-Debatte zuvor – dem Walter doch beim Veröffentlichungstermin auf den Leim gegangen. Es wäre möglich gewesen, bei Walter nachzufragen: haben Sie das erst jetzt gefunden? haben Sie auch Funde zu anderen Institutionen? können Sie uns die überlassen, denn wir als taz wollen Ihre Veröffentlichung mit einer eigenen Berichterstattung begleiten und einrahmen.