Von Samuela Nickel
Auf dem Dach des HKW füllen und leeren sich die Zelte des taz.labs in regelmäßigen Abständen. Im Zelt 3 ist die Lesung von Sabine Rennefanz zu hören.
Ihr Buch „Eisenkinder. Die stille Wut der Wendegeneration“ erschien im März im Luchterhand-Verlag und rief ein großes Medienecho hervor. Sabine Rennefanz, 1974 in Beeskow, Brandenburg geboren, war 16, als die Mauer fiel. Der Anlass, dieses Buch mehr als zwanzig Jahre später zu schreiben, waren die Morde der Zwickauer Terrorzelle und die mediale Verbindung der Neonazis mit Ost-Deutschland und ihrer Kindheit in der DDR.
Demnach handelt Rennefanz‘ Buch von der Wendegeneration und ihrer Frustration. Sie begibt sich zurück in die eigene Jugend, um die Horrortaten des NSU begreifen zu können. Sie schreibt, wie auch sie sich nach der Wende nach einer Heimat, nach Radikalität und nach „einfachen Wahrheiten“ sehnte.
Im Publikum ist auch ein ehemaliges Wendekind aus Thüringen: Sandra. Als die Mauer fiel, war sie neun. Sie studierte in Jena. Jena, wo auch Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe herkommen. „Man hört auch heute noch so viel über die Wendezeit und die DDR, auch mitunter sehr gegenteilige Meinungen“, sagt Sandra. Entweder werde die Vergangenheit stark verklärt dargestellt oder sehr traumatisch. „Aber gibt es nicht noch etwas dazwischen?“
Laut Sabine Rennefanz gibt es das. Im Gespräch mit Wolf Schmidt, taz-Redakeur für Rechtsradikalismus und Terrorismus, versucht sie mit den Klischees über die DDR aufzuräumen. Die Fragen, die sich Rennefanz nach dem Publikwerden der rechts-motivierten Taten stellten: „Waren wir eine verlorene Generation? Wie wurden aus Kindern der Wendezeit rechte Terroristen?“
Auf dieser Spurensuche nach den Ursachen versetzt sie sich zurück in ihre eigene Jugend. Zurück in die 90er Jahre, welche sie lange verdrängt hatte. Somit wird „Eisenkinder“ auch zu einer Verarbeitung ihrer eigenen Geschichte in dieser Zeit der Frustration und Enttäuschung der Wiedervereinigung, in die die Euphorie kurz nach dem Mauerfall umschlug.
Als alles zusammenbrach, sehnten sich vor allem Kinder und Jugendliche nach Halt. Rennefanz wurde christliche Fundamentalistin. Sie ersetzte mehr oder weniger eine Ideologie mit der anderen.
In ihrem Buch gliedert Rennefanz auch eigene Tagebucheinträge aus ihrer Jugend mit ein. Die Wut und „Grundaggression der Zeit“ spiegeln sich in ihren Gedanken aus dem September 1994 wider.
Bemerkenswert ist der Vergleich, den Rennefanz aufmacht: „Der Ostdeutsche wird wie der Türke zum Fremden gemacht. […] Die Westdeutschen schauen jeweils aus der Distanz zu. Sie müssen nicht über sich selbst nachdenken.“
Am Ende der Lesung die Frage aus dem Publikum, die alle beschäftigt: „Wir befinden uns hier ja auf dem taz.lab mit dem Motto ‚Erfindet!‘. Aber was kann man bei deutschem Rechtsradikalismus machen? Wie kriegt man die Leute aus dieser Szene raus?“
Sabine Rennefanz kann darauf nur Ideen liefern, kein Patentrezept. Man könne versuchen, neue Perspektiven zu geben und Leute in Kontakt zu bringen mit MigrantInnen – und sie damit aus ihrer Isolation zu befreien.
Letztendlich liegt es an jedem von uns, eine vereinigte Zukunft ohne rechtes Gedankengut zu erfinden.
Sabine Rennefanz reist in ihre Vergangenheit zurück und nimmt den Leser mit. Gerne habe ich sie nach Eisenhüttenstadt begleitet. Ich musste schmunzeln, vieles war mir einfach bekannt, vertraut und ich fand mich dort wieder, wo ich und meine Familie herkamen. Die Reise war gerade für mich sehr interessant und vermutlich wird sie für einen Deutschen aus dem Westen noch viel interessanter werden.