Hier auf der taz-Akademie sprach soeben Gerd Rosenkranz über „Die Ethik des kritischen Journalismus“. Rosenkranz begann seine Karriere bei der taz Anfang der Achtzigerjahre als Praktikant. Später kam er zum Spiegel und hörte dort auf, weil Spiegel-Chef Stefan Aust einen Artikel von ihm und Mit-Redakteur Harald Schumann über die Energieversorgung im Allgemeinen und die Windkraft im Besonderen nicht veröffentlichen wollte, weil Aust der Text inhaltlich nicht passte. Jetzt arbeitet Rosenkranz bei der Deutschen Umwelthilfe.
Vor den 20 Teilnehmerinnen und Teilnehmern der taz-Akademie sagte Rosenkranz, dass es zu der Zeit, als er bei der taz anfing, „eine zweigeteilte Welt“ gab – auch im Journalismus. Es gab den etablierten Journalismus mit seinen Idealen: Unabhängigkeit, Überparteilichkeit, alle Fakten sollten nachprüfbar sein, alle relevanten Positionen sollen dargestellt werden. Auf der anderen Seite gab es das sozialistische Konzept des Journalismus, im dem der Presse eine kollektive Rolle zugewiesen wurde als Propagandist und Agitator.
Für das erste Modell stand etwa ein Spruch von Hanns Joachim Friedrichs: „Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache“. Für Rosenkranz ist das „journalistisches Eunuchentum. Das das nicht meine Konzeption von Journalismus“. Es sei eine „Illusion, dass ein Journalist nur der Transmissionsriemen von Fakten ist“. Er zitierte aus einem Papier aus den Anfangstagen der taz: „Wahrheiten sind nicht pur zu haben. Es gibt sie nur im Gemisch mit Meinungen, Hoffnungen, Wünschen, Hass und Liebe.“
Die taz hatte sich anfangs für Betroffenenberichterstattung entschieden. Einzelne Gruppen, die in einzelnen Städten aktiv sind, sollten ihre Sicht der Dinge in die taz bringen. Rosenkranz: „Die Texte waren handwerklich furchtbar schlecht und selbst die lesbaren Texte waren furchtbar langweilig, weil überhaupt nichts unerwartetes drin stand.“
Das größte Problem dabei sieht Rosenkranz darin, dass die taz „aus ihrer Rolle als Berichterstatter herausgeschlüpft ist. Sie war im leninschen Sinne der Organisator der Bewegung.“ Da gab es etwa seitenweise Service-Informationen über Demonstrationen, etwa bei den Protesten gegen das Atomkraftwerk Brokdorf. „Die taz war Teil dieses Prozesses und ist über die normale Rolle des Journalismus weit herausgegangen.“ Das habe der Bewegung geholfen und wohl auch der taz das Überleben gesichert (durch Abos von Mitgliedern der Bewegung). Doch mit der Rolle des Journalisten als Berichterstatter passte das nicht gut zusammen. Doch bis man das erkannte, war es ein längerer und auch schmerzhafter Lernprozess gewesen – für die Bewegung und für die taz.
Dabei bleibt die taz aber nach wie vor erkennbar und ungewöhnlich, etwa mit ihren Titelbildern. Rosenkranz: „Klinsmann am Kreuz ist ein Grenzfall. Ich finde aber, die taz darf das. Klinsmann hätte auch mehr Humor zeigen sollen, anstatt mit einer Klage zu drohen. Aber es kann schon sein, dass das bei dem christlichen Teil der Bevölkerung für Empörung sorgt.“
Heute ist die bipolare Welt vorbei, auch im Journalismus. Früher gab es auf der einen Seite Springer, Bauer, FAZ, und auf der anderen Seite etwa die Süddeutsche, der Spiegel, die Frankfurter Rundschau. Die haben sich gegenseitig belauert und beobachtet, auch über die Fehler der anderen Seite geschrieben. Das hat dafür gesorgt, dass man besser aufgepasst hat – heute fehlt das.
Was rät er dem Nachwuchs? Eine eigene Haltung zu haben. Aber was ist eine Haltung? „Ich denke, ich wurde hier für diese Veranstaltung auch eingeladen, weil ich beim Spiegel ausgestiegen bin. Weil ich für mich einen Punkt definiert hatte, ab dem ich nicht mehr mitmache.“
Und jetzt gerade auf der taz-Akademie: Susanne Lang, Ex-taz-Redakteurin und jetzt beim Freitag, redet mit den Teilnehmern darüber, wie man ein Interview führt.
Und der erwähnte Harald Schumann hat sich derweil mit Hans-Ulrich Jörges über kritische Öffentlichkeit gestritten.