von May Naomi Blank
„Hier spricht die Revolution“- unter diesem Titel versammelte die taz gestern fünf BloggerInnen, Internet- AktivistInnen und JournalistInnen auf einem Podium. May Naomi Blank drehte den Spieß um und sprach mit der Revolution, genauer gesagt mit Mona Seif, Aktivistin aus Kairo. Für die taz berichtete die Ägypterin von der Rolle von Frauen in der Revolution.
taz: Es gab in den westlichen Medien Berichte darüber, das Frauen wesentlich zur Revolution in Ägypten beigetragen haben. Hast du das auch so erlebt?
Mona Seif: Ja, absolut. Vom Anfang der Bewegung an hatten Frauen eine Hauptrolle. In der Mobilisierung, als Aktivistinnen, auf der Straße. Die Aktiven für die ich die größte Bewunderung habe, sind Frauen. Sie sind immer da. Teil der Bewegung, Teil von allem.
Was hat sich für dich als Frau mit der Revolution verändert?
Was sich wirklich verändert hat für uns Frauen und Mädchen, die an der Revolution teilgenommen haben, ist, dass wir dieses Gefühl von Gleichheit und Gemeinschaft mit männlichen Protestierenden zurückgewonnen haben. Vor dem 25. Januar musste ich immer mit Protestanten kämpfen, die mich vor Konfrontation mit der Sicherheitspolizei beschützen und in die hinteren Reihen der Demonstrationen zurückdrängen wollten. Also kämpfte ich mit beiden, der staatlichen Sicherheitspolizei und den männlichen Protestanten.
Und auf dem Tahir- Platz war das anders…
Auf dem Tahir-Platz war die Situation so heftig, die Erfahrungen so einschneidend: Durch die ständige Bedrohung von jedem einzelnen auf dem Platz veränderten sich auch die Beziehungen zwischen Männern und Frauen. Unsere Gemeinsamkeiten wurden wichtiger als unsere Unterschiede in Geschlecht, Hautfarbe oder Religion. Auf dem Tahir behandelten die Männer mich nicht nur als gleichwertig, sie waren dankbar, dass ich da war. Das ging fast allen Frauen so. Wir haben eine ganz neue Form des Miteinanders gefunden.
Kannst du ein Beispiel geben, wie sich das Verhältnis zwischen Männern und Frauen im Laufe der Ereignisse verändert hat?
Als die Gewalt wirklich explodierte, am 28. Januar, mussten wir ein provisorisches Krankenhaus eröffnen. Hauptverantwortlich war dort eine Ärztin. Sie schmiss den Laden dort. Das Krankenhaus wurde von der Polizei angegriffen, es gab Attacken von Schlägern und mit Tränengas. Sie operierte trotzdem weiter. Frauen waren mit in der ersten Reihe, direkt in der Schusslinie, hinter den Kulissen, in der Organisation, überall.
In den westlichen Welt gelten muslimische Frauen, arabische Frauen als unterdrückt von ihren Männern. Was sagst du zu diesem Bild?
Das ist eine Übertreibung. Natürlich haben Frauen es bei uns nicht gerade leicht, aber das gilt genau so für alle möglichen anderen Gesellschaften, die für sich behaupten, niemanden zu diskriminieren. Auf der ganzen Welt werden Frauen unterdrückt, es ist einfach, das auf die Religion zu schieben. In meiner Familie gab es schon immer starke Frauen, überall um mich herum gibt es Frauen, die das widerlegen.
Die Ära Mubarak ist mittlerweile Geschichte. Wie steht es knapp zwei Monate nach Mubaraks Rücktritt um die Gleichheit zwischen Frau und Mann?
Die Mädchen sind viel selbstbewusster geworden. Früher konnten wir uns nicht sicher fühlen. Sexuelle Belästigungen waren für uns so normal wie der Straßenverkehr- es gehörte zu Kairo dazu. Jetzt konfrontiere ich die Männer viel entschlossener, wenn sie versuchen, mich anzumachen. Ich weiß, dass Leute mir helfen würden, wenn sie so was mitkriegen würden. Aber auch über diese individuelle Ebene hinaus hat sich etwas geändert. Gerade in der Arbeiterbewegung spielen Frauen eine immer größere Rolle, viele Kandidatinnen für die kommenden Parlamentswahlen sind Frauen.
Glaubst du, dass mit den Ereignissen auf dem Tahir- Square eine Veränderung kommen wird? Der Vorschlag für die neue Verfassung Ägyptens wurde trotzdem nur von Männern ausgearbeitet…
Ich glaube, dass die Zukunft eine Gleichstellung von Mann und Frau beinhalten kann. Ich sehe, dass die Leute entschlossen sind, alle vorherigen Formen von Diskriminierung zu überwinden, ob bezüglich Geschlecht, Religion oder was auch immer. Für alle strategisch wichtigen Positionen in der Regierung gibt es weibliche Vorschläge, auch traditionell männliche Posten, wie das Justizwesen. Als in der neuen Verfassung nur ein „Präsident“ und nicht auch eine „Präsidentin“ erwähnt wurde, führte das zu einer der größten Debatten, die wir in der letzten Zeit hatten. Mittlerweile hat eine Frau aus der Bewegung angekündigt, dass sie als Präsidentin kandidieren wird.
Hoffentlich werden tatsächlich Wege gefunden, die auf dem Tahir-Platz erlebten neuen Beziehungen zwischen Männern und Frauen über die Grenzen dieser Ausnahmesituation hinaus und in den Alltag hinein zu transportieren.