von 01.05.2013

taz Hausblog

Wie tickt die taz? Das Blog aus der und über die taz mit Einblicken, Kontroversen und aktuellen Entwicklungen.

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taz-Chefredakteurin Ines Pohl
taz-Chefredakteurin Ines Pohl
Zehn lange Jahre zog die neonazistische Terrorzelle NSU mordend durch Deutschland. Zehn Jahre lang blieb ihr Tun unentdeckt. Weil die Polizei davon ausging, dass die Mörder der neun Männer aus dem Einwanderermilieu stammten. Wie die Opfer selbst. Das Unwort „Dönermorde“ etablierte sich. Deutschland versagte auf vielen Ebenen. Politiker und Medienschaffende eingeschlossen.

Der NSU-Prozess wird zu Recht als einer der wichtigsten Prozesse in der deutschen Nackriegsgeschichte bezeichnet. Weil es neben der Aufklärung der Morde auch um die Frage geht, wie der deutsche Rechtsstaat über einen so langen Zeitraum so kläglich versagen konnte, wie also Deutschland heute mit rechtem Terror umgeht. Die Welt blickt auf diesen Prozess. Eine Bedeutung, die das Oberlandesgericht München von Anfang nicht akzeptierte. Bis heute unfassbar, dass nicht selbstverständlich Presseplätze für internationale Medienvertreter zur Verfügung gestellt wurden, allem voran für VertreterInnen türkischsprachiger Medien. Ein Prozess, bei dem es auch darum geht, wie durchdrungen deutsche Staatsdiener von braunem Gedankengut sind, sollte unter Ausschluss der internationalen Presse geführt werden?

Nicht zu glauben.

Nun wurde nachgebessert. In einem Losverfahren wurden bestimmte Kontingente für ausländische Medien zur Verfügung gestellt. Das war richtig.

Gänzlich falsch und der deutschen Presselandschaft in keiner Weise angemessen ist die Art der Kontingentierung der deutschen Presseplätze. Denn ganz klar wurden dabei die öffentlich-rechtlichen Anstalten und die großen Medienkonzerne, die sich mit diversen Publikationen bewerben konnten, bevorzugt und damit die gebotene Chancengleichheit für die Dauer des gesamten Prozesses verletzt. So kam es zu dem gänzlich absurden Ergebnis, dass keine einzige überregionale Tageszeitung einen Platz bekommen hat und einzig die Süddeutsche Zeitung über ihr wöchentliches Magazin verbindlichen Einlass bekommt.

Wir bereiten derzeit eine Klage vor, die wir einreichen wollen, wenn die taz es nicht schafft, über eine Kooperation mit anderen Medien ihrer Leserschaft zu garantieren, verlässlich und kontinuierlich von dem Prozess zu berichten. Der Termin des Prozessbeginns wird dadurch nicht beeinflusst.

Denn es ist schlicht nicht haltbar, dass Zeitungen mit nationalem Anspruch und ihrer ausgewiesenen Kompetenz, den Verlauf des Prozesses einordnen und analysieren zu können, sich nur aus zweiter Hand informieren können.

Es ist richtig, dass durch die Anwesenheit von Agenturen wie dpa und Medien wie der Süddeutschen und dem Spiegel die Pressefreiheit als solche gewahrt ist. Aber bei diesem Prozess geht es um sehr komplexe Fragestellungen, die aus möglichst vielen Perspektiven beobachtet werden sollten.

Wenn die taz dieses Recht einfordert, dann nicht, weil, wie teilweise kritisiert wird, JournalistInnen sich mal wieder so wichtig nehmen. Sondern weil der Prozessgegenstand so wichtig ist. Der zehn Jahre währende Terror hat gezeigt, wie dringlich es ist, genau hinzuschauen.

Update 3. Mai: Wir haben jetzt zwei Kooperationspartner gefunden.

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https://blogs.taz.de/hausblog/presseplatze-beim-nsu-prozess-warum-wir-notfalls-klagen/

aktuell auf taz.de

kommentare

  • Nach §3 Absatz 1 GG sind vor dem Gesetz alle Menschen gleich. Und das gilt dann auch für Medienvertreter. Kein „nationaler Anspruch“ oder „ausgewiesene Kompetenz“ ändert etwas daran. Alles andere käme dann frei nach George Orwell zu dem Zustand, dass alle Medien gleich sind, nur die mit Anspruch und Kompetenz gleicher. Und wer entscheidet eigentlich über Anspruch und Kompetenz? Die taz? Springer? Burda? Das OLG München? Oder darf ich das? Eine Einteilung der Medien in kompetent und nicht kompetent wäre nichts anderes als Zensur und somit ein Verstoss gegen §5 Absatz 1 GG, auf den sich die Medien bei ihren Klagen vor dem Verfassungsgericht berufen. So etwas nennt man wohl Ironie.

