Der taz-Kongress ist jetzt gut zwei Wochen her, aber eine Sache geht mir nicht aus dem Kopf. Klaus Wowereit wollte im Gespräch mit taz-Chefredakteurin Bascha Mika nicht auf die Frage antworten, wann die taz ihn zuletzt geärgert habe. Wowereit sagte: „Ich hab einmal in einem Redaktionsbesuch bei einer Zeitung, ich sage jetzt nicht den Namen, tatsächlich das Thema ‚Blattkritik‘ so verstanden, dass ich meine Meinung sagen sollte. Und ich habe sie schon so moderat gesagt. Das Resultat war, dass das erste Jahr dieses Blatt nur noch Mist über mich geschrieben hat, das zweite Jahr mich totgeschrieben hat, heute sind wir wieder im Einklang. Und deshalb bin ich da schon immer ein bisschen vorsichtig. Journalisten sind nachtragend, Politiker auch, aber wir schreiben nicht jeden Tag in der Zeitung.“
Ich kann das Verhalten der Journalisten, über die Wowereit spricht, nicht nachvollziehen. Ich bin in der Berlin-Redaktion der taz zusammen mit einem Kollegen für die Landespolitik zuständig und dabei passieren mir auch ständig Fehler. Ich vergeude zum Beispiel dauernd unnötige Zeit, weil ich auf kompliziertem Wege versuche, an eine Information zu kommen, und hinterher stellt sich heraus: Das hätte ich auch viel leichter haben können. Ich lasse Themen links liegen und später stellt sich heraus: Das ist von besonderer Relevanz, da hätte ich mich besser mal drum gekümmert. Sehr häufig passiert es auch, dass ich den Eindruck habe, dass ich bei einem Thema nur so an der Oberfläche herumkratze, ohne wirklich tief an die Hintergründe heranzukommen.
Ein Beispiel: Der Senat hat einen Gesetzentwurf für einen besseren Schutz von Kindern ins Parlament eingebracht. Künftig soll zentral erfasst werden, ob alle Eltern ihre Kinder zur Vorsorgeuntersuchung bringen. Wer schwänzt, soll Hausbesuch vom Gesundheitsamt bekommen. Wenn das Kind verwahrlost ist oder misshandelt wird, soll das Jugendamt eingreifen. Ich war also zu der Anhörung von Experten im Ausschuss und erhielt auch die Stellungnahmen von Senat und den Abgeordneten der Fraktionen zu dem Gesetzentwurf. Heute ist mein Text in der taz erschienen. Formal gesehen ist in dem Text kein Fehler: Die Fakten sind nach bestem Wissen und Gewissen recherchiert und die in dem Text stehenden Zitate sind alle genau so gefallen. Aber hätte ich noch ein paar Tage weiterrecherchieren sollen, um noch mehr Informationen zu sammeln? Andererseits: Wie viele andere Themen hätte ich dann nicht bearbeiten können? Und noch eine Frage: Wie gut kennen die vermeintlichen Experten sich eigentlich wirklich mit dem Thema aus? Wenn ich die Stellungnahmen von fünf vermeintlichen Experten zusammentelefoniere und aufschreibe: Schafft der Artikel dann eigentlich wirklich Aufklärung über die reale Realität da draußen? Oder sagt er nur etwas darüber aus, mit welchen Stellungnahmen fünf vermeintliche Experten gerne in der Zeitung zitiert werden möchten? Und habe ich eigentlich unter den Informationen, die ich eingesammelt habe, für den Artikel auch wirklich die relevantesten aufgeschrieben? Habe ich sie richtig gewichtet? Wären nicht andere Aspekte doch viel wichtiger?
Ich bin mir unsicher. Und dieses Gefühl des Zweifels habe ich häufiger abends auf dem Weg von der taz nach Hause. Das ist sehr unbefriedigend.
Mich überrascht die Gleichgültigkeit, die ich bei manchen Gesprächspartnern in der Politik feststelle. Ich habe den Eindruck: Manchen ist völlig egal, was in der Zeitung steht. Sie haben den Anspruch, dass dort zutreffend über sie informiert wird, längst aufgegeben. Wowereit sagte auf dem taz-Kongress: „Ich ärgere mich über Journalismus eigentlich nicht mehr. Nur ärgern tue ich mich bei denjenigen, die ich mag. Und da bin ich kritischer. Ich sag mal, wenn die B.Z. Gülle über mich ausschüttet, dann ist das normal. Und wenn Springer eine Kampagne macht jetzt zu ‚Pro Reli‘ oder was weiß ich alles, dann weiß man das, damit kann man leben, das ärgert mich auch nicht mehr. Wenn die taz etwas schreibt, was nicht stimmt, dann ärgert es mich schon.“
Ich würde mir wünschen, dass nicht nur Wowereit sich ärgert, wenn etwas falsch in der taz steht. Sondern dass auch andere sich ärgern, wenn ich einen Fehler mache. Und vor allem: Dass sie es mir mitteilen. Sonst habe ich ja nichts davon. Sonst besteht die Gefahr, dass beim nächsten Mal, wenn ich über das gleiche Thema schreibe, wieder eine relevante Information übersehe oder wieder der gleichen Fehlinformation aufsitze.
Ich bin noch nicht so lange bei der taz, vor gerade einmal einem Jahr fing ich an. Am Anfang bin ich bei vielen Themen sehr geschwommen, musste mir die Informationen mühsam zusammensuchen und habe bestimmt viel übersehen. Aber in dem gesamten Jahr hat weder Klaus Wowereit noch sein Sprecher Richard Meng noch ein Sprecher einer anderen Senatsverwaltung jemals bei mir angerufen und mir gesagt, dass ich in einem Artikel etwas falsch aufgeschrieben oder eine wichtige Information übersehen habe. Das finde ich schade. Denn das wäre eine gute Chance für mich, wieder etwas dazuzulernen und bessere Texte zu schreiben.
Zur Klarstellung: Ich will damit keine Verantwortung abwälzen. Für meine Fehler bin ich ganz allein verantwortlich. Aber ein Hinweis würde mich freuen. Schließlich bin ich ja nicht zimperlich, wenn es darum geht, über die Fehler anderer Leute zu schreiben. Und ich fände es toll, wenn andere auch so offen mit meinen Fehlern umgehen.
Das ist eine Macht-Frage. Bewirkt Ihre Berichterstattung Veränderungen – wie wenn ein AngestellteR wegen etwas von Ihnen Aufgedecktem um seine Arbeit bangen muss – wird Ihnen der Wind zunehmend stärker gegen die Art und Weise Ihrer Veröffentlichungen pusten. Dann wird mit scharfer Kritik geschossen.