Weit reicht der Blick von der Dachterrasse des Hauses der Akademie der Künste am Brandenburger Tor ins Land hinein, die Quadriga direkt vor Augen, dahinter die Kuppel des Reichstags, das Bundeskanzlerinamt, weiteres, Ferneres, versinkt im Nebeltrüb dieses Novemberabends. Was ist das für ein Land, in dem sich Menschen – Rechtsextremisten – zusammentun, Waffen horten, Vorräte anlegen, Leichensäcke auch, um sich für den Ernstfall vorzubereiten, wenn das Land in die Knie geht. Dass es darauf hinauslaufen könnte, davon sind diese Rechtsextremisten überzeugt, weil zu viele Flüchtlinge ins Land kamen, weil alles erodiere, weil – aus ihrer kruden Weltsicht – sehr vieles falsch läuft. Ein Land, in dem es auch Elitesoldaten der Bundeswehr sind und Polizisten, die dieses Land schützen und sichern sollen, die sich aber heimlich zusammentun, weil sie den Umsturz wollen.
Was ist das für ein Land, in dem im Jahr 2017 ff. Gesetze existieren, die kurios anmuten, in der konkreten Anwendung aber ein echter Skandal sind? Gesetze, die es Ärzt:innen bei Strafe verbieten, sachlich, nüchtern darauf hinzuweisen, dass sie Schwangerschaftsabbrüche vornehmen und wie, also operativ oder medikamentös. Ein Land, in dem es dann aber auch Menschen gibt, die dieses Gesetz nutzen, um ebenjene Ärzt:innen anzuzeigen.
Zwei Themen sind das nur, die dieses Land bewegen; Themen auch, die nur zutage kommen, weil es Journalist:innen gibt, die sich dieser Themen annehmen, die sich mit all ihren Techniken der Recherche, des Befragens, des Sortierens und Publizierens darum bemühen, aufzuspüren, aufzudecken, nachzuhaken, hinzugehen, aufzuschreiben, so dass, im besten Falle, Dinge in Bewegung geraten, Aufmerksamkeit erzeugt wird für Skandalöses, für Missstände, für Gefahren, in diesem Falle von rechts.
Dienst an der Warhheit
Die Journalist:innen, die so arbeiten, haben sich an diesem Abend in der Akademie der Künste versammelt, weil sie den langen Atem haben, sich immer wieder einzugraben in ihre Themen; sie lassen nicht locker, sie tun Dienst an der Wahrheit. Es ist der Abend, an dem der Journalistenpreis „Der lange Atem“ des DJV Berlin – Journalistenverband Berlin Brandenburg verliehen wird, bereits zum 13. Mal. Unter den Journalistenpreisen, die es zuhauf gibt, gilt er als ein sehr ernsthafter, weil hier nicht Smokingzwang herrscht und Chi-Chi betrieben wird, sondern weil es um das geht, was mitunter abschätzig als „Schwarzbrotarbeit“ bezeichnet wird, wenig glamourös, nicht leicht, mühsam manchmal, aber eben sehr nahrhaft und unerlässlich für eine funktionierende Demokratie.
Dass die taz an diesem Abend gleich mehrfach nominiert und dann auch noch zweifach ausgezeichnet wurde, ist eine wunderbare Bestätigung für das ganze Haus, aber vor allem für diejenigen, die an ihren Themen dran geblieben sind, die in der Kurzatmigkeit des Mediengeschäfts sich nicht haben aus der Ruhe bringen lassen, sondern sich beharrlich immer wieder befasst haben mit dem, was wichtig ist und aufgeschrieben gehört:
Mit dem 1. Preis wurde beim „Langen Atem 2019“ taz-Redakteurin Dinah Riese ausgezeichnet, die immer wieder und in insgesamt nunmehr 80 Beiträgen für die taz über den umstrittenen Paragrafen 219a StGB schrieb, der es Ärzt:innen verbietet, für Schwangerschaftsabbrüche zu werben. Riese, damals noch taz-Volontärin und inzwischen Redakteurin im Inlandsressort der Zeitung, machte den Fall der in Gießen tätigen Ärztin Kristina Hänel bundesweit bekannt. Auf ihrer Webseite hatte Hänel ungewollt Schwangere darüber informiert, dass und mit welchen Methoden sie Abtreibungen durchführt. Nach dem § 219a galt das bereits als Werbung, Hänel wurde im November 2017 zu einer Geldstrafe verurteilt. Rieses beharrlicher Berichterstattung über diesen Fall ist es zu danken, dass das Thema überhaupt in den Fokus geriet und schließlich auf politischer Ebene ernsthaft darüber diskutiert wurde. Grüne, Linke, FDP und SPD forderten die Abschaffung oder weitgehende Reform des Paragrafen – die Union dagegen wollte nichts ändern. Schließlich einigte sich die Große Koalition auf einen Kompromiss: Seither dürfen Ärzt:innen darüber informieren, dass sie Abbrüche vornehmen; welche Methoden sie anbieten, bleibt aber verboten.
