vonDetlef Guertler 08.07.2009

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Seit langem keinen so spannenden Krimi mehr gelesen wie das Bafin-Protokoll des Rettungsaktions-Wochenendes vom 26. bis 28. September 2008 für die Hypo Real Estate (HRE), das die FTD heute veröffentlicht hat (PDF). Hier wird deutlich, wie nahe das deutsche Bankensystem vor der Kernschmelze stand, und wie ahnungslos die Politik in die Krise hineingerutscht ist. Nur ein paar Auszüge:

Sonntag, ca. 18 Uhr:

<Finanzstaatssekretär> Asmussen erklärt, dass er zunächst Rücksprache mit Minister Steinbrück und dem Bundeskanzleramt halten müsse. Bis morgen sei eine Lösung nicht möglich. <Deutsche-Bank-Chef> Ackermann weist darauf hin, dass das BMF seit Donnerstag Bescheid wisse. Er werde jetzt gehen und sein Institut darauf vorbereiten, dass morgen früh der Interbankenhandel zusammenbrechen werde.

Sonntag, 22.45 Uhr:

Asmussen verlangt eine Entscheidung über das Angebot der Bundesregierung in den nächsten 20 Minuten. Die Verteilung der Lasten <der HRE-Rettung> müsse wie folgt sein: Der Bankensektor müsse die Mehrheit der Kosten (Verlustquote 55 %) ohne den vorgenannten Cap <Begrenzung der absoluten Verlustbeteiligung> von 2 Mrd. EUR tragen. Ackermann führt aus, dass dies der Tod des deutschen Bankensystems sei. … Das Risiko der Banken müsse durch einen Cap auf max. 7 Mrd. EUR begrenzt werden.

23.30 Uhr: Asmussen erklärt für die Bundesregierung: 35 Mrd. EUR Bürgschaft, 50 % Bund, 50 % Baken. Der Cap sei nicht akzeptabel, das sei mit Kanzlerin und Minister abgeklärt. Die Bankenvertreter halten das für nicht akzeptabel und verlassen der Raum. Die Verhandlungen sind gescheitert.

Wäre es dabei geblieben, hätte das deutsche Finanzsystem HREkiri begangen, und am Montag hätte es in ganz Deutschland so ausgesehen wie ein Jahr zuvor vor den Filialen der britischen Bank Northern Rock. Kein Anleger hätte mehr geglaubt, dass auf irgendeiner Bank sein Geld sicher wäre, und das völlig zurecht. Zwar habe am Sonntagmittag noch Finanzminister Steinbrück in einem Telefonat mit Bundesbankchef Axel Weber gesagt, dass er, wenn überhaupt, “einem Bailout durch die Einlagensicherung zustimmen” könne, aber die hätte am Montag praktisch zeitgleich mit der HRE Konkurs anmelden müssen:

“Ackermann gibt zu bedenken, dass die durch den Einlagensicherungsfonds (ESF) geschützte Summe von der <HRE->Holding mit 24 Mrd. EUR beziffert werde. … <Jürgen> Lindlar <Chef des Prüfungsverbands deutscher Banken> betont, dass ESF nach Lehman nicht mehr als 2 Mrd. EUR aufbringen könne.”

(Meines Wissens die erste jemals offiziell genannte Zahl über die tatsächlich vorhandenen Reserven des Einlagensicherungsfonds)

Aber so kam es ja nicht. Der Showdown ging weiter.

23.57 Uhr: Ackermann betritt den Raum und erklärt, dass die Bankenvertreter weiterverhandeln möchten. Er habe mit Herrn Steinbrück telefoniert. Dieser … habe ihm gegenüber erklärt, nochmals mit der Kanzlerin reden zu wollen.

0.45 Uhr: Asmussen führt aus, dass die Kanzlerin der Lösung nicht zustimme.

1.00 Uhr: Asmussen erklärt, der letzte Vorschlag der Bundesregierung laute 60 % der Last für die Industrie, 40 % für die Bundesregierung bei einem Cap von 8,5 Mrd. EUR.

Und so geschah es.

Mir scheint, wir müssen uns bei Josef Ackermann dafür bedanken, dass uns in jenen Stunden nicht der Himmel auf den Kopf gefallen ist. Und zwar nicht: wir Bänker. Sondern: wir Deutsche.

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