vonHelmut Höge 01.06.2009

taz Blogs


Willkommen auf der Blogplattform der taz-Community!

Mehr über diesen Blog

Als die RAF abtauchte – d.h. in den Untergrund ging, fand sie für ihr Verschwinden als urbane Guerilla die dafür passenden Räume durch eine situationistische „Entwendung“ bzw. Brechtsche „Umfunktionierung“ dessen, was der Filmwissenschaftler Thomas Elsaesser dann mit Alexander Mitscherlich als „die Schandflecke sozialer Anomalie in den Vorstädten, die Anonymität der Wohnblocks“ nennt, „wo keiner mit den Nachbarn redet und wo Einkaufen, Dienstleistung und Konsumbeziehungen die Lebensqualität definieren.“ In solch einer tristen Plattenbau-Wohnung richtete die RAF dann auch ihr „Volksgefängnis“ ein. „Nicht einmal der Hausmeister konnte sich später daran erinnern, wer genau darin gewohnt hatte.“

Dieses Nicht-Erinnern-Können der Hausmeister als langgeübte Polizei- und Hausbesitzerspitzel sowie Blockwarte wurde dann geradezu zum Prüfstein für die gelungene oder mißlungene Mimikry der antiimperialistischen Terroristen an den imperialistisch-terroristischen sozialen Wohnungsbau – als ihr neues Umfeld zum Untertauchen („Man kann einen Menschen mit einer Wohnung erschlagen wie mit einer Axt,“ so Bertold Brecht).

Es waren gerade solche „Nicht-Orte, wie Autobahnabfahrten, Straßenbahnkreuzungen in Vororten, Industriebrachen und ausufernde Wohnsiedlungen, die der RAF Deckung boten.“ Dazu benutzten sie noch durchweg BMWs, die bald als „Baader-Meinhof-Wagen“ bekannt wurden. Während sie dergestalt in der Ununterscheidbarkeit verschwanden, tauchten sie gleichzeitig überall in der Bild-Zeitung, auf Fahndungsplakaten und Polizeifotos wieder auf.

Aus: Thomas Elsaesser „Terror und Trauma. Zur Gewalt des Vergangenen in der BRD“, Kulturverlag Kadmos, Berlin 2007

Erwähnt seien ferner:

Hari Kunzru: „Revolution“ (es geht darin um die Entwicklung einer Gruppe Londoner Hausbesetzer zu Terroristen), Blessing-Verlag, München 2009

Traute Hensch u.a.: „Terroristinnen – Bagdad 77“ (es geht darin um den Alltag der RAF-Frauen, die die Mehrheit in der Gruppe stellten), Edition Freitag, Berlin 2009

Sudhir Venkatesh: „Underground Economy. Was Gangs und Unternehmen gemeinsam haben“, Econ Verlag, Berlin 2009

Nicht nur, dass alle nasenlang irgendein Konfliktforscher ein kritisches Buch über die RAF veröffentlicht, neuerdings macht auch die Commerzbank, unsere marode Commerzbank, einen auf Großstadtguerilla – indem sie mit dem Spruch wirbt: „Mauern einreißen [sprengen?]/ Krisen meistern [schüren?]/ Das ist unser Alltag in Berlin!“

Als mich neulich die Redakteurin der taz-reiseseiten bat, ihr einen Artikel über meinen „Geheimtip“ zu schreiben, da dachte ich an einen wie oben erwähnten „Schandfleck sozialer Anomalie“, allerdings nicht in einer Vorstadt, sondern im Zentrum – aber auch dort spielte der gute alte Hausmeister (nicht der FMler) noch eine gewisse Rolle:

Da, wo früher das „Romanische Café“ war, steht heute das Europa-Center: Ein schmuckloses Hochhaus-Ensemble, das zusammen mit der „Gedächtniskirche“, wo sich die an Alzheimer Leidenden Linderung erhoffen, das Zentrum von Westberlin bildet. Normalerweise meidet man als legal operierender Linker solche Mehrzweck-Gebäude wie die Pest, aber einmal traf ich in der Künstlerpension „Nürnberger Eck“ auf eine Gruppe friesischer Touristen, die nur wegen des Europa-Centers jedes Jahr nach Berlin kommen, ebenso wie eine Gruppe von Mocambiquanern, die an der Moskauer Lomonossow-Universität studierte. Während diese Computer und andere Elektronik für ihre Professoren kauften und nur zwischendurch im Afrikaner-Treff „Kentucky Fried Chicken“ einkehrten, besuchten die Friesen das Europa-Center rein zum Vergnügen.

Meistens saßen sie im riesigen Irish-Pub und betranken sich. Zu meiner Überraschung verkehren dort auch sehr viele Iren. Zwei der Friesen hatten bereits ihre späteren (irischen) Ehefrauen in diesem Pub kennengelernt. Diese ließen sie aber nun zu Hause – „wegen der Kinder“. Mir machten sie eine Führung durchs Haus – bis hoch zu den „Berlin Windows“ im 20. Stock. Früher konnte man noch höher gehen – bis zum „größten sich drehenden Mercedesstern der Welt“, erklärten sie mir, „aber die Plattform wurde geschlossen, weil nach der Wende zu viele Ostler von dort nach unten sprangen: aus Enttäuschung über die Glitzermeile Kudamm, die sich von oben aus gesehen als armseliger Bluff erwies.“

Als wir unten an der französischen Wasseruhr und dem ebenfalls französischen Lotus-Brunnen standen, erzählte uns einer der EC-Hausmeister: „Hier war früher eine Kunsteisbahn. Sie wurde jedoch stillgelegt, nachdem sich zu viele türkische Teenager beim Schlittschuhlaufen verletzt hatten.“ Draußen vor der Tür konnte auch ich die Friesen endlich auf zwei Sehenswürdigkeiten aufmerksam machen. Das mach ich doch gerne:

Auf den Flackerobelisken an der einen Seite des Gebäudes, den der Düsseldorfer Lichtkünstler Heinz Mack entwarf – mit Hilfe von 20.000 Glühbirnen. Und dann auf die Mengenlehre-Uhr an der anderen Center-Seite, die der Weddinger Erfinder Dieter Binninger baute – mit Hilfe von 200 Glühbirnen. Weil diese wegen der Erschütterungen durch den Verkehr andauernd kaputt gingen, erfand Binninger eine Glühbirne, die 150.000 Stunden hielt. Daraus entstand erst eine kleine Birnenfabrik mit nur einem Arbeiter, Herr Weinstein, und dann nach der Wende der Plan, das riesige Ostberliner Glühlampenwerk Narva zu übernehmen – zusammen mit der Commerzbank. Kurz nachdem er den Kaufvertrag unterschrieben hatte, stürzte der Erfinder jedoch bei Helmstedt mit dem Flugzeug ab… Die Friesen waren beeindruckt von meinen intimen Kenntnissen, aber so genau wollten sie es eigentlich gar nicht wissen.

Der Betreiber dieser Kreuzberger Filmgalerie hat einen derartigen Faible für Poller, dass er früher Hausmeister gewesen sein muß. Nicht nur stellte er vor seinen Laden einen innenbeleuchteten rotweißen Pilon mit Edelstahlkappe auf, in die Tür pflanzte er auch noch zwei weitere rote Poller, die er mit einem bei allen Hausmeistern beliebten rotweißen Plastik-Warnband verband. Photo: Antonia Herrscher.

Nicht von einem Hausmeister, sondern von einer Malergruppe stammen die folgenden zwei Pilonen-Arrangements am Kreuzberger Oranienplatz, sie wurden deswegen hier nur aus ästhetischen Gründen mit in diesen blog gestellt:

Photos: Antonia Herrscher, die dabei von einem „Hütchenspiel“ sprach.

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/hausmeister_und_urbane_guerilla/

aktuell auf taz.de

kommentare