    Letztendlich hat die taz genau dieselben Rechte wie alle anderen Medienvertreter. Mit oder ohne Anspruch und Kompetenz. Und die Beschwerde darüber, dass die großen Medienkonzerne den Vorteil hatten, sich über mehrere Publikationen zu bewerben kommt wie ein Bumerang zurück. Denn man hätte sich seitens der taz vor der Verlosung über Kooperationen Gedanken machen sollen/können. Hinterher zu jammern, dass man niemanden zur Kooperation bewegen konnte zeugt für mich lediglich von suboptimaler Vorbereitung. Soviel zum Thema „Kompetenz“.

    Und was sich alle Medienvertreter hinter die Ohren schreiben sollten, ist folgende Aussage des Bundesverfassungsgerichts: „Hauptzweck der mündlichen Verhandlung ist auch in einem aufsehenerregenden Strafverfahren dessen Durchführung, nicht die Sicherung der Berichterstattung.“

  • Derzeit laufen bei uns noch weiter die Gespräche mit verschiedenen Medien und Kollegen, die Presseplätze erhalten haben, über die Bildung eines gemeinsamen Berichterstattungspools (Platzsharing sozusagen). Falls wir damit keinen Erfolg haben, behalten wir uns eine Klage weiterhin vor. Wir werden diese aber auf keinen Fall vor Beginn des Prozesses einlegen – der Prozessauftakt am Montag wird also nicht gefährdet.

  • Wenn nach 2 bis 3 Hauptverhandlungsterminen die Prozessroutine beginnt und ein Zeuge auf die Frage des 40. Nebenklägervertreters erklärt, die Antwort habe er doch schon vor drei Stunden auf Frage des 12. gegeben, werden die meisten Presseplätze ohnehin leer sein.

  • Das ganze von der Presse veranstaltete Affentheater ist einfach nur kindisch. Es zeigt die Hybris von Journalisten, die nicht zur Kenntnis nehmen wollen, dass sie ganz normale Menschen sind und dass Frau Ines Pohl von der TAZ nicht mehr Rechte hat als Frau Angelika Pohl aus München. Es wirft auch ein bezeichnendes Licht auf das Selbstverständnis der Journaille, wenn trotz 50 fester Plätze für Pressevertreter in den Raum gestellt wird, die Öffentlichkeit werde nur unzureichend informiert. Wenn man selbst nicht dabei ist, ist man beleidigt, denn was können schon die anderen: Ohne mich gibt es keine fundierte Information.

    Und das Schlimmste: Die Presse weckt Erwartungen, von denen sie weiß, dass der Prozess sie nicht erfüllen kann. Hinterher wird das dann auch dem Gericht ans Bein gebunden.

    In dem Prozess geht es einzig und allein um eine Frage: Reichen die Beweise, um die Angeklagten zu verurteilen? Es geht nicht um die Frage, „wie durchdrungen deutsche Staatsdiener von braunem Gedankengut sind.“ Darüber mag Frau Pohl (die von der TAZ) in ihren Blatt spekulieren.

    Und noch was: Nichts und niemand hindert Frau Ines Pohl, sich wie Frau Angelika Pohl um einen der übrigen 50 Plätze anzustellen.

  • Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte

    Gerade deer Fall NSU/OLG München illustriert beispielhaft, wo es hapert. Das generelle Verbot von Bild- und Tonübertragungen(bzw. -Aufzeichnungen) bei Gerichtsveerhandlungen schränkt das Recht der Öffentlichkeit in geradezu grotesker Weise ein.

    Aber es geht keineswegs nur um die Rechte d e r Öffentlichkeit.Nicht weniger sind Rechte von Beteiligten
    a u f Öffentlichkeit tangiert, und zwar nicht weniger krass.

