von 23.11.2012

taz Hausblog

Wie tickt die taz? Das Blog aus der und über die taz mit Einblicken, Kontroversen und aktuellen Entwicklungen.

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Von Dominic Johnson, Leiter der taz-Auslandsredaktion

Es gibt zwei Möglichkeiten, sich per Lektüre über das Weltgeschehen zu informieren. Man kann sich für eine dreistellige Eurosumme ein empfindliches, regelmäßig aufzuladendes elektronisches Gerät kaufen, sich damit in die Reichweite einer Internetverbindung begeben, die richtigen Programme und Applikationen herunterladen und öffnen und einzelne Artikel und Medienprodukte studieren, sofern die Lichtverhältnisse es zulassen, die Batterie nicht schon wieder den Geist aufgibt, alle Programme noch funktionieren, das Ladekabel nicht vergessen wurde, kein Vogel auf den Bildschirm scheißt und man nicht erst haufenweise Mails beantworten, Twitter und Facebook updaten und aufdringliche Werbung wegschalten muss.

Oder man besorgt sich eine Tageszeitung und liest.

Das Lesen einer gedruckten Tageszeitung ist nicht nur in technischer Hinsicht angenehmer. Die tägliche Qualitätszeitung, auf Papier gedruckt und jeden Tag frisch produziert, liefert Orientierung im Dschungel der Gegenwart. Sie trennt PR, Gelogenes und Selbstbeweihräucherndes von realen Tatsachen und Geschehnissen. Sie stellt Zusammenhänge her und hebt auch mal Dinge als wichtig hervor, von denen die Leser vorher möglicherweise gar nicht wussten, dass es sie überhaupt gibt.

Wer im Internet liest, wird entweder aufgrund der unstrukturierten Endlosigkeit des Netzes wahnsinnig – oder konzentriert sich auf Lieblingsthemen, die dann in einer bunten Mischung von Qualität und Quatsch auf den Bildschirm regnen. Wer in der gedruckten Tageszeitung liest, erweitert das Bewusstsein, begibt sich in die Realität in all ihrer Vielfalt und Unfertigkeit, nimmt teil am Denkhorizont anderer und spürt den täglichen Herzschlag der Welt.

Und es macht einfach Spaß. Probieren Sie es mal. Setzen Sie sich mit Ihrer Tageszeitung an einen belebten Ort. Beobachten Sie die Masse Ihrer vorbeihechelnden Zeitgenossen, die mit ihren Ohrstöpseln so gut wie taub gestellt sind, die mit ihren Händen auf viel zu kleinen Tastaturen herumstochern, die durch das permanente Starren auf kleine Bildschirme praktisch blind herumirren, verdrahtet und verkabelt wie freilaufende Versuchsäffchen, vor lauter technischer Übersättigung komplett von ihrer Umgebung abgeschottet und mit sämtlichen sensorischen Fähigkeiten auf Schlafmodus gestellt. Demgegenüber sind Sie frei wie ein Vogel. Sie lassen anhand des gedruckten Wortes auf geschmeidigem Papier, das Sie jederzeit konzentriert studieren oder verträumt betrachten, umblättern oder wegwerfen können, die Gedanken schweifen. Der billigste und einfachste Luxus, den es gibt.

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https://blogs.taz.de/hausblog/vorteile-der-gedruckten-zeitung-frei-wie-ein-vogel/

aktuell auf taz.de

kommentare

  • Armin Jarmusch: Der Artikel von Dominic Johnson erschien am 23. November in der gedruckten taz auf Seite 3. Ich habe mich dann entschieden, den Text zusätzlich auch hier im Hausblog zu veröffentlichen.

  • Hallo Herr Johnson.

    Ich bin überrascht, auf blogs.taz.de einen derartigen Beitrag zu lesen. Zum einen, weil ich ihn auf blogs.taz.de lese, und eben nicht in der gedruckten Ausgabe der taz, zum anderen, weil ich ihre Gegenüberstellung von Mobilgeräten und Zeitungen nicht nachvollziehen kann.

    Das eine ist eine Zeitung. Gibt’s schon was länger, hat sich bewährt, ja, richtig. Wissen wir. Man läuft auch gelegentlich vor Laternen, wenn man beim rumlaufen Zeitung liest. Wissen auch viele.

    Das andere ist ein Taschencomputer. Kann übrigens auch einige Dinge, die so eine Zeitung nicht kann (ja, wirklich).
    Ich weiß nicht für welches Modell Sie sich entschieden haben, aber es gibt mittlerweile sogar welche, die einen ganzen Tag lang halten, ohne sie zwischendurch wieder aufladen zu müssen.

