Trotz sehr renommiertem Autor chancenlos: Autor zu alt, falscher Verlag Der sich immerhin Deutsch nennende Buchpreis veröffentlicht keine Kandidatenliste und auch keine engere Auswahl, sondern – oho – eine Longlist und dann eine Shortlist und zum Schluss einen Preisträger. Das Ganze geht natürlich vollkommen unabhängig und ausschließlich im Dienste der Literatur vonstatten, keinerlei andere Einflüsse kommen zur Geltung. Dass Hertha Müller den Nobelpreis bekam, hatte keinerlei Einfluss auf das Urteil der Juroren, wie auch Melinda Nadj Abonji rein zufällig in jenem Jahr den Preis zugesprochen bekam, als ein rassistischer Ex-Senator aus Berlin (Thilo, bitte verklag mich!) gerade seine Millionenauflage verkaufte. Und obwohl das Ganze vollkommen unabhängig und ausschließlich nach literarischen Aspekten beurteilt wird, möchten wir hier ein paar begründete Prognosen wagen. Wer sich die Spannung noch bis zum Oktober erhalten will, möge nun nicht weiterlesen, ginge es um einen Krimi, würden wir hier schon mal den Mörder verraten. Wie die Jury haben wir noch keines der Bücher gelesen, aber das muss auch gar nicht sein.
Die Kandidatenliste wird vor allem von vier großen Verlagen bestückt: Hanser, Suhrkamp, Fischer sowie Kiepenheuer & Witsch, die dann auch in der engeren Auswahl entsprechend repräsentiert sind. Sie stellten 20 der 36 Bücher auf den engeren Auswahllisten (Shortlist) der vergangenen Jahre und 5 der 6 Preisträger. Große und auflagenstarke Literaturverlage wie Diogenes, Rowohlt, Aufbau, C.H. Beck, Ullstein, Eichborn, Berlin Verlag, Piper, dtv und Luchterhand spielen keine Rolle, sie gelten als degoutante Publikumsverlage, deren Programm man nur mit gerümpfter Nase ansehen kann. Sie haben in den letzten sechs Jahren vielleicht Millionen von Büchern verkauft, aber nur insgesamt 5 Nominierte (2 Rowohlt, 2 dtv, 1 Aufbau) in der engeren Auswahl und keinen Preisträger. Am stärksten vertreten ist Hanser mit bisher 7 Nominierungen und einem Preisträger, gefolgt von Suhrkamp mit 6 Nominierungen und 2 Preisträgern.
Nachdem mithilfe der Kandidatenliste verhindert wird, dass echte Außenseiter zugelassen sind, wird die engere Auswahl nach dem alten englischen Hochzeitsmotto: „Something old, something new / Something borrowed, something blue /And a silver sixpence in her shoe“ erstellt. Das heißt, es kommt ein alter Schriftsteller auf die Liste, ein junger Schriftsteller, einer von einem kleinen Verlag und dann noch ein paar echte Kandidaten. Das Durchschnittalter der engeren Auswahl ist daher 46,3 Jahre, das der Preisträger hingegen 41. Schließlich will man nicht Martin Walser (nominiert für „Angstblüte“), Hertha Müller („Atemschaukel“) oder Friederike Mayröcker („Und ich schüttelte einen Liebling“) noch einen Preis hinterherwerfen, sondern man möchte ja Preisträger „machen“. Keinesfalls darf das Buch zu kurz sein, von den zehn Kandidaten unter 300 Seiten konnte noch keiner den Preis erringen, aber bisher gelang es auch nur einem Buch („Der Turm“), das wesentlich länger als 400 Seiten war, den Preis zu gewinnen. Schauen wir uns die diesjährige Kandidatenliste an, ist die Welt absolut in Ordnung: Die vier üblichen Verdächtigen stellen 8 der 20 Kandidaten, allein Hanser ist mit drei Büchern vertreten. In die engere Auswahl werden also 2 Bücher von Hanser kommen, eines oder zwei von Suhrkamp, eines von einem der Verlage, die sowieso nichts bekommen und eines von einem kleinen Verlag, damit man sagen kann: „Wir tun auch was für die Kleinen.“ Something old wird diesmal wohl der Suhrkamp Verlag mit Sibylle Lewitscharoff stellen dürfen, die aber mit 57 und zahlreichen Preisen zu alt und schon zu geehrt ist für den Preis. Weiterhin werden es wohl Alex Capus und Navid Kermani von Hanser in die engere Auswahl schaffen, eine Ehre, die auch Angelika Klüssendorf ereilen wird. Dann kann man noch Thomas Melle und vielleicht Esther Kinsky draufsetzen, damit man ein paar Frauen auf der Liste hat, auch wenn in diesem Jahr Frauen ohnehin chancenlos sind. Von bisher 10 nominierten Schriftstellerinnen erhielten 4 den Preis, von den 26 männlichen Kollegen nur 2. Außerdem ist Hanser dieses Jahr dran. Mit dann 8 oder 9 Nominierungen von 42 ist das Haus vom Feuilleton-Papst Michael Krüger in diesem Jahr einfach an der Reihe, da möge sich niemand täuschen.
Navid Kermani hat mit 44 Jahren gerade noch das richtige Alter, sein Buch ist allerdings mit 1232 Seiten eher lang. Andererseits würde er damit einen neuen Seitenrekord aufstellen und der bisher Führende dieser Disziplin (Tellkamp) wurde auch Preisträger. Politisch ist Kermani auf der richtigen Seite (es war nicht schön, wie Saddam stürzte, aber der Zwerg reinigt halt die Kittel ), ein Orientalist, wie wir ihn uns wünschen. Mit ihm unterstützt die Jury gewissermaßen auch die Revolutionen in der arabischen Welt, könnte sich also ordentlich auf die Schulter klopfen, einen solchen Mann auf den Schild gehoben haben, zudem mit einem solchen Buch, das sonst wohl kaum jemand gelesen hätte. Andererseits besteht auch die Gefahr für den Preis, zum wiederholten Mal ein Buch auszuzeichnen, das kaum jemand lesen wird. Alex Capus hätte da mit 320 Seiten bessere Chancen, außerdem ist er recht renommiert, wie Kermani frisch zu Hanser gewechselt und hat im Gegensatz zu letzterem erst ein paar kleinere Preise, so dass seine Auszeichnung auch eine Art Entdeckung wäre. Gegen Kermani spräche sein Migrationshintergrund („Das hatte ja schon die vorige“), aber für ihn natürlich sein Verlag, sein männliches Geschlecht und seine Seitenzahl. Im Direktvergleich gewinnt er gegen Capus auch wegen seines geringeren Alters und weil Capus Schweitzer ist („Das war ja schon die vorige“).
Also gratulieren wir von hier aus schon mal Navid Kermani für den Deutschen Buchpreis 2011, der ihm in zwei Monaten verliehen werden wird.