    Das kann man hervorragend etwa am Fall Mollath (Nürnberg)
    illustrieren. Der Beklagte, heißt es, sei angeschrien worden, sodaß er sich an den NS-Richter Freisler vom Volkgerichtshof erinnert fühlte. In dem Nürnberger Fall hat der Anwalt des Angeklagten geradezu eine Orgie von Rechtsbeugungen beklagt, die zu dessen Freiheitsberaubung durch Justiz und „päßliche Gutachter“ führten.

    Dergleichen wäre evt. unterblieben, hätte sich der Richter einer Kontrolle durch z.B. eine Videoaufzeichnung „ausgeliefert“ fühlen müssen. Jetzt, nach Jahren, weist das Erinnerungsvermögen des inkriminierten Richters Lücken auf…
    Auch für den Vorsitzenden wäre eine Aufzeichnung heute sicher ein interessantes Souvenir.

    M.E. verstößt ein generelles Verbot von Ton-/Bild-Aufzeichnungen ohne Zustimmung der Prozeßbeteiligten insbes. aus Sicht der letztgenannten gegen das GG und das Menschenrecht auf einen fairen Prozeß.

    Die Sache wäre esallemal wert, bis zum EUGHMR getragen zu werden.

  • Ich denke, die Klagerei ist nicht der richtige Weg. Wie überhaupt zu bezweifeln ist, dass die Anwesenheit im Gerichtssaal irgendwelche öffentlichkeitsrelevanten Neuigkeiten ergeben wird.

    Eventuell könnte die taz die Gelegenheit nutzen, sich einmal mehr der Angelegenheit auf „neuer Bahn“ zu nähern. Zum Beispiel fiele mir da spontan ein, eine Art Beobachtung der teilnehmenden Medien ablaufen zu lassen (ab wann bleiben die Plätze leer? was schreiben/senden die da (für’n Quark)? wie läuft die Berichterstattung im Ausland/Türkei mit welcher Agenda? usw.). Den anscheinenden Mangel konstruktiv zum Vorteil verkehren – das wär‘ mal was.

  • Jenseits von Böse:
    > Zusätzliche Informationen lassen sich
    > über Kontakte zu den Nebenklägern und
    > ihren Anwälten erlangen.

    Das ist ein sehr zutreffender Hinweis. Tatsächlich erwarte ich, dass während des Prozesses nicht jeden Tag neue Fakten über den NSU ans Tageslicht kommen. Die zahlreichen Untersuchungsausschüsse haben schon viele Informationen herausgearbeitet, auch die Informationen aus den Ermittlungsakten sind uns bekannt. An den meisten Prozesstagen wird aus den Akten vorgelesen oder es werden Zeugen befragt, deren Aussage bereits in den Akten vermerkt sind. Interessant und relevant ist die Berichterstattung von bestimmten Verhandlungstagen natürlich trotzdem: Es geht um das Verhalten der Angeklagten, von Gericht, Staatsanwaltschaft, Nebenklägern und Anwälten, um die Plädoyers, die Urteilsverkündung – und natürlich um die Aussage von Beate Zschäpe, falls diese sich entschließt, ihr Schweigen zu beenden.

  • Hardy, zu den Verbrechen der NSU veröffentlichten wir diese Chronik:
    http://www.taz.de/1/archiv/archiv/?dig=2012/11/02/a0087

    Diese Chronologie beleuchtet die falschen Verdächtigungen in Medien und Polizei:
    http://www.taz.de/1/archiv/archiv/?dig=2011/11/19/a0200

    Ein Überblick in Form von Fragen und Antworten:
    http://www.taz.de/1/archiv/archiv/?dig=2011/11/21/a0049

    Informationen über Beate Zschäpe trugen wir hier zusammen:
    http://www.taz.de/1/archiv/archiv/?dig=2013/04/13/a0029

    Über das Leben im Untergrund der drei Terroristen schrieben wir diesen Artikel:
    http://www.taz.de/1/archiv/archiv/?dig=2012/04/07/a0171

    Mit Fadime Simsek, Nichte des ersten Terror-Opfers, führten wir dieses Interview:
    http://www.taz.de/1/archiv/archiv/?dig=2012/11/02/a0102

    Eine Reportage aus Zwickau, dem Rückzugsort der Terroristen:
    http://www.taz.de/1/archiv/archiv/?dig=2012/11/02/a0110

    Zu den Ermittlungspannen im Mordfall Michèle Kiesewetter schrieben wir:
    http://www.taz.de/1/archiv/archiv/?dig=2012/04/13/a0150

    Über das Bekennervideo schrieben wir:
    http://www.taz.de/1/archiv/archiv/?dig=2011/11/16/a0088

