Von Gereon Asmuth
Nach längerer Zeit hatte ich mal wieder die Gelegenheit, den taz-Titel zu machen. Erstmals den der wochentaz.
Nur was schreibt man nach so einer Woche? Welches Foto könnte der Lage in Israel nach dem Angriff der Hamas gerecht werden? Welche Schlagzeile dem Leiden in Nahost?
Ich habe lange überlegt. Einiges gebastelt.
Arbeitstitel: „Zwei Staaten, keine Lösung“
Schon Mitte der Woche gab es die Idee, das Leiden der Menschen in Israel und im Gaza-Streifen auf den Titel zu bringen. Aber setzt man damit das eine mit dem anderen nicht gleich – wenn wir zwei Fotos nebeneinander stellen? Ist das angemessen? Und wenn wir die Bilder übereinander stellen? Ist das dann eine Hierarchisierung? Und wäre die angemessen?
Als Arbeitstitel hatte ich „Zwei Staaten, keine Lösung“ im Kopf. Um zum Ausdruck zu bringen, dass gerade niemand eine oder gar die Lösung parat hat. Um zu erinnern, dass es mal den Plan für eine Zwei-Staaten-Lösung gab. Aber auch diese Zeile stieß schnell auf Kritik. Weil es ja eben keine zwei Staaten gibt.
Jedes Wort in so einem Konflikt liegt auf der Goldwaage. Erst recht, wenn es auf dem Titel einer Zeitung steht, in deren Redaktion viel über die Lage in Nahost debattiert wird.
Andere Blätter, ähnliche Titel
Also habe ich alle Entwürfe verworfen. Das einzige, was in Absprache mit den Kolleg:innen der wochentaz schon klar war: Wir wollen angesichts der Lage einen großflächigen Titel machen wollen – ohne die Kolumne „5 Dinge, die wir diese Woche gelernt haben“, die sonst unten auf der Titelseite der wochentaz steht.
Für weitere Ideen habe ich erstmal auf die Texte gewartet, die in die wochentaz kommen sollten. Sie waren sehr anregend.
Da gab es zum Beispiel die Zeile „Das Ende der Sicherheit“, entliehen einem Text von unserer bisherigen Israel-Korrespondentin Judith Poppe, in dem sie erklärt, warum sie Hals über Kopf das Land mit ihrer Familie verlassen hat. Dummerweise hatte der „Freitag“ für seine neuste Ausgabe fast die gleiche Titelzeile gewählt.
Moment der Stille
Dann gab es den Satz „Der Augenblick, wenn die Nachrichtensprecherin aufhört zu reden …“. Es war der Einstiegssatz unseres aktuellen Israel-Berichterstatters Felix Wellisch. Ich hätte ihn gern mit jeder Menge Weißraum auf dem Titel platziert. Als Moment der Stille. Aber das stieß in der Konferenz nicht auf Zustimmung.
Und dann erwähnte die taz2-Kollegin Doris Akrap morgens in der Konferenz einen Text von Ivan Ivanji, in dem der 94-jährige Shoah-Überlebende, der sich nie religiös gesehen hat, beschreibt, warum er seit einer Woche nicht mehr zu den Palästinensern halten kann.
Warum er sich erstmals seit seiner Befreiung aus dem KZ vor 78 Jahren wieder als Jude fühlt.
Ohne den Text zu kennen, hatte ich das Gefühl, dass er gut auf der Titelseite stehen könnte – und bat die Layouterin Christiane Voß mal eine Version mit Blindtext anzulegen.
Vielschichtig, nachdenklich, persönlich
Und als die Übersetzung des Textes kam, zeigten sich die meisten beeindruckt. Weil er so vielschichtig, nachdenklich, persönlich, ratlos ist.
Also kein Foto auf dem Titel der wochentaz. Auch keine Schlagzeile. Stattdessen nur der Text von Ivan Ivanji. Ob das funktioniert? Die ersten Reaktionen sind ganz positiv. Auf jeden Fall sagt der Titel gleich: Es sind besondere Zeiten, die besondere Antworten erfordern.