vonDetlef Guertler 14.03.2011

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„Nuclear safety and journalistic meltdown – I wish we could build containments for both“ twittert Josef Oehmen, Ingenieur für Risikomanagement am berühmten MIT in Boston und seit gestern einer der weltweit meistgelesenen Experten für Reaktorsicherheit. Weil ein Verwandter von ihm, ein in Japan lebender Englischlehrer aus Australien, die Mail online stellte, die Oehmen anderen Verwandten nach Australien geschickt hatte, die sich wie so viele andere Menschen weltweit wegen der AKWs von Fukushima Sorgen machen. Oehmens Antwort, kurz gefasst: Macht euch keine Sorgen, die Auswirkungen dieses Unfalls sind und bleiben begrenzt, die japanischen Kraftwerksingenieure haben ordentlich gearbeitet und die Techniker, die jetzt vor Ort in Fukushima arbeiten, arbeiten geradezu wie aus dem Lehrbuch, um die Auswirkungen so gering wie möglich zu halten. Eine Auffassung, die, ebenfalls kurz gefasst, von vielen Ingenieuren, aber nur von wenigen Journalisten geteilt wird.

Gestern war Oehmens Text die wohl meistgetweetete Internetseite überhaupt, inzwischen gibt es ihn auch in deutscher Übersetzung, (und auf spanisch) und eine Fülle von Reaktionen an diversesten Stellen, von begeistert bis vernichtend. Oehmen wird da unter anderem unterstellt, dass er keine Ahnung hat und dass er von der Atomlobby bezahlt wird, was ich beides nach einem E-Mail-Austausch mit ihm glaube verneinen zu können. Was Oehmen wiederum den Journalisten unterstellt, dürfte sich aus dem Eingangszitat hinreichend erschließen.

Selbstkritisch und von mir auf andere schließend stelle ich fest, dass an diesem Wochenende beginnend mit dem Wort „Kernschmelze“ bei vielen Menschen und Medien das rationale Denken notabgeschaltet wurde – eine Hirnschmelze sozusagen. Die Kombination aus (partieller) Kernschmelze und Explosion des Reaktorgebäudes konnte ja gar nichts anderes bedeuten als eine massive und großflächige Freisetzung von Radioaktivität. Dass die Brennelemente, und damit der mit Abstand größte Brocken an Strahlung und Gefährdung, trotzdem immer noch im Stahl-Containment eingeschlossen sein könnten (und hoffentlich auch darin eingeschlossen bleiben), kam mir (uns?) gar nicht in den Sinn. Ein handwerklicher Fehler – genauso wie jeder Vergleich mit der Katastrophe von Tschernobyl.

In Deutschland geht man inzwischen auf allen Seiten des politischen Spektrums davon aus, dass Fukushima das Ende des Atomzeitalters besiegelt – die Kernenergie sei schlicht nicht beherrschbar. Viele Ingenieure sehen das vermutlich anders: Gerade Fukushima könne beweisen, dass auch unter extremsten Bedingungen ein Unfall in einem Atomkraftwerk beherrschbar sei. Vermutlich ist beides richtig, je nach Blickwinkel.

Ein Sicherheitssystem, um in Extremsituationen in Zukunft die journalistische Hirnschmelze zu verhindern, wird leider auch nach Fukushima nicht konstruiert werden. Verleger mögen nun mal keine Ingenieure.

Update, 22.55 Uhr: Was vorgestern als Privat-Mail eines MIT-Wissenschaftlers aus dem Bereich Supply Chain Risk Management begann, ist jetzt zu einer Angelegenheit der Nuklearingenieure am MIT geworden. In einem frisch eingerichteten Blog werden sie sich all jener Fragen annehmen, die die Oehmen-Leser, ob Freund oder Feind, stellen bzw. stellen werden. Und zwar inhaltlich sicherlich kompetenter als alle hier diskutierenden, mich selbstverständlich eingeschlossen.

Update 15.3., 16 Uhr: Leider sind die o.a. MITler so dämlich, ein Blog aufzumachen, bei dem sie die Kommentarfunktion abschalten. Das spricht immerhin dafür, dass es sich nicht um eine Undercover-Aktion der Atomlobby handelt – so dämlich sind die nämlich nicht.

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