    Diese Artikel analysieren das Versagen der Sicherheitsbehörden:
    http://www.taz.de/1/archiv/archiv/?dig=2012/11/02/a0097
    http://www.taz.de/1/archiv/archiv/?dig=2012/11/02/a0094

    Wir schrieben, dass die Fahnder den Terroristen mehrmals auf den Fersen waren:
    http://www.taz.de/1/archiv/archiv/?dig=2011/11/17/a0129

    Über die Verbindungen des NSU zur NPD:
    http://www.taz.de/1/archiv/archiv/?dig=2011/11/18/a0085
    http://www.taz.de/1/archiv/archiv/?dig=2011/12/13/a0084

    Bei der Polizei grassiert nach wie vor Rassismus, analysiert Daniel Bax:
    http://www.taz.de/1/archiv/archiv/?dig=2012/11/02/a0084

    Zur Frage, wie die Terroristen ihre Opfer auswählten:
    http://www.taz.de/1/archiv/archiv/?dig=2011/12/02/a0090

    Einen Appell von Opferberatungsstellen dokumentieren wir hier: http://www.taz.de/1/archiv/archiv/?dig=2011/11/21/a0040

    Zur Verbindung des NSU zum Netzwerk Blood & Honour schrieben wir:
    http://www.taz.de/1/archiv/archiv/?dig=2012/01/27/a0069
    http://www.taz.de/1/archiv/archiv/?dig=2012/01/28/a0101
    http://www.taz.de/1/archiv/archiv/?dig=2012/04/07/a0167

    Zur Arbeit des Verfassungsschutzes:
    http://www.taz.de/1/archiv/archiv/?dig=2012/03/29/a0128
    http://www.taz.de/1/archiv/archiv/?dig=2012/05/16/a0120

    Zur Frage, wie der NSU seine Anschläge vorbereitete:
    http://www.taz.de/1/archiv/archiv/?dig=2012/04/07/a0172

    Zur Ermittlungsarbeit der Behörden:
    http://www.taz.de/1/archiv/archiv/?dig=2012/04/21/a0185
    http://www.taz.de/1/archiv/archiv/?dig=2012/04/25/a0034
    http://www.taz.de/1/archiv/archiv/?dig=2012/05/10/a0091
    http://www.taz.de/1/archiv/archiv/?dig=2012/07/03/a0080

    Welche Aspekte würden Sie noch gerne näher von uns beleuchtet sehen?

  • Ganz schön peinlich, wie sich Kommentaristen wie Markus und sein Twitter-Freund (wow, der hat ein Twitter-Konto, was für ein toller Hecht muss das sein ;-) aufspielen und wie kleine Kinder zum hundertsten Male mit Abo-Kündigungen drohen.

    Euch nimmt doch niemand ernst: Wer ernsthaft kündigen will, würde das einfach machen, statt ständig nur damit zu drohen.

    In der Realität zeigt sich übrigens, dass viele der klassischen „Abo-Kündigungs-Droher“ solche Typen sind, die noch nie ein Abo hatten und mit dieser Behauptung nur plumpe Stimmungsmache betreiben wollen.

    Kleier Tipp: Wenn ihr etwas sagen wollt, versucht es nächstes Mal ausnahmsweise mal mit Argumenten, statt mit kindischen Drohungen.

  • @Sebastian Heiser:

    Sorry, ich noch mal… – Der Kampf am Kiosk um die fettesten Schlagzeilen vom Prozess ist Teil des Geschäfts, aber die taz hat Übung darin, sich durch ironische Titel vom Rest des Blätterwaldes abzusetzen – ein steter Quell der Freude, wie der Dichter sagt. Die „Führersuche“ beim Spiegel ist ein gelungenes Beispiel – da saß auch keine taz-Reporterin in den Entscheidungsgremien des ehemaligen Nachrichtenmagazins.

    Von der taz erwarte ich eben nicht die noch fettere Bild-Schlagzeile, sondern eine Anregung meiner Synapsen: Assoziationen, Hintergründe, Erhellendes – im Prinzip also all das, wofür das ehemalige Nachrichtenmagazin mal gut war, nur eben linker, ironischer, mutiger (und bitte ohne die Augstein’schen Schecks an die FDP).

