vonsaveourseeds 24.03.2009

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Im Agrar-Ministerrat am Montag machte die Gentechnik-Nation Holland einen bemerkenswerten Vorschlag: Die Zulassung von gentechnisch veränderten Pflanzen soll zwar weiterhin von der EU entschieden werden. Ob Gentechnik-Pflanzen angebaut werden dürfen, soll dagegen jedes Mitgliedsland für sich entscheiden.

Der Vorstoss der niederländischen Delegation ist zunächst einmal fürs Protokoll bestimmt. Kurzfristige gesetzliche Änderungen sind nicht zu erwarten. Die bis Ende diesen Jahres amtierende EU-Kommission wird die Anregung sicherlich nicht mehr in Gesetzesvorschläge umsetzen. Doch das Prinzip könnte mittelfristig einen Ausweg aus der verfahrenen Lage bieten, die gegenwärtig der Kampf um Anbauverbote in Frankreich, Ungarn, Österreich und Griechenland illustriert.

Eine Mehrheit der EU-Mitgliedsstaaten ist eindeutig gegen den Anbau von Gentechnik-Pflanzen. Um den in ihrem Land durchzusetzen muss sie aber bisher „neue wissenschaftliche Erkenntnisse“ über deren Schädlichkeit für die Gesundheit oder die Umwelt ins Feld führen, über deren Stichhaltigkeit wiederum der notorisch gentechnikgläubige wissenschaftliche Ausschuss der Europäischen Lebensmittelbehörde, EFSA, zu befinden hat. Weil der regelmäßig alle Bedenken in den Wind schlägt, die von den Mitgliedsstaaten vorgebracht werden, kommt es schließlich zum show-down im Ministerrat. Und der wiederum hat bisher alle Ansinnen der EU-Kommission, nationale Anbauverbote zwangsweise aufzuheben, zurückgewiesen. Das schmeckt auch den Gentechnikfreunden aus Holland nicht. Gegen die Mehrheit der Regierungen den Gentechnik-Anbau durchzusetzen macht keinen besonders demokratischen Eindruck. Gegen die „unabhängige“ wissenschaftliche Kompetenz der eigenen Behörde Verbote aufrecht zu erhalten dient nicht der Glaubwürdigkeit der Wissenschaftler.
Dass jeder nun nach seiner Facon selig werden soll entspricht allemal dem holländischen Weltbild.Hier das Protokoll der Diskussion im Ministerrat.
Genehmigung und Anbau
– Antrag der niederländischen Delegation

I. Zusammenfassung
Rat (Agrar und Fischerei) befasste sich mit NLD-Vorschlag einer eventuellen Änderung des
Rechtsrahmens für GVO in der EU.
Mehrere MS (= Mitgliedstaaten) zeigten sich gegenüber NLD-Vorschlag einer Renationalisierung der Anbauzulassung aufgeschlossen (AUT, FIN, CYP, ROU, POL, HUN). Andere MS (GBR, PRT, ESP, EST) lehnten ihn ab und betonten die Verpflichtungen aus internationalem Handelsrecht (WTO). Kommissarin Vassiliou verwies auf den aktuell geltenden guten Rechtsrahmen.

II. Ergänzend und im Einzelnen
NLD erläuterte einleitend, üblicherweise stimme NLD den KOM-Vorschlägen zur Zulassung von
GVO zu. Der Zulassungsprozess berücksichtige aber nicht die aktuellen technologischen und
gesellschaftlichen Entwicklungen, etwa Sorgen in der Bevölkerung. Auch die sozio-ökonomische
Dimension müsse bei der Zulassung eine Rolle spielen. Die Ratsschlussfolgerungen des Umweltrates vom Dezember 2008 nähmen hierauf ebenfalls Bezug.
Aus NLD-Sicht könne eine Lösung darin liegen, über die Einfuhr von GVO zur Verwendung als
Lebens- und Futtermittel wie bislang auf europäischer Ebene zu entscheiden. Über die Zulassung
zum Anbau solle die Entscheidung aber den MS selbst überlassen bleiben. Auch solle man über die
Einbeziehung sozio-ökonomischer Kriterien nachdenken.
St Lindemann erklärte, dass auch in DEU die Frage der Kompetenzzuweisung intensiv diskutiert
werde. Diese Diskussion sei noch nicht abgeschlossen, so dass es noch keine endgültige deutsche
Position zu dieser Frage gebe. Frau BM’in Aigner habe ihn aber gebeten, deutlich zu machen, dass
ihr persönlich die NLD-Position sehr sympathisch sei.
Mehrere MS (AUT, FIN, CYP, ROU, POL, HUN) unterstützten NLD-Idee der Verlagerung der
Anbauentscheidung auf MS-Ebene und verwiesen auf die Ratsschlussfolgerungen des Umweltrates von Dezember 2008. Die geltende Gesetzgebung berücksichtige nicht die aktuelle gesellschaftliche
Entwicklung. Auch die stärkere Einbeziehung sozio-ökonomischer Kriterien wurde von mehreren
MS unterstützt (FRA, AUT, FIN, CYP, ROU), wobei ROU erklärte, die wissenschaftliche
Einschätzung der EFSA müsse die entscheidende Grundlage der Zulassung bleiben. FRA betonte
die Bedeutung von Koexistenzregelungen und die Berücksichtigung empfindlicher oder geschützter
Gebiete beim Anbau. AUT legte Tischdokument vor, das die NLD-Position weiter stützt (liegt in
BN/B vor). GRC verwies auf die Ablehnung von GVO in der GRC-Gesellschaft und regte eine
Kennzeichnung GVO-freier Produkte an.
Andere MS (GBR, PRT, ESP, EST) erklärten, man müsse internationale Verpflichtungen der EU
bedenken (Vereinbarkeit mit WTO-Recht sowie Kompatibilität mit Regelungen des Binnenmarkts).
PRT verwies auf nationale Regelung zu freiwilligen GVO-freien Zonen. ESP betonte die Vorteile
von GVO als Lösung der Lebensmittelkrise, beispielsweise durch mögliche Dürreresistenz. Auch
ITA sprach sich gegen eine Renationalisierung der Zulassungsentscheidung aus.
AUT und HUN dankten den MS für das Stimmverhalten zu den jeweiligen nationalen
Schutzklauseln im Umweltrat am 2.3.
Komm. Vassiliou verwies auf die Zuständigkeit von Komm. Dimas zu Fragen des Anbaus. Der
existierende Rechtsrahmen sei gut; die Anbauentscheidung werde aufgrund einer wissenschaftlichen
Stellungnahme der EFSA getroffen. Im Juni 2010 werde KOM einen Bericht zu sozioökonomischem
Nutzen und Risiken des Anbaus vorlegen. Dazu sei KOM in den vom Umweltrat im
Dezember 2008 verabschiedeten RSF aufgefordert worden.
Der Vorsitzende  betonte abschließend, der Rat in der Formation der Agrarminister habe nun ebenfalls einen Beitrag zu diesem Thema geleistet. Man werde evtl. auf dieses Thema zurückkommen.

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