„Dinah Rieses hartnäckige, aufklärende und engagierte Arbeit ist unverzichtbar“ – Laudatorin Ilka Brecht (ZDF)
In der Laudatio würdigte die ZDF-Journalistin Ilka Brecht die ausgzeichnete Kollegin Riese so: „ln Zeiten, in denen die Rechte von Frauen in vielen Ländern wieder in Frage gestellt werden, in denen immer weniger Ärzt:innen überhaupt wissen, wie man Schwangerschaftsabbrüche vornimmt, ist Dinah Rieses hartnäckige, aufklärende, engagierte Arbeit unverzichtbar“.
Ein Team aus fünf Journalist:innen der taz wurde mit einem 2. Preis beim „Langen Atem“ bedacht: Sebastian Erb, Martin Kaul, Alexander Nabert, Christina Schmidt und Daniel Schulz haben durch ihre teils sehr aufwändigen Recherchen ein rechtes Netzwerk in der Bundeswehr offengelegt: „Hannibals Schattenarmee“ ist ein gewaltbereites Netzwerk mit Verbindungen zum Kommando Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr und zum Verfassungsschutz. Die Recherchen der taz deuten auf ein bundesweites Netzwerk hin. Bekanntester Kopf des Uniter e.V. ist André S. alias „Hannibal“. Der damalige KSK-Soldat hat eine Vielzahl von Chatgruppen administriert, in denen sich sogenannte Prepper auf den „Tag X“ vorbereiteten.
Laudator Christoph Singelnstein, der Chefredakteur des Rundfunks Berlin-Brandenburg, lobte das taz-Team in der Laudatio so: „Die Journalisten decken auf wie sich Gleichgesinnte – Zivilisten und Staatsbedienstete – in zahllosen virtuellen Gruppen vernetzen. Wie sie Vorbereitungen treffen für Gewaltaktionen, wie sie in Planspielen über einen Staatsstreich philosophieren, wie sie Waffen und allerlei anderes gefährliches Material horten.“
Wertschätzung für mühselige Arbeit
Ebenfalls mit einem 2. Preis ausgezeichnet wurde der ZDF-Redakteur Hans Koberstein (Frontal21/ZDF), der fast im Alleingang den Dieselskandal der großen deutschen Automobilhersteller aufgedeckt hatte. Koberstein hatte dafür etwa auch eigene Abgastests angeleiert, um den Herstellern auf die Schliche zu kommen. Die Laudatio auf Koberstein hielt taz-Chefredakteur Georg Löwisch: „Seine Recherchen zeigen, dass Dieselgate kein Problem drüben in den USA ist, sondern ein deutscher Skandal, der nicht nur VW betrifft, sondern die ganze Branche. Und dann machte Hans Koberstein weiter: mit Akribie und Akkuratesse. ln der Autorepublik Deutschland die dunklen Seiten der Autokonzerne zu recherchieren, ist eine gewaltige Aufgabe.“
Ein erster und ein zweiter Preis beim „Langen Atem 2019“ für die taz – die Redaktion freut sich sehr über diese Wertschätzung der oft mühseligen Arbeit der Redakteur:innen und auch derer, die tatkräftig im Hintergrund wirkten als Justitiar, als Faktchecker, als Seitenproduzenten, im Layout und in der Fotoredaktion.
Einen besonders herzlichen Applaus gab es bei der Preisverleihung auch für all die, die für den „Langen Atem“ nominiert waren, aber nicht mit einem der drei Preise bedacht wurden: taz-Redakteurin Malene Gürgen für ihre Arbeiten über rechtsextreme Anschläge in Neukölln, rbb-Mitarbeiter Peter Huth für seine Recherchen über Rechtsradikalismus in der Uckermark, Lars-Marten Nagel (Welt/Handelsblatt), der über Anlagebetrug der PICAM-Gruppe recherchiert hat, Marta Orosz (Correctiv), die eine internationale Recherchegruppe zum Thema „Umsatzsteuerkarusselle“ angeführt hat, rbb-Redakteurin Gabi Probst, die marode Schießstände der Berliner Polizei aufgedeckt hat sowie Tim Röhn für seine Recherchen „an den Hotspots der Flüchtlingskrise“ für Welt/Welt am Sonntag.
FELIX ZIMMERMANN, Ressortleiter taz am Wochenende