Arno Widmann, Mitgründer und später auch einmal Chefredakteur der taz, schrieb in der “Berliner Zeitung” einen ausführlichen und lesenswerten Nachruf auf den am Dienstag verstorbenen einstigen Chef der Linkspartei Lothar Bisky – und darin auch, wie die Offenheit und Entscheidungsfreude Lothar Biskys es ermöglichte, dass die taz kurz nach der Wende 1989 zur ersten “deutschdeutschen Tageszeitung” wurde:
Als ich ihn kennenlernte, es war wohl Ende 1989, waren wir in weniger als einer halben Stunde einig geworden. Die taz wurde die erste deutschdeutsche Tageszeitung. Die Osttaz wurde gedruckt auf einer Maschine des Neuen Deutschland, auf Papier des Neuen Deutschland. Die Ostredaktion kroch unter in die gerade leer geräumten Räumen des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Die Auflage, deren Höhe ich vergessen habe, wurde DDR-Gesetzen folgend, von der Post in Gänze aufgekauft, an die Kioske verteilt. Biskys einzige Bedingung war, dass die taz eine vernünftige Anzahl DDR-Bürger anstellen müsse. „Unsere Leute“, habe ich noch im Ohr.
Ende Februar erschien dann die erste Ost-Taz. Bisky war schnell, wusste Bescheid und hatte sich ein klares Ziel gesetzt. Ich weiß nicht, ob er einige von uns kannte und darum so schnell handelseinig mit uns wurde. Jedenfalls telefonierte er aus seinem Büro, in dem kurz zuvor noch Egon Krenz gesessen hatte, mit den Leuten vom Neuen Forum, die in dem Haus arbeiteten, in dem kurz zuvor Schalck-Golodkowski den führenden Vertretern der DDR und ihren Damen gezeigt hatte, was ins Ausland gehen sollte. Für den Fall, dass der oder die eine vielleicht doch diese oder jene Diamantbrosche im Lande, am eigenen Jackett behalten mochte.
Wir warfen noch einen Blick auf die leeren Vitrinen. Heute ist in dem Gebäude die Nummer 1 der Hauptstadtrestaurants, das Borchardt, untergebracht. Die taz hätte lieber dort, in der Nähe des Neuen Forum gearbeitet, aber dann entschieden wir uns doch für die anrüchigere und billigere Variante.
Wir gingen damals aus dem Gespräch mit Bisky hinaus, sahen uns an und meinten: Wenn die DDR auch nur einen Bruchteil so offen, entscheidungsfreudig und effizient gewesen wäre wie dieser Bisky, sie hätte deutlich besser dagestanden im Wettbewerb der Systeme.