vonAline Lüllmann 12.01.2010

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taz vom 18. Februar 1987
taz vom 18. Februar 1987

Am Wochenende stand groß in der taz, wie die Stasi im Jahr 1987 eine AIDS-Lüge bei uns im Blatt platziert hatte. Das Virus sei angeblich nicht durch natürliche Mutationen entstanden, sondern in einem US-Labor gezielt gezüchtet worden. Die Nachricht erschien in der taz in Form eines Interviews des Schriftstellers Stefan Heym mit dem Ostberliner Biologen Jakob Segal (hier als PDF). Ich habe keine Ahnung von Gentechnik und kann nicht beurteilen, ob Segals detailliert beschriebene These zur Entstehnung des Virus einem Kenner sofort als technisch unmöglich hätte auffallen müssen. Bei der Lektüre des Interviews fiel mir aber etwas ganz anderes auf. Völlig absurd ist nämlich Segals These, wie das Virus aus dem Labor herausgekommen sein soll. Er sagt,

daß auch Viren und auf den Menschen wirkende Krankheitskeime an Menschen ausprobiert werden: an „Freiwilligen“, Strafgefangenen meist mit sehr langen, oft lebenslänglichen Haftzeiten. Ihnen verspricht man die Freiheit, wenn sie den Versuch überleben; und da finden sich denn auch immer welche.

Die mit HIV infizierten Gefangenen seien aber zunächst nicht erkrankt – bis AIDS ausbricht, dauert es ja eine längere Zeit. Die Schwerverbrecher seien also freigelassenen worden, wie versprochen. Dann habe es sie nach New York gezogen. Dort habe nicht nur die Anonymität gelockt, sondern auch

ein Milieu von Homosexuellen, mit der Verfügbarkeit von Drogen. Wer viele Jahre Gefängnis hinter sich hat, wird früher oder später homosexuelle Gewohnheiten annehmen. Es ist also durchaus verständlich, daß diese Homosexuellen, ob sie es von vornherein waren oder es im Gefängnis wurden, nun, nachdem sie aus dem Gefängnis entlassen wurden, (..) weiter im homosexuellen Milieu aufhielten. So ist zu erklären, daß nach etwa anderthalb Jahren, genauer, im ersten Halbjahr 1979, im Homosexuellen-Milieu von New York die ersten AIDS-Fälle auftraten.

Soso. Wenn ein Mann lange in Haft sitzt, dann schläft er also früher oder später mit anderen Männern? Und bleibt dann auch in Freiheit dabei?

Zehn Tage später bekannte die Redaktion übrigens, sie habe „starke Zweifel an der Haltbarkeit der Indizienkette“ gehabt, aber das Interview dennoch veröffentlicht, „um auch die interessierte Nicht-Fachöffentlichkeit an der Auseinandersetzung teilhaben zu lassen und Experten Anlaß zur Replik zu geben“. Diese Erwiderung kam in Form eines Interviews mit dem Leiter der Abteilung Virologie beim Robert-Koch-Institut. Der sagt über die Thesen von Segal: „Stellenweise ist es brillant formuliert, gut aufgebaut, nur ist es Blödsinn. Ein übles, scheinwissenschaftliches politisches Machwerk.“ Anschließend widerlegt er die Thesen recht ausführlich – zumindest die meisten: Zur Sache mit dem Schwulwerden durch Gefängnis sagt er nichts.

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