    Die Gerechtigkeitsfrage sehe ich ebenfalls entspannt: erstens ist eine Lotterie nie gerecht – das „Windhundrennen“ war’s auch nicht -, und zweitens kann ich das „großzügig bemessene Kontingent“ für die Öffentlich-Rechtlichen nicht als Nachteil sehen. Ganz im Gegenteil: die Vorstellung einer noch stärkeren Präsenz der „Privaten“ vom Club der Burdas, Bertelsmänner und Co. verursacht mir Brechreiz. Friede Springer und Liz Mohn sitzen doch eh immer auf der Tribüne, wenn unser „Hosenanzug“ im Bundestag mal wieder nichts zu sagen hat.

    Eine Videoübertragung löst das Problem auch nur begrenzt, es gäbe dann Berichterstatter erster und zweiter Klasse. Und: wäre der „zweite Raum“ groß genug für die über 900 Zukurzgekommenen? Mensch Heiser, das sind doch nur Petitessen – es geht um den Kampf gegen Rechts, nicht um Spitzfindigkeiten der Platzvergabe, die vom eigentlichen politischen Skandal ablenken.

    Das Thema soll ganz klar unter’m Deckel gehalten werden. Genau deshalb müsst ihr das Fass aufmachen und in der braunen Brühe stochern. Dazu braucht’s keinen Logenplatz, den hatten wir nie. Ganz im Ernst: hier sind die Qualitäten des Nazikenners Andreas Speit gefragt, nicht ein Engagement von Anwalt Eisenberg. Der ist eh damit beschäftigt, Jugendpfarrer König bei der speziellen Dresdner Justiz rauszuhauen – das ist allemal wichtiger als das Kaspertheater um ein Lotterielos.

    Nur am Rande: König hatte bereits frühzeitig vor der Jena-Truppe gewarnt. Also: berichtet von Beidem, stellt die Zusammenhänge her, klärt über die Verbindungen zwischen Staatsorganen und menschenfeindlichem Nazipack auf („Organspenden“ ist ein schöner Begriff für gewisse Geldflüsse), lasst mich weiter über bitterbös-ironische Titel lachen, und vor allem: macht mich klüger. Juristische Belehrungen der Kommentatoren helfen da nur sehr bedingt weiter.

  • Wenn ich mir anschaue, wie viele „Exoten“ von der Bayernlotterie bedacht wurden, wirkt die behauptete Bevorzugung der großen Medienkonzerne fragwürdig. Im Übrigen hätte auch die taz ihre Chancen durch die Bewerbung von „zeo2“, „Le Monde Diplomatique“, „Kontext“ sowie „freier“ Journalisten steigern können.

    Formal stimmt auch nicht, dass keine überregionale Tageszeitung dabei ist, denn Springers Bild gehört in diese Kategorie – leider. Im Übrigen kann diese gleich im doppelten Sinne den „nationalen Anspruch“ geltend machen – auch kein Umstand, der mich fröhlich stimmt.

    Den Punkt trifft Frau Pohl mit einem Nebensatz, in dem die Frage aufgeworfen wird, „wie durchdrungen deutsche Staatsdiener von braunem Gedankengut sind“. Überspitzt ausgedrückt steht zu befürchten, dass Verfassungsschutz und Teile der Polizei das braune Treiben „wohlwollend begleitet“ haben, ähnlich der Kollaboration der Reichswehr mit den Freikorps-Mörderbanden in den 20er Jahren. Oder sollte ich von „klammheimlicher Freude“ sprechen?

    Auch die „spezielle Dresdner Rechtspflege“ mit ihrer eigenartigen Interpretation von Grundrechten muss in diesem Zusammenhang genannt werden, wie überhaupt der Umstand, dass der bedeutende Prozess gegen die rechten Mordbrenner in einem handelsüblichen Münchner Gerichtssaal stattfindet, nicht auf ein überragendes Interesse staatlicher Stellen an der publikumswirksamen Stigmatisierung rechtsextremen Gedankenguts hindeutet.

    Dass der Staat auch anders kann, hat er im „Deutschen Herbst“ bewiesen, als sogenannte „Sympathisanten“ (also jeder, der auch nur ansatzweise linken Gedankengutes verdächtig war) massiv eingeschüchtert wurden, teils unter Missachtung des Grundgesetzes und mit Mitteln, die gelegentlich mehr an einen Bürgerkrieg erinnerten als an eine Strafverfolgung.

