Um es gleich vorwegzunehmen: Sie haben es uns am Dienstag schwer gemacht, objektiv und distanziert zu bleiben, sprich also ordentliche Journalist*innen zu sein. Verlockend war es etwa für Kollege Z., kurz mal Trekker, niederdeutsch für Trecker, gleich vorm taz-Haus mitfahren zu können. Was also trug sich da zu, am Dienstag um 10.45 Uhr?
Wir kriegten Besuch: Im Rahmen der am selben Tag auf Berlin zentrierten Bauerndemos machte uns eine rund 20 mann-, frau-, kinder- trecker- und schubkarrenstarke Fraktion aus dem Braunschweiger Raum ihre Aufwartung. Man sei keine Organisation, stünde aber dem Netzwerk „Land schafft Verbindung“ nahe. Über jenes hatte am 26. November auf der Seite 3 taz-Agrarexperte Jost Maurin kritisch berichtet.
Maurin beschäftigt sich immer wieder abwägend und differenziert mit ökonomischen und ökologischen Problemlagen der Landwirtschaft. Die Braunschweiger sehen das allerdings anders und überreichten, dekoriert auf einer güldenen Schubkarre voller Pferdemist, ein mit „3 vor 12“ unterzeichnetes Schreiben, das Maurin für seinen Mitte November erschienenen Text „Mit Mist vor der Haustür“ scharf und polemisch kritisierte. Der Autor hatte darin über aktuelle Einschüchterungsversuche von Journalisten durch Bauern berichtet – und dafür einen gehörigen Shitstorm geerntet. Dabei sei es damals doch nur um eine weitere Verleihung der „Goldenen Mistkarre“ gegangen, sagen die durchaus freundlichen Besucher mit der Schubkarre.
So knorke wie das gestrige Kaffeetrinken und Treckerfahren vor der taz dürfte die allerdings nicht gewesen sein: Sie fand an einem Sonntagmorgen vor dem Privathaus eines Zeitungsredakteurs, nicht vor seiner Redaktion statt. Deshalb empfand seine Familie laut der betroffenen „Braunschweiger Zeitung“ die Aktion als bedrohlich und wie eine Belagerung. Selbst der Bauernverband verurteilte den Vorfall.
Wir haben uns aber gefreut, dass wir jetzt mit den Bauern sprechen konnten – als Jost Maurin den Artikel schrieb, hatten sie auf seine Bitte um Stellungnahme leider nicht geantwortet.
Von HARRIET WOLFF, taz-Redakteurin
Nun, als taz-Leser der allerersten Stunde und Nebenerwerbslandwirt, kann ich der Verleihung der Goldenen Mistkarre an Herrn Maurin durchaus etwas abgewinnen. Fachlich hätte ich sogar einige fachliche und journalistische Standards aufwertende Anregungen zu geben. In seinen Beiträgen zur Glyphosat-Debatte fehlt mir durchaus die Unterscheidung zwischen einer Risikoanalyse und einer Gefährdungsanalyse – letztere bestimmt den Gefährdungsbereich einer toxischen oder medizinischen Wirkstoffkonzentration, erst dann kann der Risikobereich oder Anwendungsbereich überhaupt erst bestimmt werden. Der Gefährdungsbereich ist mithin immer für Mensch und Tier gefährlich! Der Anwendungsbereich in der Landwirtschaft liegt bei 1-4 l/ha – in Amerika, Nord wie Süd bei 10 l/ha, Mehrfachausbringungen und Ausbringung mit dem Agrarflugzeug! Auch wissenschaftstheoretisch liegt bei Herrn Maurin einiges im Argen. Im wissenschaftlichen Entwicklungs-, Diskussions- und Bewertungsprozess ist es völlig normal, dass es unterschiedliche Auffassungen zu Forschungsverfahren und -ergebnissen gibt. Aber, es bildet sich in den Wissenschaftsgremien bis in die staatlichen Wissenschaftsinstitutionen hinein, eine plausibilitätsbasierte Mehrheitsmeinung heraus die dann Geltung erwarten kann. Natürlich: Alle Kritik besteht in Wiederlegungsversuchen (Sir Popper)! Die Vielfalt der Forschungsergebnisse in nahezu alle Wirkungsbereichen (Boden, Pflanzenbiologie, Luft, Wasser, Erbgut, etc.) kann man nachlesen! Was mir auch fehlte in dieser Diskussion war die Berichterstattung über die Anwender von Glyphosat in der Landwirtschaft: Wann, warum und mit welchen Ergebnissen wenden Landwirte dieses Mittel an und welche alternativen Pflanzenschutzmittel (drohen!) gibt es? Mit dem Kampfbegriff „Pestizid“ um sich zu werfen überzeugt doch nicht. Eine Landwirtschaft ohne Pflanzenschutzmittel ist fachlich, ökonomisch und ernährungswissenschaftlich nicht sinnvoll – auch die Biobetriebe verwenden – bis auf Demeter – Pflanzenschutzmittel.
Ein journalistisch aufzuarbeitendes Thema wäre sicherlich das Zulassungsverfahren von Pflanzenschutzmitteln. Benötigen wir die alle und wo finden wir wissenschaftliche Gefahrenanalysen – es gibt Gefahrenbeiblätter, aber über das Verfahren national, in der EU oder gar Import-/Exportregelungen erfährt man fast nichts ! Mehr Aufklärung und Recherche Herr Maurin!!
Was verstehen Sie eigentlich unter „Monokulturen“, „industrielle Landwirtschaft“ oder „Massentierhaltung“? Sollen wir uns als Klein- oder Mittelbetriebe vielleicht angesprochen fühlen oder sind damit eher die Nachfolge-LPGen in den neuen Bundesländern mit 10 000 ha, 30 000 Mastschweinen, 100 000 Legehühnern oder 2000 Rindern gemeint und das dahinter stehende Kapital der Banken, Versicherungsgesellschaften oder einzelnen Superreichen (Steinhoff z.B.) gemeint? Oder meinen Sie die der Landwirtschaft vor- und nachgelagerten Industien? Als weiteren dankbaren Themenbereich schlage ich Ihnen die Haltungsbedingungen von Nutztieren vor – gar keine Tierhaltung ist auch keine Alternative. Wieviel Platz, Licht, Wasser, Futter und Luft benötigt ein Tier wenn man es nach konsensualer Definition artgerecht halten will! Auch da wäre investigativer Journalismus sinnvoll. Hier Bio-Eier kaufen und essen und für die unterschiedlichsten Nahrungs- und Nahrungsergänzungsmittel werden dann die Eier aus den nach wie vor in Osteuropa vorhandenen Legebatterien verwendet nach dem Motto, das sieht ja keiner, das merkt ja keiner?
Herr Maurin, ich schlage Ihnen eine andere Kommunikationsform vor, so werden sie kaum einen professionellen Landwirt überzeugen können! Ich werde auch weiterhin Ihre Artikel lesen, mich meistens darüber ärgern, selten loben (wie Ihren Artikel über die verfehlte Bodenpolitik in einigen neuen Bundesländern!), – aber für den Artikel/Polemik über die Bauern als Pestizidjunkies hätten Sie eine Rüge vom Deutschen Presserat verdient gehabt!!