Ich kenne Alexander Kupfer seit vielen Jahren, und der Mann hat es nicht leicht. Niemand hat es leicht, dessen Interessen- und Forschungsschwerpunkt ausgerechnet bei Blindwühlen liegt. Ein Schicksal, das allerdings auch kaum jemand teilt. Selbst unter hartgesottenen Freunden von Kriech- und Glibbertieren löst Begeisterung für diese Tiergruppe ein Stirnrunzeln aus.
Blindwühlen sind Amphibien, also verwandt mit Fröschen, Kröten und Salamandern. Neben den Frosch- und den Schwanzlurchen bilden sie eine eigene, dritte Amphibienordnung, deren Vertreter vornehmlich in den Tropen leben. Die Biester sehen für Normalsterbliche aus wie zu groß geratene Regenwürmer. Die Tiere leben unterirdisch, dementsprechend haben sie es nicht so mit dem Gucken, und gut aussehen muss man da unten auch nicht.
Vielleicht lag es daran, dass Alexander Kupfer bei Treffen der Lurchfreunde immer den Vortrag am ersten Tag morgens um 9 Uhr halten musste, jedenfalls ist er schließlich ins Exil gegangen, und zwar an das renommierte Londoner Naturhistorische Museum. Dort ließ man ihn machen, was er am liebsten macht: mit dem Spaten losziehen und in brütender Schwüle ganze Berghänge umgraben, auf der Suche nach den lichtscheuen Lurchen.
In Kenia buddelte Kupfer nun Vertreter der etwa 30 cm lang werdenden Art Boulengerula taitanus aus und beobachtete seine eigenwilligen Studienobjekte anschließend eingehend. Zu Recht – denn was er und seine Kollegen entdeckten, war nichts anderes als eine bislang völlig unbekannte und ziemlich spektakuläre Art der Brutpflege. Das Weibchen von Boulengerula taitanus bewacht seine Eier und die daraus schlüpfenden Jungtiere nicht nur, es ernährt den Nachwuchs auch, was unter Amphibien generell schon mal eine ziemliche Rarität ist. Zu diesem Zweck bildet es seine Oberhaut um. In die oberen Hautzellen werden reichlich Fette und Eiweiße eingelagert, die die bis zu neun Jungen jetzt nur noch abraspeln müssen. Das erledigen sie mit eigens dafür ausgebildeten Hautraspelzähnen. In der ersten Zeit beträgt der Längenzuwachs der Jungen pro Woche 11 %, während die Mutter im selben Zeitraum 14 % an Gewicht verliert. Auf diese Weise wachsen die Jungen schnell aus der kritischen, weil besonders fressfeindgefährdeten Größe heraus. Der Blindwühlenkenner erkennt die hautstillende Mutter daher auf den ersten Blick an ihrer veränderten Haut ebenso wie am ausgemergelten Zustand.
Abgesehen von der an sich schon verblüffenden Entdeckung, ist die Sache auch evolutionsbiologisch spannend. Da es sowohl (ursprüngliche) eierlegende als auch (moderne) lebendgebärende Blindwühlen gibt, vermuten die Forscher nun, dass die Hautraspler der Art Boulengerula taitanus eine Übergangsform zwischen diesen beiden Reproduktionsstrategien darstellt, sozusagen einen „missing link“.
– Nature 440, 2006: 926-929, http://www.nature.com/nature/journal/v440/n7086/abs/nature04403.html