    In dieser Situation ist damals die taz gegründet worden, um eine Gegenöffentlichkeit zur konservativ-radikalen Stimmungsmache von Bild und Co. herzustellen. Auch heute sind die Mainstream-Medien frei von jedem Verdacht, womöglich auf dem linken Auge blind zu sein – beim ZDF halten sie sich sogar explizit das rechte Sehorgan mit ihren komischen zwei Fingern zu.

    Daher ist mir eine Berichterstattung in der taz wichtig, der Kampf gegen Rechts gehört zu ihrem Gründungsauftrag. Ich drücke euch beide Daumen, dass ihr eine Kooperation mit einem der Lottokönige hinbekommt. Von einer Klage würde ich aber absehen, sie bringt politisch wenig.

    Zum Einen ist die „Junge Welt“ vor Ort, die inhaltlichen Differenzen beim Kampf gegen Rechts sind marginal. Zusätzliche Informationen lassen sich über Kontakte zu den Nebenklägern und ihren Anwälten erlangen. Eine kritische Begleitung des Prozessalltags ist unter solchen Umständen nicht optimal, aber möglich.

    Zum Anderen ist beim Prozess vor dem „königlich bayrischen Amtsgericht“ wenig Erhellendes über die rechte Szene und ihre Unterstützer zu erwarten. Die Schlapphüte werden weiter mauern, die V-Leute sowie die meisten Angeklagten werden sich auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht berufen. Viele Akten sind ja bereits im Vorfeld von hilfreichen Händen geschreddert worden, zwei Haupttäter tot, die konspirative Unterkunft ist eingeäschert. Am Ende bleiben ein paar „Einzeltäter“ übrig – bestenfalls.

    Im „Deutschen Herbst“ wäre eine solche Serie von „Pannen“ natürlich nicht passiert – will sagen, der politische Skandal liegt ganz woanders: wie ungeniert sich Teile von Staat und bürgerlicher Öffentlichkeit angesichts des rechten Terrors bedeckt bis strafvereitelnd verhalten. Stattdessen wird die Fremdenfeindlichkeit noch geschürt, und über den Umweg der verquasten Extremismustheorie werden Linke und Antifaschisten gleich mit in Geiselhaft genommen.

    Ich halte die Situation für einigermaßen bedrohlich: viel Arbeit für die taz. Eine Klage gegen die bizarre Bayernlotterie lenkt dabei nur vom Wesentlichen ab. Nie wieder Faschismus!

  • und, weil ich eben eulen nach athen getragen habe: ich lese 20 mal so viele beiträge über die platzvergabe beim NSU prozess als beiträge über die verbrechen der NSU.

    selbstkritik der medien? nope.

    verletzte eitelkeit? hoch zwanzig.

    hört auf zu jammern und macht verdammt noch mal endlich eure arbeit.

  • Markus, Ines Pohl schreibt doch: Durch die Anwesenheit von Agenturen wie dpa und Medien wie der Süddeutschen und dem Spiegel ist die Pressefreiheit als solche gewahrt – und damit auch die Möglichkeit für die Öffentlichkeit, sich über das Prozessgeschehen zu informieren. Wer aus erster Hand wissen will, was bei den interessanten Prozesstagen passiert, der lässt dann die taz am Kiosk liegen und greift zu einem der anderen Medien. Unsere Konkurrenz hat dadurch einen Wettbewerbsvorteil. Uns geht es um die Frage, ob die Auswahl der bevorzugten Medien gerecht zustandegekommen ist. Medienkonzerne mit vielen Einzeltiteln konnten für jede Publikation eine Bewerbung einreichen, die taz konnte das nicht. Außerdem fällt auf, dass das Kontingent für die öffentlich-rechtlichen Medien vergleichsweise großzügig bemessen war. Für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gab es drei Plätze – bei nur drei Bewerbern. Für das öffentlich-rechtliche Fernsehen gab es weitere zwei Plätze – bei fünf Bewerbern.

    Die Frage ist aber auch, ob die Plätze wirklich begrenzt sein müssen. Derzeit gibt es eine Videoübertragung innerhalb des Raumes – weil man nicht von allen Plätzen aus gut sehen kann. Wenn man das Signal auch in einen zweiten Raum übertragen würde, ließe sich das Platzproblem lösen.

  • Wie schrieb @holgi vor einigen Tagen auf Twitter:

    Wenn die Tageszeitung, die ich im Abo habe, tatsächlich wegen der verlorenen NSU-Verlosung klagen sollte, kündige ich das Abo.

