vonMathias Broeckers 05.04.2009

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Nachdem Kollege Waldorf über die re:publica geschlurft war, kam er gut gelaunt zurück. “Das Wetter ist einfach herrlich.”

“Und die Konferenz?”

“Na ja, Karl Kraus würde sagen: Keinen Gedanken haben, aber ihn twittern können, das macht den Web 2.0 Schurnalisten. Sind alle sehr nett, diese Twitter-Kids und ein paar tolle Ideen haben sie auch, aber weil man mit 140 Zeichen nicht viel mehr sagen kann als Piep kommt da halt erst mal nur ein großes Piep Piep Piep raus, aber ich bin zuversichtlich…”

Das wunderte mich ja nun doch, Waldorf und zuversichtlich: “Wie das?”

“Die Krise wird’s richten. Die Leute werden wieder mehr lesen, und Anspruchsvolleres…”

“Wie kommst du denn auf dieses schmale Brett? Noch nichts vom Zeitungssterben gehört, das nimmt doch langsam dramatische Ausmaße an…”

Waldorf schüttelte den Kopf. “Was da stirbt war doch eigentlich schon immer eine Fehlgeburt: werbefinanzierter Journalismus. Aber hier” – er breitete jesusartig die Arme aus und blickte an die verspiegelte Decke des taz-Cafés –”in der Oase der Pressefreiheit, der genossenschaftlichen Produktion und des Kollektivismus 2.0 gedeiht sie noch, die freie, unabhängige, unkorumpierbare Presse.”

Ich runzelte die Stirn und sah ihm in die Augen. So euphorisch hatte ich den schärfsten Kritiker der taz lange nicht mehr erlebt.

“Was hast du denn heute geraucht, Waldorf?”

“Ich habe die Abo-Kurve inhaliert! 1000 mehr taz-Abonnenten seit einem Jahr, 20 % Zuwachs auf taz.de. FAZ, SZ, Welt, FR – überall gehts abwärts, aber Mütterchen taz blüht und gedeiht. Hast du nicht die Worte unseres Großen Vorsitzenden Kalle im kress- report gelesen: ‘Hoffentlich geht die Krise weiter’

“Ist vielleicht bißchen dicke…” meinte ich.

“Auf keinen Fall”, sagte Waldorf, “ist genau auf dem Punkt. Weißt du nicht mehr Tschernobyl 1986, ohne die Katastrophe wären wir noch heute bei 20.000 Abos. Und der Finanz-Super-GAU hat ja gerade erst angefangen, das Schlimmste kommt noch, also wird’s weiter aufwärts gehen mit der taz-Auflage, 100.000 bis 2012 könnte man durchaus ins Auge fassen, allerdings…”

“Was?”

“Damals hatten wir eine klare Alternative zur Atomkraft und pushten sie in der Zeitung: Ökologie, nachhaltiges Wirtschaften, sanfte Energie usw. Aber zum Finanz-Tsunami hat die taz-Redaktion im Moment keine Alternativen zu bieten. Nichts zu radikalen Finanz,-und Geldreformen, nichts zu alternativen Währungssystemen, kein wirklicher Widerstand gegen die Plünderungen durch Bank-Kleptokraten, gegen die G-20-Mogelpackungen, gegen Armut und Hunger der Massen und Billionen für kriminelle Zocker. Ist schon ein Witz: da geht nach 30 Jahren mit dem größten Finanzskandal der Weltgeschichte der größte Wunsch der taz in Erfüllung – der Kapitalismus ist am Ende – und der Zeitung fällt irgendwie nichts dazu ein …”

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https://blogs.taz.de/hoffentlich-geht-die-krise-weiter/

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