    Dass sie sich im Internetdschungel einer Reizüberflutung ausgesetzt fühlen, rechtfertigt die Art und Weise Ihrer Kritik gegenüber der elektronischen Version, mit der ich zudem noch mailen, Musik hören, chatten, navigieren und – man glaubt es kaum – telefonieren kann, irgendwie nicht.

    Mir hat morgens in der Bahn beim Onlinezeitung lesen jedenfalls noch kein Vogel auf mein Smartphone geschissen. Und meine bisherigen Versuche, die papierne Version der Tageszeitung in meiner Jeanshosentasche zu verstauen schlugen bislang auch immer fehl – vielleicht verraten Sie mir den Trick ja mal.

    Ach übrigens. Die meisten Smartphones haben mittlerweile sogar hintergrundbeleuchtete Displays. Damit sind auch die Lichtverhältnisse kaum mehr ein Problem.

    Ich jedenfalls kaufe mir trotzdem noch manchmal die taz am Zeitschriftenladen und lasse mein Smartphone in der Hosentasche. Ihren durchaus rückwärtsgewandten Beitrag kann ich nicht nachvollziehen und empfinde beim Lesen beinahe einen Hauch von fremdschämen.

    Mit verwunderten Grüßen,

    – Armin Jarmusch

  • Hallo, der Artikel ist sehr eng aus der Sicht des Schreibers formuliert, der sich offenbar nicht vorstellen kann, dass die Leute, die er angeblich beobachtet, von sich und dem was sie tun, eine völlig andere Vorstellung haben. Bei mir ist es so, dass ich die Zeitung abonniert habe, sie aber trotzdem morgens nicht lesen kann, weil sie zu spät zugestellt wird (ein ewiges Ärgernis). Trotzdem lese ich sie dann abends, wenn die Neuigikeiten bereits durch die Nachrichten im Radio ihre Orginalität verloren haben.
    Viele Grüße, Günter

  • Niemand MUSS etwas auf einem Pad tun. Weder E-Mails lesen noch twittern noch Facebook nutzen – oder eine Zeitung lesen. Das tun die Leute freiwillig. Komisch, nicht wahr?

    Nicht die Zeitung liefert Orientierung, das tut die Redaktion, das tun die Journalisten. Das ist nicht vom Medium abhängig.

    Und ich habe mich noch nie mit dem Format von Tageszeitungen anfreunden können. Ich habe es nie verstanden. Warum muss eine Tageszeitung Plakatformat haben, damit ich sie lesen kann? Zeitschriften kommen in ungefähr A4 (nicht aufgeklappt natürlich) super klar, wieso kann das eine Tageszeitung nicht auch?
    Eine Tageszeitung bildet am Frühstückstisch eine Mauer, in Bus und Bahn blockiert man mehrere Sitze und draußen bietet die Zeitung soviel Angriffsfläche für den Wind, dass man sie auch als Drachen benutzen kann.
    Als die Welt Kompakt angekündigt wurde, fand ich das toll. Und was macht der Springer-Verein? Er bringt die Zeitung nur in ausgewählten „Metropolen“ heraus. Danke.
    Sämtliche regionalen Zeitungen hier verwenden natürlich auch ein überdimensioniertes Format. Da sind digitale Ausgaben unendlich praktischer, nur hat die dann ja auch nicht jede Zeitung.

  • Sehr geehrte TAZ,

    es gibt wohl einen dritten Weg: man benutzt einen Newsreader und bekommt ganz bequem nach Kategorien sortierte Meldungen aus allen Blogs, Nachrichtensendern, Zeitschriften rund um die Welt die einen wirklich interessieren.
    Dann überfliegt man morgens oder abends, wenn man sowieso seine E-Mails abruft kurz die Überschriften und liest genau die zwei oder drei Artikel, die wirklich interessant sind: ganz egal bei welcher Quelle. Mit Kommentaren. Einfach so.

    Was soll ein normaler Arbeitnehmer mit Bürotätigkeit mit der Tageszeitung?
    Der gemeine Otto steht morgens auf, setzt sich ins Auto und fährt zur Arbeit. Dort verbringt er 8-9 Stunden und fährt heim, wo ganz andere Probleme warten.
    Wann soll Otto Zeit finden sich in Hausschlappen in den Ohrensessel zu setzen, um – genüsslich Großvaters Pfeifchen rauchend – in der gedruckten TAZ zu blättern? Oder schlägt man uns das stille Örtchen am Arbeitsplatz als literarisches Rückzugsgebiet vor?
    Das passt einfach nicht zur Lebensrealität.
    Zum Lesen komme ich zumindest eher am Wochenende: bevorzugt am Sonntag, wenn ich meine Mails abrufe.

