65 Kilometer sind es von Wien nach Bratislava, Fahrzeit eine knappe Stunde. Eigentlich ein ideales Ziel für einen Tagesausflug, vormittags Anreise, Kaffee trinken, Shopping, bissl was essen, am Abend wieder zurück. Aber für die WienerInnen liegt die slowakische Hauptstadt nach wie vor hinter sieben Watteschichten verborgen. Es ist, als hätte der Kalte Krieg eine Grenze in den Köpfen gezogen, die nur langsam undicht wird.
Das Neue kündigt sich leise an: Jahr für Jahr setzt sich mehr der slowakische Namen Bratislava gegenüber dem deutschen »Pressburg« durch. Das ist ein gutes Zeichen – irgendwann wird sich der Fall des Eisernen Vorhangs ja bis nach Ottakring herumsprechen.
»Hallo, Nachbar. Wo, bitte, sind deine slowakischen Beiseln?«, schrieb kürzlich eine österreichische Tageszeitung. »Wegen einer Melange fahren wir nämlich nicht rüber.«
Richtig, wegen einer Melange nicht! – Aber vielleicht wegen der gründerzeitlich-historisierenden Fassaden im Zentrum, oder wegen einem Konzert in der Slowakischen Philharmonie, oder wegen einem Blick vom gusseisernen Balkon in die Jugendstil-Markhalle aus dem Jahr 1910.
Jeder in Bratislava spricht Deutsch, Slowakisch, Ungarisch oder ein Mischmasch aus mehreren Sprachen. Was zur Entdeckung der kleinsten der vier Donaumetropolen bisher fehle, war ein brauchbarer Reiseführer mit Planskizzen, Tipps und Adressen. Der ist nun in der Edition CITYwalks im Falter Verlag erschienen.
An gewöhnlichen Tagen testet die Journalistin Irene Hanappi andalusische Feinschmeckerlokale oder schlägt sich mit Sonnenhut durch die Südsee. Diesmal hat sich die renommierte Reiseautorin gleich eine ganze Stadt vorgenommen: Die Perle vor der eigenen Haustür.
Der Verlag war klug beraten, die Osteuropa-Spezialistin mit dem Faible für gutes Essen für dieses Projekt zu gewinnen. Denn Bratislava ist kulinarisch ein eher steiniges Land, viele Innenstadt-Lokale sind ein Reinfall, die Jugend aus den riesenhaften Plattenbauten belagert die Billigburger.
Der handliche Guide präsentiert fünf Routen mit den Schwerpunkten Geschichte, Kultur, Sightseeing, Essen und Trinken. In den Beschreibungen wird selbst auf weltbekannte Persönlichkeiten, die Wurzeln in Bratislava haben, nicht vergessen. Die Verbindung zu Wien und den Habsburger, somit zur gemeinsamen Geschichte in der Zeit der Monarchie, wird gleich auf 22 Seiten als Route 2, dem »Krönungsweg«, hervorgehoben.
Fehler und Ungenauigkeiten halten sich beim neuen Bratslava-Guide zum Glück in Grenzen. Slowakische Historiker würden den Priester Jozef Tiso wohl nie als Helfer Hitlers bezeichnen; seine Rolle ist in jüngeren Publikationen (Konstantin Cuka, Antona Rasla, Ernesta Zabkayho) äusserst umstritten. Dass der ungarische Komponist Ferenz Liszt slowakische Wurzel hatte, braucht in einem Bratislava-Guide nicht verschwiegen zu werden. Der Janko-Kraž-Park heisst Janko-Král-Park. Und heutige Slowaken würden mehrheitlich nicht vom Sturz eines »kommunistischen« Regimes (Seite 87) sprechen – die CSSR war in ihren Augen nämlich eine »sozialistische Republik« und eben keine »kommunistische«. Aber das sind Kleinigkeiten, akademische Einwände – sie werden einen Touristen kaum stören.
Besonders empfehlenswert finde ich Route 4 mit dem Ausgangspunkt Hurbanovo námestie. Diese dreistündige Spaziergang widmet sich dem künstlerischen Erbe der Zwanziger- und Dreissigerjahre des vorigen Jahrhunderts. Die architektonische Moderne mit ihren Fensterbändern und Neonleuchten, mit ihren ellipsenförmigen Oberlichten und Glaspavillons steht bei Denkmalschützern in der slowakischen Hauptstadt viel zu tief im Kurs. Wie in Wien wird auch dort das vermeintlich glanzvolle Dekor der Altstadt gefeiert, für die Coolness des 20. Jahrhunderts fehlen die Augen noch.
Die Angaben zu Einkaufsmöglichkeiten im City-Guides gleichen manchmal Werbeeinschaltungen, und beim Kartenmaterial liesse sich noch einiges an der Lesbarkeit verbessern.
Irene Hanappi: Bratislava. Gehen, Sehen & Geniessen. 5 Routen durch die Hauptstadt der Slowakei. 128 Seiten mit Karten. Wien: Falter Verlag 2006, ISBN 10: 3-85439-371-7, 9,80 EUR
© Wolfgang Koch 2007
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