    Und ich meins auch, da könnt ihr sicher sein!
    Wie kommentierte Michael Watzke vom DLF sinngemäß: „…es sind 50 von uns da, da wird es wohl möglich sein, ausreichend zu informieren!“
    Recht hat er!

  • Gesaga: Das Gericht hat darauf hingewiesen, dass man auf dem Gerichtsgelände nicht Campieren darf. Anstehen ist erst ab 7 Uhr erlaubt.

    Übrigens gibt es bereits eine Videoübertragung des Prozesses. Aber nur innerhalb des Saales, weil es nicht von allen Plätzen aus gute Sicht gibt. Wo ist eigentlich das Problem, dieses Signal zusätzlich auch noch in einen zweiten Raum zu übertragen? Am Bundesverfassungsgericht übrigens ist das üblich: Dort können Journalisten im Presseraum verfolgen, was bei einer Verhandlung passiert.

  • Es ist doch nicht so, dass die nicht gelosten Medien vom Prozess ausgeschlossen sind. Sie können sich, genau wie das gemeine Publikum, anstellen, um einen der nicht vergebenen restslichen 50 Plätze zu bekommen. Einfach früh da sein …

  • SchwarzerRauch: Im deutschen Rechtssystem ist es nicht so, dass jedermann das Recht hätte, gegen alles zu klagen, was ihm in diesem Lande nicht gefällt. Nur diejenigen, die selbst negativ betroffen sind, dürfen klagen. Geregelt ist dies z.B. in § 42 Absatz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung.

    Vor dem Bundesverfassungsgericht hatten Angehörige eines NSU-Opfers geklagt, weil sie verlangten, dass die Verhandlung in einem größeren Saal stattfindet oder per Video in einen zweiten Saal übertragen wird. Das Bundesverfassungsgericht erklärte, die Klage sei aus formalen Gründen unzulässig: „Ein Beschwerdeführer muss eine Grundrechtsverletzung durch Bezeichnung des angeblich verletzten Rechts und des die Verletzung enthaltenden Vorgangs substantiiert und schlüssig vortragen. Dabei hat er darzulegen, inwieweit er sich durch die angegriffene Maßnahme in dem bezeichneten Grundrecht selbst, unmittelbar und gegenwärtig verletzt sieht. Diesen Anforderungen genügt die Begründung der Verfassungsbeschwerde nicht. Eine Verletzung in eigenen Grundrechten wird von den Beschwerdeführern nicht dargetan und ist auch nicht ersichtlich.“

    Ein Medium kann also nur dann klagen, wenn es vorher bei der Verlosung nicht gezogen wurde.

  • Aber erst mal schön die Auslosung abgewartet, ob man klagt, man hätte ja reinkommen können… und dann sowas: So ein Pech aber auch!

    Tja, erst dafür kämpfen, dass türkische Medien ihren Platz bekommen und dann beleidigt sein, dass man aufgrund dieser sehnlichen Wunscherfüllung nicht dabei ist.

    Die Doppelmoral der taz.

  • Sehr geehrte Frau Pohl,

    auch an dieser Stelle wieder Mal einen Dank. Natürlich ist die Pressefreiheit nicht gefährdet, dass war sie auch vor der Verlosung nicht, nur ungerecht verteilt.
    Ich hoffe, dass Sie mit der Klage nicht nur eine entsprechende Lösung für den NSU-Prozess erhalten sondern auch genügend Aufmerksamkeit für ähnlich gelagerte Fälle schaffen. Denn wie Sie richtig schreiben, geht es hier auch um die Frage, wie Deutschland mit seinem braunen Rest umgeht. Gerade heute, wo in Berlin wieder einmal eindringlich gezeigt wurde, wie Aufmärsche der Rechte geschützt werden, ist der Verweiß auf den noch immer laufenden Prozess um die 2010 am 1. Mai inhaftierten Antifas oder der erst im November des letzten Jahres beendeten Prozess um die Anti-Atom-Protestler angebracht. Für beide Prozessgruppen ist die Aufmerksamkeit auf wenige Einzelpersonen oder Themenmagazine begrenzt. Das bedeutet aber gleichzeitig, dass es weiterhin Fälle, die das gesamte Spektrum der Gesellschaft abdecken, geben wird, die unsere Aufmerksamkeit verdient haben.

    In diesem Sinen, viel Erfolg und Grüße aus England.
    L. K.

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