    Dafür braucht es vor allem einen gut sortierten Gesamtüberblick. In der Regel bleibt Zeit für 5-10 Kurzmeldungen oder 2 bis 3 Hintergrundartikel, die meistens aus Zeitmangel eher überflogen werden.

    Nun kann man freilich zetern und lamentieren ob des mangelnden Konsums des schriftstellerischen Outputs, oder man reagiert auf die veränderte Lebenssituation der Leser. In der Regel indem man ihnen liefert, was sie brauchen und ansonsten die eigenen Kosten reduziert.
    Letzteres hören Redakteure oft ungern: es hat den Geruch von Arbeit. Eventuell sogar den Verlust der solchen, wenn unnötige Arbeitsschritte eingespart werden. Einfacher ist, man findet andere Schuldige: das Internet, oder die „Kostenlosmentalität“ der Leser.
    In Wahrheit natürlich keine „Mentalität“ sondern wirtschaftliche „Normalität“.

    Wenn es mit dem Geld eng wird, muss man sparen und gedruckte Nachrichten sind nicht lebensnotwendig. Der gemeine Otto kann auf Bett, Dach, Auto, E-Mail und Telefon nicht verzichten und auch die Abstinenz von Nahrung ist auf Dauer mit dem Leben nicht vereinbar. Tagesszeitungen hingegen kann man nicht essen, sondern sich maximal mit ihnen zudecken.

    Gelernt hat so mancher das an der Uni. Wer nicht Papa und Mama als Stütze hatte und mit 300 Euro abzüglich Miete pro Monat auskommen musste, gewöhnt sich an einen einfachen Lebensstil.

    Ist dann eine Frau im Haus und aus „meinem Einkommen“ wird „unser Geld“ kommen die alten Zeiten schnell zurück. Das ist auch in Ordnung: man muss eben lediglich andernorts sparen. Und, liebe TAZ, genau an dieser Stelle kommt ihr ins Spiel.

    Wir sind eben nicht die deutsche Regierung. Wir brauchen einen ausgeglichenen Haushalt. Und zwar schon dieses Jahr – nicht erst 2015.

    Also: WENN ihr Werbung machen wollt, DANN hätte ich Textvorschläge: „Liebe Damen, wozu nur eine Halbtagsstelle? Vollzeit arbeiten liegt im Trend! Warum einen Urlaub in der Karibik? Siehe, die Ostsee ist so nah! Wozu einen goldenen Ehering? Silber tut’s doch auch! Wozu die neue Frühjahrsmode? Die Kleider vom letzten Jahr sind noch gut – lassen Sie die Kollegen tratschen! Warum regelmäßig Verwandte besuchen? Einmal pro Jahr ist völlig ausreichend! Wünschen Sie sich stattdessen ein TAZ-Abo zu Weihnachten.“

    Wenn ihr DAMIT durchkommt, dann abonniere ich Euch. Ernsthaft.
    Was nicht bedeutet, dass nicht so mancher Otto diese Rosskur bereits hinter sich hat und sich eine Tageszeitung trotzdem nur bedingt leisten kann. Es gibt gestandene Ingenieure, die Vollzeit arbeiten und dennoch gar zu oft den Restmonat im Limbo des Dispo verbringen.

    Ich hole derweil das Anti-Rostspray und die Lackfarben, denn leider ist bei den Budgetverhandlungen des Haushaltsausschusses herausgekommen, dass das Auto trotz 15-jähriger Dienstzeit noch ein Jahr länger durchhalten muss.
    Ich wünsche derweil schon mal viel Glück im nächsten Jahr. Die Haushalsverhandlungen für 2014 beginnen im November und an den Hoheitsverhältnissen wird sich nichts ändern. Bis dahin habt ihr aber sicher eine Strategie. Richtig?

    Hochachtungsvoll,
    Ihr Otto Normalverbraucher.

  • “ man nicht erst haufenweise Mails beantworten, Twitter und Facebook updaten und aufdringliche Werbung wegschalten muss.

    Oder man besorgt sich eine Tageszeitung und liest.“

    Vielleicht haben die hier natürlich anzutreffenden „Papier ist Mist, Elektronik ist geil“ Verfechter den Artikel so gelesen, wie heutzutage viel zu oft gelesen wird: Flüchtig, gehetzt, Augensuche nach Stichwörtern und dann ab dafür. Schade eigentlich.
    (Wohl ahnend, dass ich mir für diese Einstellung wahrscheinlich die ganze Bandbreite von mitleidigem Spott bis beissender Unter-der-Gürtellinie Ironie einfange.)

