vonFlorian Siebeck 01.04.2011

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Kinder sollen wissen, woher das Essen auf dem Teller stammt. Da sind sich eigentlich alle einig. Nur die Frage, wie man dieses Wissen vermitteln sollte, lässt Raum zur freien Interpretation. In einem spannenden Tischgespräch fragen wir uns: Muss man beim Schlachten dabei sein? Florian Siebeck sagt: Unbedingt!

Die Hintergründe und das Kontra zur „Kaninchen-Schlachtung“ lesen Sie hier.

Lehrer machen sich die Hände blutig

Ein Problem der heutigen Elterngeneration ist, dass sie sämtliche Erziehungs- und Aufklärungsarbeit an die Lehrer abdrückt. (Disclaimer: Ich komme aus einer Lehrerfamilie.) Ein weitaus größeres Problem ergibt sich in Folge aus der Ablehnung jener Eltern gegenüber den Lehrmethoden besagter Lehrer. Das fängt klassisch beim Sexualkundeunterricht an; da gibt es Eltern, die ihre Kinder mit Kusshand zur Schule schicken, weil sie sich selbst die „Peinlichkeit“ der Aufklärung schenken können. Und es gibt Eltern, die beschweren sich auf dem Elternabend bei den Lehrern, dass man ja wahnsinnig sei, die Kinder so direkt mit Sexualität zu konfrontieren, ihnen das alles zu erklären und zu zeigen. Könne man die Kinder das nicht einfach selbst irgendwann … ohne jetzt darüber reden zu müssen … nicht, dass dann Fragen kommen?

Die Ablehnung mancher Eltern gegenüber dem Sexualkundeunterricht zeigt eine wunderbare Analogie zum jetzigen Fall: Wenn die Kinder keine Fragen stellen, woher das Fleisch auf dem Teller stammt, bedarf es auch keiner Erklärung. So einfach scheint es zu sein: Mit Essen spielt man nicht, über Essen redet man nicht. Gar nicht verwunderlich, dass derselbe Landwirt vor drei Jahren an einer anderen Schule Hühner geschlachtet hatte – und niemand sich aufregte. Weil Hühner eben Nutztiere und keine Haustiere sind, aber darüber haben wir ja schon gesprochen.

Als ein Freund von mir mit einer Nomadenfamilie durch die Mongolei zog, musste er dem Vater bei der Lammschlachtung zur Seite stehen. Das sei eine sehr intensive Erfahrung gewesen, erzählte er mir später. Denn im Gegensatz zu westlichen Gesellschaften, deren Konsumwelt von Überfluss und geplanter Obsoleszenz geprägt ist, wussten die Nomaden sämtliche Teile des Lamms zu verwerten, weil sie sich Verschwendung nicht leisten könnnen. Gerade anhand des „niedlichen“ Kaninchens zu zeigen, woher das Fleisch im Supermarkt stammt; ein Tier, zu dem die Kinder leicht eine emotionale Bindung aufbauen konnten — viel einprägsamer als das Schlachten eins Schweins oder Huhns. Immerhin wurden die Schüler drei Tage lang auf die Schlachtung vorbereitet — der Bauer ist schließlich ausgebildeter Sozialpädagoge. Kein Kind wurde gezwungen, der Schlachtung beizuwohnen, oder das Kaninchen am nächsten Tag gegrillt zu verspeisen.

Gerade Stadtkinder sollten in der Schule mehr Umweltbewusstsein vermittelt bekommen. Über die Herkunft von Wasser, Strom, oder eben Fleisch. Und wenn dafür vor ihren Augen ein Kaninchen getötet wird, so what? Was in manchen Fernsehprogrammen läuft, ist weitaus schlimmer.

Woher die Würstchen kommen, ist selten ein Thema bei Tisch.

Fotos: AnnieGreenSprings und milky.way

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