  • Lieber Dominic Johnson,

    ich bin froh, dass in Ihren Beiträgen der vergangenen Jahren nicht eine derartige Schwarz-weiß-Malerei zu Tage trat, wie in diesem Artikel. Für einen Moment habe ich gedacht, die Kollegen der Wahrheits-Seite hätten Ihren Autoren-Account gehackt.
    Übrigens bin ich (als Nicht-Abonnent der TAZ) froh, dass es unzählige andere User/Blogger im Netz gab und gibt, die helfen, die journalistischen Perlen in der „unstrukturierten Endlosigkeit des Netzes“ zu finden. Die von mir abonnierten Blogs, Tweets und Postings „in all ihrer Vielfalt und Unfertigkeit“ erweitern mein Bewusstsein, und helfen mir „am Denkhorizont anderer“ teilzunehmen. Durch sie spüre ich „den täglichen Herzschlag der Welt.“

    Übrigens macht mir das Lesen im Internet mit einem elektronischen Gerät (zur Zeit im Urlaub) besonders viel Spaß:

    Der nächste Zeitungskiosk, an dem es die Print-Ausgabe der Taz zu kaufen gibt, ist vermutlich erst am Flughafen der Insel zu finden, und wenn ich Pech habe, gibt`s dort nur die Ausgabe von gestern mit den Nachrichten von vorgestern. Kein „geschmeidiges Papier“ wird mir beim Lesen vom scharfen Küstenwind aus der Hand gerissen und selbst wenn mir ein Vogel aufs Display scheißt, geht die Welt dank Wasser und Lappen nicht unter. Haben Sie schon mal versucht, eine klassische Zeitungsseite auf diese Art zu säubern?

    Weil es ein großer Verlust für den deutschen Journalismus wäre hoffe ich, dass Ihr Standpunkt in der TAZ-Redaktion nur eine Minderheitenmeinung wiederspiegelt. Ansonsten sehe ich schwarz für die Zukunft der TAZ in der digitalen Welt.

  • Ich würde gerne jeden Tag eine frische Tageszeitung lesen, die Erfahrung hat mir leider gezeigt, dass ich dazu meisten keine Zeit habe oder aus anderen dummen Gründen nicht dazu komme. Das führte dazu, dass viele Ausgaben ungelesen in der Papiertonne gelandet sind. Aus diesem Grund hole ich mir meist nur die Wochenendausgabe in der gedruckten Version und unter der Woche nach Bedarf das e-Paper aus dem e-Kiosk: http://www.taz.de/zeitung/e-paper/e-kiosk/

  • Lieber Herr Johnson,

    Ihre Meinung teile ich an der Stelle, wo Sie schreiben, dass die Tageszeitung Orientierung bietet. Für relevante Inhalte sorgt die Redaktion jedoch unabhängig vom Medium.

    Die Aufgabe des Verlages sehe ich darin, die Tageszeitung auch auf elektronische Geräte wie bspw. Tablets zu portieren und zwar gerade so, dass das Lesen auch technisch zum Vergnügen wird. Das Aufladen der Batterie habe ich dann schon im Griff.

  • Es klingt ein wenig wie „Früher war alles besser“ … Ich frage mich nur, warum Sie Ihren Artikel nicht lieber nur auf Papier drucken. Das liest sich dann doch viel besser. Ich habe auch grade die Befürchtung, dass ein Vogel kommt und mir wegen Ihres Artikels aufs ipad scheisst.

    Naja, eines ist klar: der Artikel soll wohl eher provozieren als Argumente liefern.

  • Lieber Herr Johnson.

    Ihr Text ist mir nicht nur „runter gegangen wie Öl“, sondern ich habe auch eine Bitte (die Sie vielleicht rückfragen müssen): Ich würde gern Ihren Text (natürlich mit einem entsprechenden Quellenhinweis) als Statement Pro-Print in unserer „special interest“ Zeitung veröffentlichen dürfen.

    Wenn das generell ein Thema wäre, würde ich mich über einen direkten Kontakt per Mail freuen (die ist ja bei diesem comment hinterlegt). Nicht nur, weil ich damit vielleicht ein wenig „Werbung“ für die taz machen kann, sondern vor allem, weil mir das, was heute Thema auf der 1 bis auf der 3 war, schon seeeehr lange fehlt.

    Ich frage mich schon sehr lange, warum 3 großindustrielle „Komplexe“ wie die Papierindustrie, die Druckindustrie und die Verlage NICHTS machen, um dem manchmal zwanghaft manisch herbeigeschriebenen „Ende des Print“ etwas entgegen zu setzen.

    Vielen Dank auf jeden Fall schon mal für Ihren Text. Gut geschrieben und endlich mal nicht „Internet ist die einzige Zukunft der Medien“…
    Übrigens habe ich mir heute die Print-Ausgabe gekauft. Macht eh mehr Spaß als die taz.de (da gefällt mir eigentlich nur der tom des Tages richtig)

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